Revitalisierung Taubergießen - Alter Rhein mit neuer Dynamik


Die Idee

Der Oberrheinausbau von 1960 - 1970 hat das jetzige Naturschutzgebiet "Taubergießen" nachhaltig verändert.

Die dynamische Kraft des strömenden Hochwassers verebbte, Ablagerungen und Schlamm setzten die einst mächtigen Altrheinarme und Gießen zu. Fischer, Nachenfahrer und Gemeinden schlugen Alarm: So konnte es nicht mehr weitergehen. Gemeinsam suchte man nach Lösungen und wurde direkt auf der anderen Rheinseite fündig. Im Rahmen des EU-LIFE-Projektes "Restauration du massif alluvial" sind auf der Ile de Rhinau Breschen in den Leinpfad geschlagen und rückstauende Bauwerke beseitigt worden. Die "neue" Dynamik des Rheins sorgt so für eine bessere Durchströmung der Aue. Genauso nachhaltig wie auf der französischen Seite, so die Idee der Projektpartner, sollte nun auch das noch größere Naturschutzgebiet Taubergießen revitalisiert werden.

Der Naturraum

Das Naturschutzgebiet Taubergießen ist eines der größten im Land. Es gehört zu den Gemeinden Rheinhausen im Landkreis Emmendingen, Rust und Kappel-Grafenhausen im Ortenaukreis und Rhinau im Elsass.

Wir treffen hier zwei sehr unterschiedliche Landschaftstypen an: Zwischen dem Damm des Leinpfades und dem Hochwasserdamm befindet sich die selten überflutete Aue mit Wäldern aus Eichen, Ulmen, Silberweiden und Schwarzpappeln. Östlich, in der trockengelegten Altaue, treffen wir eine liebliche offenere Landschaft an, deren Flussläufe jedoch keine Verbindung mehr zum Rhein haben.

Wesentliche Veränderungen des Naturraums gab es durch die Oberrheinkorrektion nach Oberst Tulla von 1840 - 1872 und schließlich durch den modernen Oberrheinausbau. Seit 1963 fließt ein Großteil des Rheinwassers durch die Kanalschlinge Rhinau und eine meist nur noch geringe Wassermenge durch den Restrhein im alten Rheinbett von Tulla. Nur größere Hochwasser ab ca. 2.400 m³/s uferten noch aus und überschwemmten den Auwald.

In der Altaue dehnen sich weite, magere Flachland-Mähwiesen und Äcker im Wechsel mit Gehölzgruppen und Röhrichtstreifen aus. Die blumenreichen Wiesen verdanken ihre Naturnähe einer wenig intensiven Nutzung durch Landwirte aus Rhinau. Ein dichtes Netz aus Altrheinarmen und den charakteristischen Gießen - das sind Grundwasseraustritte mit ihren Klarwasserabflüssen - durchzieht den Auwald und die Wiesenlandschaft. Die fehlende Wasserdynamik ließ diese allerdings immer mehr verlanden. Eingesprengt sind zahlreiche Stillgewässer: Feuchte Senken, Tümpel, Altwasser und Kiesgruben.

Nur wenige Stellen am Oberrhein bergen noch eine so große Vielfalt an naturnahen Lebensräumen, Tier- und Pflanzenarten. Dieser Reichtum begründet den besonderen Reiz und Wert dieser mittelbadischen Auenlandschaft.

Bürger und Partner

Das Problem "Schlamm" lastete dauerhaft auf allen Beteiligten. Das war klar: Es würde auch in Zukunft keine Ruhe geben - es würde weiter wachsen. Der grenzüberschreitende Besitz erwies sich als Segen: Die Aufgabe war nicht zu begrenzen auf nur eine Zuständigkeit. So öffnete sich die Tür für eine europäische Lösung.

Nun galt es noch Hochwasserschutz, Naturschutz, Forst und die berechtigten Anliegen der Anwohner glücklich zu verknüpfen. In der Kooperation liegt der entscheidende Vorteil dieses Projekts, liegt sein Beispiel für Europa: Hier lag der einzig gangbare Weg, ungeachtet anfänglicher Skepsis: Nur gemeinsam lässt sich der Erfolg erringen!

Bald war diese Überzeugung Gemeingut, und ab da ging es Schlag auf Schlag: Steuerungs- und Arbeitsgruppen entwickelten eine ungeahnte Dynamik. Engagierte Bürger, Naturschützer, Förster und Jäger, Vertreter von Gemeinden, Kreis- und Landesverwaltung - alle bündelten mit Begeisterung ihren Sachverstand hin auf das gemeinsame Ziel. Jede und Jeder brachten ihren Einsatz: Zeit, Können und Finanzen. Herausragend der unbedingte Wille aller Beteiligten sich in das Projekt einzubringen. Ideen finden und diskutieren - kompetent planen und beschließen - Umsetzung begleiten, Hürden überwinden und Erfolge kräftig feiern!

Das also war der alles entscheidende Erfolgsfaktor: Die Fürsprecher für naturnahe Nutzung und Naherholung, für wasserwirtschaftliche Anliegen und Naturschutz zogen miteinander an einem Strang, konstruktiv und kooperativ. So gelangen Planung, Genehmigungsverfahren und Umsetzung in Rekordzeit und im Einvernehmen. Diese Erfahrung wird die Jahrzehnte überdauern und ihr Ergebnis lässt sich im Taubergießen erleben! Neben aller Freude über den Gewinn an Schönheit von Landschaft, Natur und Heimat ist das die eigentliche Botschaft des Projekts: Die Wandlung von reinen Interessenvertretern zu Partnern, von Partnern zu Freunden blieb nicht Vision, sie wurde und wird im Taubergießen gelebt. Das ist die europäische Dimension des Projekts "Vom alten Rhein zu neuer Dynamik" bei Natur und Mensch: So geht es!

Die Umsetzung

Intensive Gespräche am Regierungspräsidium brachten 2005 die Lösung für ein gemeinsames Vorgehen: In einem Kraftakt von Naturschutz, Wasserwirtschaft, Bürgern und Gemeinden, dem Land und der EU war das INTERREG-Projekt "Revitalisierung Taubergießen" geboren.

April 2006: Bei einem feierlichem Festakt in Kappel-Grafenhausen und Rhinau unterzeichnen die Partner das Projekt; zwei Millionen Euro stellen sie zur Verfügung. Nun geht es in die Vollen: Projektbegleitende Arbeitsgruppen sind in engem Zeittakt reihum bei den Partnergemeinden Rhinau im Elsass, Rheinhausen, Rust und Kappel-Grafenhausen zu Gast. So stehen bereits im Mai 2006 die Eckpfeiler des Plans und schon im Oktober 2006 liegt die Genehmigung des Landratsamts Ortenaukreis vor.

Ein feierlicher Spatenstich startet im Januar 2007 die Baumaßnahmen.

Ohne Unterlass rollen Baufahrzeuge, graben Durchlässe, erstellen Bauwerke, legen Furten an, lagern Schlammbänke um und modellieren Gewässer. Mitte Mai nimmt die verantwortliche Steuerungsgruppe die Baumaßnahmen ab und im Juni 2007 sind diese fertig gestellt.

Durch die Dammniederlegungen werden die Gewässer zwischen Leinpfad und Hochwasserdamm ab einem Abfluss von 1500 m³/s wieder direkt an das Abflussregime des Rheins angeschlossen. So geben wir dem Rhein die Kraft zurück, die Gewässer entsprechend zu "putzen". Aber das macht nur Sinn, wenn das Wasser dann auch weiterfließen kann, daher die Herrichtung vieler Furten und Brücken. Da, wo sonst das Wasser vor Wegen oder Querriegeln stand und nicht weiterfließen konnte, kann es jetzt samt Sedimentfracht passieren. Der Verschlammung wird so nachhaltig begegnet. Insbesondere bei Niedrigwasser sind in der Vergangenheit oft Boote im Schlamm stecken geblieben.

In der sogenannten Altaue, also den Bereichen östlich des Hochwasserdammes, haben die Flussläufe keine Verbindung mehr zum Rhein. Durch die errichteten Verbindungsbauwerke werden diese Gewässerzüge "gespült". Im Fließgewässer des Taubergießens, das von einer ausreichenden Fließdynamik nicht erreicht werden kann, legte ein Schwimmbagger die kiesige Sohle frei und passte den Gewässerquerschnitt an die heutige Abflusssituation an. So bleibt die kiesige Sohle frei und die Anlagerung von schlammigen Sedimenten wird nachhaltig verhindert.

Das Monitoring - die Erfolgskontrolle

Maßnahmen werden geplant, beschlossen und umgesetzt, ihre richtige Bauausführung wird überwacht. Aber sind sie alle auch wirklich richtig und nötig? Werden die unterschiedlichen Ziele aus den Bereichen Naturschutz, Wasserwirtschaft und Naherholung auch tatsächlich erreicht? Und wann? Gibt es Risiken und unerwünschte Nebenwirkungen? Viele Fragen, die sich zu Beginn des Projekts stellten.

vor und nach
Karten vor (links) und nach (rechts) der Revitalisierung der Rheinauen

So gab es heftige Diskussionen in den Arbeitsgruppen und auch schriftlich vorgetragene Bedenken. Der Konflikt wurde weitgehend gelöst durch ein Monitoring-Programm. Dieses hat das Ziel, Erfolge oder auch bedenkliche Veränderungen im Naturraum festzustellen und den letzteren nötigenfalls entgegen zu wirken.

Begleitend zur Planungs- und Genehmigungsphase wurden wichtige biologische Zeiger zunächst im Ausgangszustand erfasst. Ihr Zustand erlaubt Aussagen über viele weitere Artengruppen, die im Projekt gefördert oder zumindest nicht beeinträchtigt werden sollen. Von den Tieren waren es die Fische, Wasservögel, Amphibien, Laufkäfer, Libellen, eine seltene Jagdspinne und Gewässerkleintiere. Die Forstverwaltung brachte Ergebnisse ihrer langjährigen Bann- und Schonwaldforschung ein. Zusammen mit dem Betreiber des Kiessees wurden Sedimente und Schlammproben untersucht.

Als Ergebnis liegen jetzt Informationen über den Zustand der Landschaft und der Tier- und Pflanzenwelt vor Beginn der Baumaßnahmen vor. Damit lassen sich zukünftige Veränderungen im Rahmen einer Beweissicherung erfassen und beurteilen, die im Planfeststellungsbeschluss vorgeschrieben ist. Sollten dabei erhebliche unerwünschte Nebenwirkungen zu Tage treten, besteht die Zusicherung, ihnen entgegenzuwirken.

Die Untersuchungen erbrachten auch selbst Vorschläge zur Verbesserung der teilweise unbefriedigenden Ausgangssituation. So wurden Biotopmaßnahmen direkt im laufenden Projekt umgesetzt. Förster der Gemeinden setzten Ufergehölze auf den Stock, um Laubeintrag und Verlandung von Gießen zu verringern und lichtliebenden Libellen bessere Lebenschancen zu geben; Bagger schürften verlandete Schluten und Kiestümpel aus.

Erste Erfolge

So schnell wie die Revitalisierung verwirklicht wurde, so schnell stellen sich auch erste Erfolge ein: Turbulent wirbelt die Strömung über raue Steinfurten, vom Boot aus scheinen blanke Kiesböden durch das klare Wasser auf, und erste Frösche, Molche und Libellen erobern die neuen Gewässer. Sobald der Rhein wieder seine dynamischen Hochwasser in die Aue ergießt, wird das Motto der Revitalisierung direkt erlebbar: "Alter Rhein mit neuer Dynamik".

Unmittelbar zu beobachten ist, wie nun höhere Fließgeschwindigkeiten die Gewässer formen und tatsächlich die bestehenden Schlammsedimente umlagern. Die häufigere Durchströmung führt wieder zu einer charakteristischen Ausprägung der Auenwälder auf annähernd 2.000 ha im Naturschutzgebiet "Taubergießen" und in der Reserve Naturelle "Ile de Rhinau".

Dies alles konnten interessierte Menschen eindrucksvoll auf Exkursionen erleben, die Fachleute im Gebiet leiteten. Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg, und so gelang es dank der konkreten Vorschläge aus dem Monitoring-Programm weitere Geldgeber für die Biotopmaßnahmen zu werben. Und Gemeinden haben schon Interesse angedeutet, auch in Zukunft Mittel für Gestaltungsmaßnahmen bereitzustellen, z. B. im Rahmen eines gemeindlichen Öko-Kontos.

Leider wird unsere Freude über den glücklichen Abschluss des Projektes getrübt: Zwei maßgebliche Akteure, Vater und Sohn, Adolf und Stefan Heitz, sind inzwischen verstorben. Mit ihrem großen biologischen Fachverstand und ihrer warmherzigen Art haben sie wesentlich zum Gelingen des Projektes beigetragen.

Die Revitalisierung Taubergießen gibt der Auenlandschaft einen Teil der verlorenen Naturschätze zurück. Sie bindet die Bürger ein, die in stiller Naherholung den Reichtum ihrer Heimat erleben können. Und sie hat die festen und freundschaftlichen Verbindungen zwischen den Menschen und Institutionen am Rhein vertieft und oft neu geknüpft. So steht die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und die Gemeinschaft der Anlieger auf beiden Seiten des Rheins auf sicherem Fundament.

Ich danke allen Beteiligten für ihren großen Einsatz. Möge der Geist dieser guten Zusammenarbeit uns alle in die Zukunft begleiten. Ich lade Sie herzlich ein, die Natur im Taubergießen und ihre freundlichen Menschen selber zu erleben. Wanderwege laden Sie zu stiller Naturerkundung ein und einheimische Fischer zeigen Ihnen gerne auf Bootsfahrten die Schönheiten ihrer Heimat.

Dr. Sven von Ungern-Sternberg, Regierungspräsident

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