Die Revolution in Frankreich und Auswirkungen im Oberamt Oberkirch


Dr. Erwin Dittler: Reichsexukution 1790 - Die Ortenau - Veröffentlichungen des Historischen Vereins für Mittelbaden (56 / 1976), Seite 35 - 41

Die Vermittlungsversuche der Freiherrn Wilhelm von Edelsheim und Johann von Türckheim bei Staatsrat Johannes Müller im Frühjahr 1790 während der Reichsexekution im Amt Oberkirch (Die Ortenau (56/1976) 35-41)

Schon bei der Unterdrückung der Unruhen und Aufstände im Jahre 1789 in den verschiedenen Gemeinden der Markgrafschaft Baden, der Ortenau und im fürstbischöflich-straßburgischen Gebiet stellten die rechtsrheinischen Besitzungen des Hochstifts Straßburg nach Meinung des Regimentsrats von Greifenegg einen besonderen Gefahrenherd dar: "Die Lage war in der Ortenau vor allem deshalb so unberechenbar, weil das Bistum Straßburg in seinem rechtsrheinischen Gebiet nicht die geringste Ordnung zu schaffen vermochte."(1) Kardinal Rohan hatte aber nicht nur mit seinen Untertanen Schwierigkeiten, sondern auch mit Angehörigen des Straßburger Domkapitels.

Der Graf Truchseß zu Zeil-Wurzach, Kapitular der Metropolitankirche zu Köln und der Kathedralkirche zu Straßburg, hatte ihn in einem in Paris verteilten und im Elsaß bekanntgemachten Mémoire "eines sträflichen Mißbrauches seiner landesherrlichen Hoheit, einer Unterdrückung seiner diesseits des Rheins gelegener deutscher Reichsuntertanen" beschuldigt, so daß er gegen diesen beim Königlichen Rat in Kolmar Klage erhob. Da der Graf außerdem die verfügte reichskonstitutionsmäßige Exekution gegen die Bauern im Oppenauer Tal, die dem Herzog von Württemberg übertragen wurde, in Frankreich als eine "assistance oppressive" brandmarkte, erhob der Kardinal als Reichsfürst Klage beim Reichskammergericht(2).

Mit diesen Klagen konnte aber in dem Oberamt Oberkirch der schwelende Brand nicht gelöscht werden, welcher auch die Sicherheit der benachbarten Herrschaften gefährden mußte. Ein erneutes Aufflammen mußte zwangsläufig auch ihre Untertanen mitreißen. Dem tatkräftigen Eingreifen der Markgrafschaft stand aber die "schwache" Haltung der vorderösterreichischen Regierung gegenüber: "Mir scheint es, die Herren haben weder Kopf noch Mut", urteilte Landvogt von Blittersdorf(3). Als 100 Mann am 2. September unter dem Kommando des badischen Majors von Beck nach Offenburg abrückten, befürchtete der Präsident von Posen in Freiburg, bei einem zweiten Aufstand könnten die Badener mitsamt den 205 Mann vom Regiment Bender zu Paaren getrieben werden(4). In Freiburg wollte man den Frieden abwarten und dann ein paar Regimenter Kroaten in die Ortenau schicken, was Blittersdorf zu aufwendig erschien: "Solcher Veranstaltungen bedarf es nicht. Mit 300 Mann ordentlicher Truppen ließe sich zuverlässig alles richten. Das Totschießen muß man freilich wagen ...."(5)

Als die 400 württembergischen Soldaten, die im Dezember in Oppenau eingerückt waren, sich wieder hinter den Kniebis zurückzogen, ließ es die bischöfliche Regierung in Zabern nicht dabei bewenden; ihr lag offensichtlich an einer Vergeltung für den Aufstand im voraufgegangenen Sommer. Obwohl ihr und dem Landvogt von Bruder die inzwischen eingetretene Beruhigung der Lage bekannt war, bewirkte sie die Durchführung der Reichsexekution. Die Pfalz fügte sich der Mainzer Auffassung, daß die erhaltenen Anzeigen von der veränderten Situation nicht ausreichten, und so rückten am 15. Februar 1790 die mainzischen und pfälzischen Exekutionstruppen in Stärke von 1032 Mann mit vier Kanonen und zwei Haubitzen in Renchen ein. Um der unnötigen Aktion gehörigen Nachdruck zu verschaffen, geschah dies mit blanken Säbeln, gespannten Hahnen und brennenden Lunten. Dabei zeigten sich die beiden mainzischen und pfälzischen Kommissare nicht nur über "die schlechten Einsichten des Landvogts Bruder" erstaunt, sondern auch über seine mangelnden Vorbereitungen: "Nicht einmal war für die Bezahlung und Lebensmittel der Truppen Vorsorge getroffen."(6)

Die Truppen waren bereits in Marsch, als der Landvogt erst die Auflagen der Gemeinden für die Beschaffung von Geld, Früchten und Lebensmitteln ausschrieb. Jedes der fünf Gerichte mußte einen Vorschuß leisten. Die Gerichte, welche bar bezahlten, bemühten sich, überall Geld aufzunehmen, wurden aber mit Ausnahme von Renchen abgewiesen. Renchen erhielt vom ortenauischen Landvogt von Axter ein Darlehen von 10.000 fl. Unter Androhung der militärischen Exekution verfügte der Landvogt, daß jeder, welcher der Heiligen-, Gemeinde- oder Herrschaftlichen Kasse etwas schulde, dies binnen 8 Tagen zu entrichten habe. "Alles dies zu der jetzigen Jahreszeit und bei der vorseienden Teuerung aufzubringen, heißt den Untergang so vieler Familien fördern", schrieb der Landvogt von Blittersdorf nach Karlsruhe.

Während der ersten 19 Tage war die Kommission vollauf damit beschäftigt, Deputierte aus allen Gerichten vorzuladen, um ihnen die Handtreu an Eidesstatt abzunehmen, daß sie der Kommission, dem Fürsten und der Obrigkeit gehorchen wollen. Ab 1. März hielt sich die Kommission in Oppenau auf, um dort dasselbe Geschäft vorzunehmen; 425 Mann hatte sie zu ihrer Bedeckung vorausgeschickt. Da jeder Tag 1.800 fl. erforderte, wollte man 700 Mann wieder abziehen, denn auch der Kardinal vermochte zunächst kein Geld mehr aufzutreiben, nachdem er bereits in Straßburg 20.000 fl. aufgenommen hatte. Der Landvogt Bruder, der vom Kloster Ettenheimmünster einen Vorschuß von 30.000 fl. und vom Kloster Gengenbach 12.000 fl. haben wollte, wurde freundlich abgewiesen. Er hatte von Rohan eine umfassende Vollmacht für die Verhandlungen mit den Kommissaren erhalten. Als sein Vertreter wohnte er anfangs den Konferenzen bei, bis sich die Untertanen darüber beschwerten. Die Gerichte Renchen und Sasbach hatten sich vom Markgrafen den Rat und Advokaten Metz als Rechtsbeistand erbeten, den man zunächst im Einvernehmen mit Bruder nicht zulassen wollte, weil es zuviel Kosten gäbe, die Verhandlungen in die Länge ziehe, und jedermann selbst vortreten dürfe; schließlich willigte man ein, was für die Betroffenen nicht unwichtig war.

Da der Hofrat und Oberamtsverweser Elbling in dieser Zeit von der bischöflichen Regierung seine Entlassung erhielt - auf einem Blatt von einem halben Bogen, unterschrieben von einem Sekretär! -, war Landvogt v. Bruder Alleinherrscher: "Der Landvogt Bruder unternimmt dermalen, was er will, da ihm die unverdiente Gnade des Fürsten und die Exekutionstruppen gegen alles schützt. Allgemein wird dieser so unwissende als schadenfrohe Mann aber verabscheut, da er den Untergang so vieler durch die unerschwinglichen Kosten fördert. Es ist zu zweifeln, daß er sich in seinem Posten schützen wird, zumalen, wenn das Land entweder in Sequester fallen, oder aber der Fürst ein Teil der Kosten tragen sollte, welche Kosten dermalen bereits die Summe von 60.000 fl. übersteigen werden." Bis zum 22. März hatte die Untersuchungskommission in Renchen erst die halbe Gemeinde vernommen. Gegen den Landvogt Bruder durften keine Klagepunkte vorgebracht werden, das Jammern wegen der Kosten war allgemein. Das Verhör, welches in Wagshurst fortgesetzt wurde, litt nach Auffassung des Landvogtes v. Blittersdorf an den mangelnden Personal- und Sachkenntnissen der Kommission, die sich seiner Meinung nach weniger mit den Ursachen und Urhebern befaßte als mit Ermittlungen im Interesse Bruders darüber, wer sich durch Schimpfreden oder Drohungen gegen diesen hervorgetan hatte. Die Untersuchungskommission habe also wahrscheinlich keine andere Wirkung, "als daß sie mit unerschwinglichen Kosten für das Land den Landvogt Bruder, der nur auf Rache, nicht aber auf seine Pflichten gegen den Fürsten und das Land denkt, auf Jahr und Tag schützt"(7). Und an Kosten hatte das Gericht Renchen 17.000 fl., das Gericht Oppenau 2.000 fl. und die übrigen Gerichte je 4.000 fl. vorgeschossen; vom Kloster Ettenheimmünster erhielt Bruder am 22. März glücklich ein Darlehen von 2.000 fl. Und mit dieser Belastung trieb man die Untertanen in der Herrschaft Oberkirch in Verzweiflung.

Am 4. April unterrichtete die Landvogtei Ortenau die markgräfliche Nachbarschaft von neuen Aufstandsgerüchten, die im OA Oberkirch umgingen. Mit den Ortenauern wollte man die Soldaten vertreiben, da man die Lasten nicht mehr aufzubringen vermochte. Die Lage wurde also wieder bedrohlich. Die von Rohan bewirkte Reichsexekution konnte zu einer neuen Aufstandsbewegung führen. Dieser Gedanke alarmierte den badischen Minister von Edelsheim und bewog ihn zu einer indirekten Intervention beim Kurfürsten von Mainz, dessen Kommissar ganz unter dem Einfluß des Landvogtes Bruder stand.

Edelsheim wendet sich an Staatsrat Johannes Müller

Zu diesem Zweck wandte er sich an den ihm befreundeten Johannes Müller, Ratgeber der Kurfürsten in Mainz(8), denn das brutale Vorgehen Bruders verdarb nicht nur sein politisches Konzept, einer Revolutionierung Deutschlands durch Gerechtigkeit und Milde vorzubeugen(9), sondern widersprach auch seiner humanen Gesinnung, die in einem Brief an Johannes Müller über die Lage der Bauern zum Ausdruck kam: "Freilich habe er Grund zu manchen Beschwerden; Militär, Jagd und Frohnden (corvées) lasten schwer auf ihm. Man müsse da Abhilfe schaffen und strenge Gerechtigkeit üben.(10)" Auch Blittersdorf war nicht weniger einsichtig. In seinem Bericht vom 30. August 1789 an den Präsidenten von Gayling über den Aufstand der Bauern in der Ortenau bemerkte er: "In vielen Sachen sollen sie nach dem Urteil von Sachkundigen Recht haben; aber es so zu erzwingen, ist doch gegen alle Pflichten.(11)" Edelsheim hatte mit Müller vereinbart, ihm jedesmal zu schreiben, wenn er etwas zu schreiben habe: "Jetzt bringt mich das arme Land Oberkirch und vor allem das Tal Oppenau dazu, die die Bösartigkeit eines einzigen Menschen, des Hr. Bruder, vollends ruiniert und die Einwohner der besagten unglücklichen Gegend zum höchsten Grad der Verzweiflung treibt. Ich sehe nicht nur mit Schrecken, daß menschliche Rechte mit Füßen getreten werden, sondern ich kann nur mit Schaudern eine unausweichliche Revolte voraussehen, die, wenn sie ausbricht, die ganze Umgebung in Feuer und Brand steckt. Man hat bereits mehr als 100.000 Gulden aus einem kleinen Staat gezogen, in dem man nicht einmal den 20. Teil des Geldes vermuten würde, und das nur, um dieser üblen Kreatur des Kardinales Rohan Gelegenheit zu geben, ungefähr den 10. Teil dieser Summe seinem Herrn abliefern zu können. Die Unkosten der Kommission verschlangen den Rest. Und obwohl man überzeugt ist, den Boden und die Zahlungsfähigkeit aller Einwohner ausgesogen zu haben, legt man ihnen eine tägliche Abgabe von 500 fl. auf, ohne das Ziel der Kommission erfüllt zu haben oder zu erfüllen. Man sperrt ein, man beginnt langsame und lange Prozeduren, blättert sämtliche Formalien auf, man hört niemanden an, sondern man verdirbt alles. Die Bürger behaupten, daß der pfälzische Kommissär summarisch vorzugehen wünscht, um den Auftrag zum Abschluß zu führen, der sehr schnell sein könnte, weil der Frieden sehr schnell wieder hergestellt wäre bei Leuten, die ihr früheres Unrecht zugeben und die nicht mehr verlangen, als ruhig zu leben; wenn man ihren Verfolger, den Schandfleck der Verwaltung, unverzüglich entfernen würde; diesen berüchtigten Herrn Bruder, über dessen Charakter und Falschheit es nur eine Stimme gibt, dessen Handlungen ausgesprochen tyrannisch sind und der sich alles erlaubt, um sein Ziel zu erreichen.(12)"

Die Abneigung gegen Bruder saß bei Edelsheim tief, und er bot nochmals alles auf, um Müllers Einfluß beim Kurfürsten zu nutzen: "Und wenn der Kardinal sich nicht von der Vernunft überzeugen lassen wolle, müsse er sich von den gewichtigeren Tatsachen beugen, daß, sobald die Kommission die Truppen zurückzöge - denn ohne diesen Beistand bliebe Bruder, der wie alle Leute seines Schlages den Nachteil hat, ein großer Feigling zu sein, nicht für ein Reich in dieser Gegend." Für den Fall, daß doch noch eine unvorhergesehene Revolte ausbrechen sollte und die beiden Kommissäre den von ihm vorgeschlagenen Weg der Milde billigten, könnten diese an den Markgrafen mit der Bitte um Hilfe herantreten. Angesichts dessen großer Verehrung für den Kurfürsten wäre dieser sicherlich gerne bereit, Truppen für die Niederschlagung auszuleihen. Nachdem Edelsheim mit diesem Hinweis wohl die letzten Bedenken ausräumen konnte, fügte er eindringlich hinzu: "Man muß Bruder bremsen, die Untertanen anhören, anstatt den Empfehlungen dieses teuflischen Bruders zu folgen, die Abgaben verringern, daß die Einwohner des Landes sie tragen können; nicht dulden, daß die Kommissäre es mit Bruder halten, und sich eines Mittels versichern, um sich Respekt zu verschaffen, dann wird alles gut gehen, und die Kommissäre behielten ihre Würde, ihr hohes Ansehen in puncto Gerechtigkeit und Rechtlichkeit, die sich einer von beiden mit vollem Recht erworben hat."

Bruder sucht die Zurückziehung der Truppen zu vereiteln

Am 19. April meldete von Blittersdorf, daß in Renchen von beiden Subdelegationshöfen der Befehl eingetroffen sei, die Truppen ganz oder bis auf einen kleinen Rest zurückmarschieren zu lassen. Bruder reiste sofort an beide Höfe, um den Vollzug des Befehls zu verhindern und womöglich eine Verstärkung der Exekutionstruppen zu erreichen; 360 Köpfe seien zu schwach, um dem Lande zu widerstehen. Blittersdorf lag mit seinen Vorschlägen ganz auf der Linie von Edelsheim: "Wenn der Hr. Kardinal die gehörige Mittel vorkehren, eine allgemeine Amnestie den Untertanen bewilligen, das Oberamt mit tüchtigen Beamten besetzen, den Landvogt Bruder, der allgemein verhaßt ist, und der nach Abgang der Truppen schwerlich sicher sein wird, entfernt, und im Falle der Not Serenissimus um Hilfe angehen, so bedarf es der Truppen, die alles verteuern, sicherlich nicht mehr. Sehr förderlich würde es ihro Durchlaucht dem Herrn sein, wenn dem H. Kardinal unter der Hand Gesinnung mit Geld und Truppen, jedoch nur mündlich gemacht würde, wenn man dahingegen genügsame Sicherheit erhielte.

Die Staufenbergischen Gerechtsamen im Oberkirchischen, so wie auch die Badische und Ebersteinische Lehensgerechtsame daselbst, die alle vernachlässigt sind, könnten alsdem vielleicht durch gütliche Unterhandlungen wieder hergestellt werden." Der Landvogt Bruder wisse nirgends mehr Geld aufzutreiben, das Militär ziehe die Außenstände der herrschaftlichen-, Gemeinde- und Kirchenkassen ein. Niemand widerstrebe der Schuldigkeit, nur Armut verursache die Säumigkeit. Und abschließend charakterisiert Blittersdorf die trostlosen Verhältnisse: "Fürst und Land sind verdorben. Kein Untertan darf mit dem ändern, ohne Gefahr von den Soldaten angepackt zu werden, reden."(13)

Kardinal Rohan hält die Reichsexekution für eine Wohltat

Nachdem der Kurfürst von Mainz seinem Kommissar Göbel den Befehl erteilt hatte, die Truppen bis auf einen kleinen Rest zurückzusenden, und der pfälzische Kommissar Geh. Rat von Geiger schon längst diesen Wunsch hegte und über die Zurückziehung der pfälzischen Truppen frei verfügen konnte, wurde eine entsprechende Übereinkunft getroffen, doch zuvor wollte man von den Gerichten nochmals die Versicherung der Unterwürfigkeit abverlangen. "Als dieses der Landvogt Bruder erfuhr, schützte er eine Geldnegoziation zu Frankfurt vor, ging aber geradezu nach Mainz, benützte dort eine Begebenheit, die sich über die Pfändung von 9 Ochsen im Oppenauer Tal zugetragen, wo man den Gepfändeten gar keine Frist gestatten wollte, und wo den Tag nachher einige Oppenauer Bauern geäußert, sie müßten ein Würfel (eine Anzahl Bauern) zusammenrufen, um die Ochsen wieder abzuholen. Die versammelten Bauern sind aber nicht ganz bis nach Oppenau gekommen, und die Gepfändeten haben sie selbst überredet, wieder zurückzukehren. Diesen Vorgang wird Landvogt Bruder wieder als eine neue Rebellion zu Mainz dargelegt haben. Dieses wird die Ursache sein, daß die Truppen geblieben.(14)"

Die Arbeit der Kommission nahm währenddessen ihren Fortgang; in Renchen sollten die Untersuchungen am 15. Mai beendet und in Oppenau fortgesetzt werden. Einzelne Oppenauer Bauern versuchten vorher noch ihr Glück bei Blittersdorf: "Ich habe ihnen keinen weiteren Trost geben können, als daß Ihre Durchl. der H. Markgraf alles tun würden, aber ob es bis zu dem 15. geschehen könne, daran zweifelte ich, die Zeit sei zu kurz. Ich habe ihnen zugeredet, sich dem Schicksal geduldig zu unterwerfen und sich vor jeder Widersetzlichkeit zu hüten. Wenn es doch höchsten Ortes bei Kurmainz bewirkt werden könnte, daß die Truppen nicht oder doch nur einige wenige mit der Kommission ins Tal kämen! Es wird nichts zu besorgen sein, wenn die Kommission die Bauern nicht zu Eingehung eines neuen Vergleichs mit dem Hr. Kardinal wegen der badischen beträchtlichen Lehenswaldungen zwingt, welches sie befürchten und von dem Landvogt Bruder betrieben wird.(15)"

Anfang Mai suchte der Hofrat Ebling den Kardinal Rohan, dessen Ankunft am 25. April erwartet worden war(16), in Zabern auf: "Er ist aber nicht vorgelassen worden. Man hat ihm zu erkennen gegeben, das Zutrauen des Hr. Kardinals gegen den Bruder daure fort; der Hr. Kardinal glaube, die Exekution sei eine Wohltat für das Land; den Bauern könne man jetzt den Ernst zeigen, Polizeieinrichtungen und andere Anordnungen treffen, die man bis nun habe unterlassen müssen. Wäre die Not so groß, als man sie vorspiegle, so würden die Gerichter selbst die Gnade des Herrn anflehen. Unglücklicher Fürst, und noch unglücklicheres Land!"

Edelsheim schickt Johannes Müller die Mahlberger Berichte

Es schien Edelsheim, daß der Kurfürst von Mainz in der Oberkircher Angelegenheit die Markgrafschaft für parteiisch und voreingenommen hielt, aber er wollte trotzdem nicht darauf verzichten - "da die Sache der Unglücklichen die der ganzen Menschheit ist" -, den Kurfürsten aufzuklären, um die Maßnahmen beendigt zu sehen, "die der Herr Bruder aus persönlichen Absichten plant und unterstützt und die unausweichlich den Ruin der Untertanen werden". In dieser Absicht, das Vorgehen des Landvogtes Bruder klarzustellen und den falschen Anschein zu zerstören, den das Vorgehen des Hauses Baden hervorrufen könnte, wandte er sich mit dieser Begründung erneut an Johannes Müller: "Ich glaube, das einfachste Mittel, das ich in dieser Hinsicht anwenden kann ist, Ihnen die Berichte zu schicken, die ich aus dem Oberamt Mahlberg erhalte; dabei vertraue ich sehr auf Ihre Verschwiegenheit, um sicher zu sein, daß Sie keinen anderen Gebrauch davon machen, als sie Sr. kurfürstl. Hoheit zu Gesicht bringen und sie mir dann wieder zurückzuschicken. Ich glaube zwar nicht, daß diese Angelegenheit in ihre Zuständigkeit fällt, aber ich wende mich an Sie als einen aufrichtgen und freimütigen Mann, der das Böse zu bekämpfen wünscht.(17)" Mit seinem Schreiben vom 21. Mai übermittelte Edelsheim Johannes Müller einen weiteren Bericht über die Situation im Oppenauer Tal.

Freiherr von Türckheim: So viel Härte war unnötig

Johann von Türckheim war erst vor einigen Monaten aus Straßburg in seine Herrschaft Altdorf übergesiedelt(18), nachdem er Ende 1789 sein Mandat als Deputierter des Elsasses bei der Nationalversammlung niedergelegt und auch als Mitglied des Schöffenrates in Straßburg seine Entlassung genommen hatte (2. Dezember 1789)(19). Er stand sowohl mit Edelsheim als auch mit seinem Nachbarn Blittersdorf in Mahlberg in Verbindung, so daß es höchstwahrscheinlich kein Zufall war, wenn er am 27. Mai, also 8 Tage nach dem Brief von Edelsheim, ein Schreiben von Johannes Müller beantwortete, das dieser bereits vor zwei Monaten an ihn gerichtet hatte. Offenbar hatte ihm dieser die Vorgänge im Oberamt Oberkirch aus der Sicht Bruders dargestellt und ihn um seine Meinung gebeten. Auch er war daran interessiert, daß das Regiment Bruders nicht zu neuen Aufständen mit unvorhersehbarer Ausweitung führe, deren mögliche politische Folgen er aus eigenem Erleben kannte, aber seine Parteinahme entsprang sicherlich ebensosehr seiner geistigen Haltung:

"Ich beende meinen Brief und antworte auf Ihr edles Vertrauen mit einer Offenheit, die Ihnen vielleicht mißfallen wird, aber ich versuche vergeblich, meine Erregung zu unterdrücken. Man hat Ihren Herrn getäuscht, man hat Sie getäuscht, wenn man ein schreckliches Instrument in Anspruch nimmt, um die unglücklichen Einwohner des Amtes Oberkirch zu bestrafen und zugrunde zu richten. Ich bin dem Herrn Kardinal de Rohan verbunden, aber noch mehr der Wahrheit, und man zerstört dieses Land aus freien Stücken. Selbst Ihr Kommissar zeigt dabei eine Parteilichkeit, die in der Umgebung nicht günstig beurteilt wird. Dies geschieht, indem er den Einflüsterungen eines ebenso gefährlichen wie schuldigen Mannes folgt: Ich meine denselben Vogt Bruder, der die Truppen angefordert und den Aufstand übertrieben dargestellt hat, der sein persönliches Ungemach auf dem Rücken seines Herrn rächt. Sie verdächtigen mich sicherlich nicht, daß ich die Sache der Aufständischen vertreten will; ich seufze zu sehr über das, was das Elsaß für immer verloren hat: aber die Lage erforderte keine solche Härte. Man konnte alles ohne solche hoffnungslosen Mittel wiederherstellen. Ich fühle mich nicht dazu berufen, Ihnen mehr darüber zu erzählen, aber das Herz blutet mir, wenn ich die grausamen Ungeschicklichkeiten sehe, die man den Kardinal begehen läßt und deren Augenzeuge ich fast geworden bin.(20)"

Die Exekutionstruppen wurden im Sommer abgezogen; mit ihnen marschierte eine Anzahl Talbewohner in die Zuchthäuser von Mannheim und Mainz. Der Landvogt Bruder blieb, und mit ihm ein Schreckensregiment, das noch weitere Opfer forderte(21).

[Anmerkungen]
1.) Hermann Baier, Die revolutionäre Bewegung in der Landvogtei Ortenau im Jahre 1789. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, NF Bd. XXIII, 1908, S. 312f.  
2.) Journal von und für Deutschland hrsg. von Siegmund Freiherr von Bibra, 6. Jg. 1789, S. 555f.  
3.) Politische (Korrespondenz Karl Friedrichs von Baden 1783-1806, bearbeitet von K. Obser, Bd. VI 1915, S. 20 Nr. 22 Landvogt von Blittersdorf an Gayling (Durbach, 6. November 1789).  
4.) Hermann Baier, a. a. O. S. 306.  
5.) Polit. Correspondenz VI, S. 20.  
6.) GLA Karlsruhe 169/326. Blittersdorf an Markgraf Friedrich v. 3. März 1790.  
7.) GLA 169/326. Bericht des Amtes Staufenberg (Blittersdorf) v. 30. März 1790. - Blittersdorf versah als Landvogt von Mahlberg zugleich das Amt Staufenberg. - Über den "elenden Charakter" des Oberamtmannes v. Bruder hatte sich Blittersdorf schon 1789 ausgelassen, u. a. in seinem Brief v. 16.9.1789 an Gayling (Polît. Corr. VI, S. 19).  
8.) Müller stand in kurmainzischem Dienst; Berater des Kurfürsten bei der Verteidigung der Rechte des Klerus, des Adels und der deutschen Fürsten im Elsaß. Durch ihn ließ der Kurfürst seine Briefe an Rohan, seine "Protestation Métropolitaine" gegen den Verkauf der Kirchengüter im Elsaß entwerfen (Karl Henking, Johannes von Müller 1752-1809, Bd. II 1780-1804, 1928, S. 274f.) Er wurde 1791 geadelt (Johannes, Edler von Müller zu Sylvelden, des H. R. R. Ritter). 7 Jahre später erbot er sich, revolutionäre Schriften zu verfassen (Raymond Guyot, Le Directoire et la paix de l'Europe, Paris 1911, S. 644 Anm. l (Brief vom 20. Dezember 1797 an den frz. Geschäftsträger Bacher in Basel).  
9.) Karl Henking. a. a. O. S. 269.  
10.) Polit. Correspondenz I (1783-1792) 1888, S. 446. Edelsheim an Müller o. D. exp. 2. 5. 1792.  
11.) Polit. Correspondenz VI, S. 14 Nr. 17. Blittersdorf an den Präsidenten von Gayling: Staufenberg, 30. August 1789.  
12.) Stadtbibliothek Schaffhausen (Nachlaß J. v. Müller). Edelsheim an Müller; Ettlingen 14. April 1790 (frz. Text).  
13.) GLA 169/326. Blittersdorf an Edelsheim, 19. April 1790.  
14.) Stadtbibl. Schaffhausen. Blittersdorf an Edelsheim, 6. Mai 1790 (Abschrift).  
15.) Ebd. - Vgl. dazu die ausführliche Darstellung von Josef Börsig, Geschichte des Oppenauer Tales, 1951. - Hans-Martin Pillin, Oberkirch, 1975, S. 115ff.  
16.) Am 10. Juli zerstörten etwa 600 Bauern aus der Gegend von Zabern seinen Tierpark ("einen Bezirk von acht Stunden"), töteten das Wild zu Tausenden und fällten die schönsten Bäume (Friese, Vaterländische Geschichte V, S. 75). Rohan zog sich in sein rechtsrheinisches Herrschaftsgebiet zurück. Vgl. dazu: Erwin Dittler, Emigrantentruppen in der Herrschaft Ettenheim unter Louis René Edouard, Prinz von Rohan-Guémenée, Fürst und Bischof von Straßburg, im Jahre 1791. In: Die Ortenau 55 (1975), S. 112-149.  
17.) Stadtbibl. Schaffhausen. Edelsheim an Müller; Ettlingen, 8. Mai 1790 (frz. Text).  
18.) Vgl. dazu: H. G. Freiherr von Türckheim zu Altdorf, Dorf und Herrschaft Altdorf. In: Geroldsecker Land 4 1961/62, S. 104ff.  
19.) L. Heinrich Engelhardt, Vaterländische Geschichte des Elsasses, Bd. V 1846, S. 369. Türckheim wurde 1774 im Straßburg zum Schöffen, 1775 zürn Ratsherrn, 1778 zum Ammeister und im Januar 1789 in die Generalstände gewählt. Vgl. dazu: Julius Rathgeber, Elsässische Geschichtsbilder aus der französischen Revolutionszeit, Basel 1886, S. 187ff.  
20.) Stadtbibl. Schaffhausen. Türckheim an Müller; Altdorf, 27. Mai 1790 (frz. Text).  
21.) Josef Börsig, S. 385.  

Dem Generallandesarchiv Karlsruhe und der Stadtbibliothek Schaffhausen sei hier für ihre freundl. Unterstützung gedankt, ebenso Herrn Dr. Raulff für seine Ubersetzungshilfe.

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