Der Advokat Friedrich Frech - Oberkirch


Die Stadt Oberkirch in den Revolutionsjahren 1848/49 - Hans-Martin Pillin - die Ortenau 1998 / 457 ff

Die Ereignisse der Revolutionsjahre 1848 / 1849 strahlten in starkem Maße auf die Bürgerschaft der Stadt Oberkirch aus und entfachten bei ihr eine Aktivität, die in der Geschichte der Stadt ohne Beispiel ist. Alle bedeutsamen Fragen der Revolution wurden in dieser badischen Kleinstadt lebhaft diskutiert, und nahezu jeder revolutionäre Vorgang, der sich in den großen Brennpunkten der Revolution abspielte, löste entsprechende Reaktionen unter der Bürgerschaft Oberkirchs aus. Infolgedessen kann das Typische der badischen Revolution von 1848 / 49 deutlich anhand der Ereignisse in Oberkirch studiert werden.

Auf der Suche nach den Ursachen dafür, daß Oberkirch zu denjenigen Gemeinden des Großherzogtums Baden gehörte, die am stärksten durch die Revolution "aufgewühlt" wurden,(1) gelangt man zu der Erkenntnis, daß mehrere Faktoren das Eintreten der Bürger Oberkirchs für die Sache der Revolutionäre auslösten.

Einmal muß in Betracht gezogen werden, daß die Stadt Oberkirch in den badischen Staat eingebettet war, der eine lange Grenze zu Frankreich hatte, wo im Februar 1848 erneut eine Revolution ausgebrochen war, in deren Verlauf unter anderem Forderungen nach mehr Demokratie und sozialer Gerechtigkeit aufgestellt wurden.

Die beiden Rädelsführer der Oberkircher Bürgerschaft, die Rechtsanwälte Max Werner und Friedrich Frech, treffen wir in den beiden Revolutionsjahren mehrfach in Straßburg an, wo sie sich in kritischen Situationen in Sicherheit fühlen konnten und von wo aus sie mit ihren französischen Gesinnungsfreunden neue revolutionäre Aktionen planten(2). Aber auch andere Oberkircher Bürger kamen während der Revolution hin und wieder nach Straßburg. So wurde beispielsweise am 8. September 1848 von Oberkirch aus eine Abordnung zu Hecker nach Straßburg entsandt, um ihm vor seiner Emigration nach den USA Abschiedsgrüße zu überbringen(3).

Impulse bekam die freiheitliche Bewegung in Oberkirch neben der räumlichen Nähe Straßburgs bzw. Frankreichs auch durch die Unzufriedenheit weiter Kreise der Stadt mit der Struktur des badischen Staates. Zur Erhärtung dieses Sachverhaltes sei auf die Petition der Stadtgemeinde Oberkirch vom Winter des Jahres 1848/1849 verwiesen(4), in der die Abschaffung der ersten Kammer (= Adelskammer), die Auflösung der zweiten Kammer (= Volkskammer) und die Einberufung einer einzigen gesetzgebenden Kammer gefordert wurde. Mit Mißfallen betrachteten die Oberkircher Republikaner außerdem das Zensuswahlsystem, das den Wahlen zur zweiten Kammer zugrundegelegt wurde, weil es die Wohlhabenden bevorzugte.

Kritik brachten die republikanisch gesinnten Bürger Oberkirchs überdies der starren Bürokratie des großherzoglichen Staates entgegen. Die bürokratische Staatsdienerschaft, mit der die Bürger Oberkirchs unmittelbar konfrontiert wurden, denn in ihrer Stadt war der Sitz eines der großherzoglich-badischen Ämter, hatte sich der Stadtbevölkerung gegenüber weitgehend entfremdet und mußte sich folglich im Verlauf der Revolution die Forderung nach der Abschaffung des Heeres von Beamten gefallen lassen(5).

Indirekte Auswirkungen auf das Verhalten der Oberkircher Bürgerschaft hatte auch die große Wirtschaftskrise von 1845 bis 1847. Sie traf vorab das selbständige Kleingewerbe der Stadt, denn die Mißernten nahmen dieser Schicht die Möglichkeit zu begrenzter Selbstversorgung bei schnell steigenden Lebensmittelpreisen und zurückgehenden Aufträgen. Obgleich die Wirtschaftskrise in Oberkirch nicht zu revolutionären Aktionen führte, so nährte sie dennoch auch bei den nicht unmittelbar Betroffenen die Überzeugung, daß etwas faul sei im Staate Baden und im Deutschen Bund(6).

Die entscheidenden Voraussetzungen für die freiheitliche Bewegung in der bürgerlichen Kleinstadt Oberkirch schufen zweifellos die beiden bereits genannten Oberkircher Rechtsanwälte Max Werner und Friedrich Frech.

Max Werner, ein Mann von untersetzter Statur, mit hellbraunen Haaren, grauen Augen, einem braunen Bart und mit einer Hiebnarbe im Gesicht(7) - inzwischen gibt es ein Phantombild von ihm - verstand es, als radikaler Republikaner sich durch seine rhetorische Gewandtheit und durch seine juristischen Kenntnisse sowohl in Oberkirch als auch in allen maßgeblichen Gremien der badischen Revolutionäre großen Einfluß zu verschaffen. Auf der Offenburger Versammlung vom 13. Mai 1849 wählte man ihn zum Mitglied des Landesausschusses, beim Oberkommando im Hauptquartier der Armee hatte er die Stelle eines Zivilkommissärs inne, als Mitglied der konstituierenden Versammlung wurde er zum ersten Stellvertreter des Vorsitzenden ernannt, und schließlich übernahm er als Mitglied des Direktoriums die Leitung des Kriegsministeriums(8).

Dieselbe politische Gesinnung wie Max Werner vertrat Friedrich Frech, der wie Werner in Oberkirch eine Antwaltspraxis betrieb. Besonders er mobilisierte die Oberkircher Bürgerschaft durch seine zu Haß und Verachtung gegen die Regierung gerichteten aufreizenden Reden für die Sache der Republikaner. Sein radikales Vorgehen machte ihn bei der Bevölkerung Oberkirchs zu einem gefürchteten Demagogen, dem man nicht zu widersprechen wagte. Über die Stadt Oberkirch hinaus machte er seinen Einfluß im regierenden Landesausschuß geltend, wo er die Stelle eines Schriftführers bekleidete.

Die politischen Vorstellungen der Rechtsanwälte Werner und Frech fanden erstaunlich schnell Zugang beim Oberkircher Bürgertum, das sich bereits im Jahre 1842 durch die Gründung des republikanisch gesinnten Oberkircher Bürgervereins politisch organisiert hatte(9). Innerhalb des Oberkircher Bürgertums, das sich als Träger der Freiheitsbewegung betrachtete, taten sich besonders die Wirte, die Handelsleute, die Handwerksmeister, die Lehrer und die in der Stadt ansässigen Akademiker als Verfechter republikanischer Ideen hervor(10). Daß sich fast alle Oberkircher Wirte der Sache der Revolution verschrieben, wurde von großer Bedeutung für die Freiheitsbewegung in der Stadt Oberkirch, denn die Wirte stellten immer wieder ihre Gasträume als politisches Forum zur Verfügung.

Wenden wir uns nun dem Verlauf der Revolution in Oberkirch zu. Bereits im Jahre 1847 lassen sich Anzeichen dafür erkennen, daß in naher Zukunft die Stadt Oberkirch ein Aktionsfeld für die Gegner des großherzoglichen Regierungssystems würde.

Auf den Personenkreis, von dem aus schließlich in Oberkirch der Anstoß zum Handeln ausgehen sollte, wurde die badische Regierung am 24. August 1847 aufmerksam, und zwar über einen Bericht des Brigadiers Berger(11). Dieser schrieb nach Karlsruhe, daß am Nachmittag des 23. August 1847 gegen 15.30 Uhr der Abgeordnete Richter aus Achern und ein gewisser Advokat Strube (= Struve) aus Mannheim in Oberkirch angekommen und im Gasthaus zur Oberen Linde abgestiegen seien. Die Oberkircher Advokaten Frech und Werner. einige Oberkircher Bürger sowie der Offenburger Bürgermeister Ree hätten die Gäste daselbst empfangen. Nach Ablauf einer Stunde seien weitere 40 Oberkircher Bürger, Wirte, Kaufleute, einige Gemeinderäte und Anhänger des bekannten Advokaten Frech zu der erwähnten Gesellschaft gestoßen. Sämtliche Anwesenden hätten im zweiten Stock des Gasthauses zur Linde an einem Gastmahl teilgenommen. Nachdem man bis 22.30 Uhr getagt habe, seien alle in größter Ruhe weggegangen. Bei dieser Zusammenkunft soll nach Auskunft des Rappenwirts Christ durchaus nichts Aufreizendes oder sonst Bemerkenswertes besprochen worden sein. Berger konnte demnach nicht in Erfahrung bringen, daß diese Zusammenkunft nichts anderes war, als eine Vorbesprechung zu der geplanten Offenburger Versammlung der entschiedenen Verfassungsfreunde vom 12. September 1847.

Das Signal zum Handeln gab zweifellos die bereits erwähnte Februarrevolution des Jahres 1848 in Frankreich. Sie machte sich in Baden zunächst in Volksversamlungen und Petitionen Luft, wobei es zu diesem Zeitpunkt bei der Formulierung der sogenannten Märzforderungen noch einmal zum Zusammenwirken von gemäßigten Demokraten, die z. B. eine konstitutionelle Monarchie für erstrebenswert hielten, und radikalen Anhängern der Republik kam(12).

Die badische Regierung hielt es schließlich für opportun, den Liberalen entgegenzukommen. Sinnfällig kam dies in der Berufung liberaler Politiker, der sogenannten Märzminister, in das badische Kabinett zum Ausdruck.

In der Stadt Oberkirch war es bereits in den ersten Tagen des März 1848 zu Unruhen gekommen, die unverkennbar politischer Natur waren(13). In den Reihen des Bürgertums der Stadt erscholl der Ruf nach Freiheit und nach der Republik. Am Fastnachtssonntag, der 1848 auf Anfang März fiel, stellten Oberkircher Bürger eine schwarz-rot-goldene Fahne, das Symbol der Republik, beim Lokal des Oberkircher Bürgervereins auf(14). Am nächsten Tag hißte man diese Fahne beim Schrempp’schen Bierhaus, das außerhalb des Stadtzentrums lag, und am Dienstag nach dem Fastnachtssonntag brachte man die Fahne wieder zurück zum Lokal des Bürgervereins. Der schwarz-rot-goldenen Fahne sollen jeweils viele Oberkircher Bürger zusammen mit dem Bürgermeister und den Stadträten gefolgt sein, wobei die Teilnehmer des Zuges immer wieder gerufen haben sollen Es lebe die Freiheit und Es lebe die Republik. Die Bürger der Stadt schmückten sich überdies mit schwarz-rot-goldenen Kokarden und bekannten sich damit eindeutig zur Idee der Republik.

Der Bürgerschaft Oberkirchs scheint bald klar geworden zu sein, daß ihr Verhalten Repressalien von seiten der badischen Regierung zur Folge haben könnte. Dies geht unter anderem daraus hervor, daß der Oberkircher Stadtrat am 7. März 1848 eine Abordnung von Bürgern nach Straßburg schickte, wo sie im dortigen Zeughaus Waffen kaufen sollte. Dieser Gang war jedoch erfolglos, da das Straßburger Zeughaus nur auf Anweisung des badischen Bezirksamts in Oberkirch und nicht auf Weisung des Oberkircher Stadtrats Waffen herausgeben durfte. Die Oberkircher Schmiedemeister schmiedeten deshalb in aller Eile gestreckte Sensen, die sie auf dem Oberkircher Markt zum Kauf anboten(15).

Inzwischen war die badische Regierung auf den Plan getreten, denn sie befürchtete, daß die bedenkliche Stimmung, die in Oberkirch und Umgebung herrschte, zu größeren Ausschreitungen führen könnte. Sie beauftragte deshalb den großherzoglichen Hofgerichtsdirektor Dr. Christ, sich sogleich nach Oberkirch zu verfügen, mit dem Amte daselbst sich über den Stand der Dinge ins Benehmen zu setzen und sodann durch Zusammenberufung der Bürger sie über ihre Pflichten zu belehren und zur gesetzmäßigen Ordnung zurückzuführen(16). Die großherzogliche Regierung in Karlsruhe drohte der Stadt Oberkirch sogar mit der Herbeiziehung einer Militair-Macht, wenn die Mission Dr. Christs scheitern sollte.

Dr. Christ konnte es als Erfolg verbuchen, daß es nach seinem Weggang aus Oberkirch daselbst für einige Zeit ruhig blieb. Nachts patrouillierten von da an die Bürgerwachen durch die Straßen der Stadt; sie hatten den Befehl, Ruhestörungen sofort energisch entgegenzutreten.

Dem badischen Emissär war es jedoch nicht gelungen, den für einen dauerhaften Frieden erforderlichen Gesinnungswandel unter der Oberkircher Bürgerschaft herbeizuführen. Besonders deutlich bestätigte sich dies am 19. März 1848. Am Morgen dieses Tages machten sich etwa 130 Bürger der Stadt auf den Weg nach Offenburg, um an der für diesen Tag anberaumten Volksversammlung teilzunehmen. Die meisten Oberkircher Teilnehmer waren mit Gewehren ausgerüstet, ungefähr 20 trugen die bereits erwähnten gestreckten Sensen als Waffe mit sich(17).

Mit dem Gedanken vertraut, daß Versammlungen und Vereine das Rückgrat der Revolution in Baden werden sollten, kehrte die Oberkirch-Abordnung am Abend des 19. März 1848 nach Oberkirch zurück. Mit der Parole Es lebe die Freiheit, es lebe die Republik zogen die Oberkircher Demokraten in die Stadt ein. Offensichtlich waren sie von den in Offenburg verteilten Flugblättern inspiriert, die mit den Worten schlossen: Fort mit den Fürsten und ihrem Anhang! Wir wollen uns selbst regieren, einig, frei und wohlfeil. Es lebe die Republik(18).

Neuen Auftrieb bekamen die Anhänger der Republik in der Stadt Oberkirch, als man in der Stadt den Termin für die auf den 2. April 1848 angesetzte Volksversammlung in Achern bekanntgab. Zu den Initiatoren dieser Versammlung gehörte auch der Oberkircher Rechtsanwalt Max Werner, der auf dem dort verteilten Flugblatt als gewähltes Mitglied des Kreisausschusses erscheint(19).

Die badische Regierung betrachtete die Acherner Demonstration der Republikaner mit besonderem Argwohn. Sie war gewillt, gegen die Redner, die dort aufrührerische Reden hielten, gesetzliche Maßnahmen zu ergreifen(20). Die harte Haltung der badischen Regierung wird verständlich, wenn man das Flugblatt studiert, das unter den Versammlungsteilnehmern verteilt wurde. Es nennt alle wesentlichen Forderungen, die von den Revolutionären im ganzen deutschsprachigen Raum aufgestellt worden waren, nämlich die Forderung nach Grundrechten, nach Bildung eines deutschen Nationalstaates, nach einer parlamentarischen Demokratie nordamerikanischen Musters, nach Ausgleich zwischen Kapital und Arbeit, nach Abschaffung der Binnenzölle und Errichtung eines Schutzzolls nach außen. Es enthält aber auch einige Programmpunkte, die speziell auf die Verhältnisse der mittelbadischen Amitsstädte zugeschnitten waren. Dazu gehörte einmal die Forderung nach Abschaffung der Bevormundung der Gemeinden und Ersetzung derselben durch ein auf der Grundlage der Selbstverwaltung ruhendes Gemeindegesetz, zum andern die Forderung nach dem uneingeschränkten Vereins- und Versammlungsrecht des Volkes.

Wie begründet die zuletzt genannte Forderung aus der Sicht der Oberkircher Republikaner war, zeigte sich beispielsweise im September 1848, als die badische Regierung die Volksversammlung verbot, die am 24. September 1848 in Oberkirch stattfinden sollte(21).

Neue Aktivitäten löste in der Stadt Oberkirch der Heckerzug aus. Hecker und Struve, die auf dem parlamentarischen Aktionsfeld in der Frankfurter Paulskirche unterlegen waren, faßten den Beschluß, den Schauplatz des Parlaments zu verlassen und die von ihnen erstrebten Ziele mit Waffengewalt zu erreichen: Mitte April 1848 wurde in Konstanz die Republik ausgerufen und der bewaffnete Vorstoß Heckers und Struves beschlossen. Unter möglichster Schonung der Bevölkerung rückten unter Führung Heckers und Struves 6000 Mann in drei Kolonnen von Donaueschingen, Konstanz und Lörrach auf Freiburg vor. Die Freischärlerkolonnen wurden jedoch bald in getrennten Gefechten bei Kandern, Freiburg und Steinen von den Truppen des 7. und 8. Bundeskorps geschlagen, das an Zahl, Ausrüstung, Disziplin und Führung den Freischärlern weit überlegen war(22).

Als in Oberkirch die Nachricht vom Vorrücken Heckers und seiner Freischärlerkolonnen verbreitet wurde, beschlossen die Bürger Oberkirchs und anderer Gemeinden der Ortenau, Hecker zu Hilfe zu eilen. Am 25. April formierte sich der Zug in Achern. Als Anführer wurden der Oberkircher Advokat Werner und der Acherner Arzt Habich bestimmt, die ihren Zug zu einem Zeitpunkt, als der Heckerzug schon aufgerieben worden war, über Kappelrodeck und Waldulm nach Oberkirch führten. Dort waren schon alle Empfangsvorbereitungen getroffen worden(23). In der Nacht vom 24. zum 25. April hatte man überall in der Stadt Schildwachen aufgestellt, und Patrouillen waren ausgeschickt worden, die die Aufgabe hatten, mögliche Maßnahmen der in Oberkirch ansässigen Beamten des Bezirksamts Oberkirch zu vereiteln und diese Beamten genauestens zu überwachen.

Diese Vorkehrungen waren zweifellos angebracht, denn in der Nacht vom 23. zum 24. April hatten Oberkircher Bürger die Repräsentanten des badischen Staates in Oberkirch dadurch provoziert, daß sie eine hohe Ministerialverfügung, die am Oberkircher Rathaus öffentlich angeschlagen worden war, mit Kot bewarfen. Sie begründeten ihr Tun damit, daß diese Verfügung nur für die Amtmänner, jedoch nicht für das Volk gelte(24).

Drei Stunden weilten die etwa 200 Freischärler im Schrempp’schen Bierhaus, das außerhalb des Stadtkerns von Oberkirch lag. Dann zogen sie in Richtung Oppenau weiter.

Der von Werner und Habich geführte Freischärlerzug versetzte die Bewohner des Renchtales in eine derartige Unruhe, daß in einigen Ortschaften sogar die Sturmglocke geläutet wurde(25).

Die Freischärler waren noch nicht weit von Oberkirch entfernt, als sie die für sie unheilvolle Botschaft von der Niederlage der Freischärler Heckers bei Freiburg übermittelt bekamen(26). Die Folge davon war, daß sich der Zug sofort auflöste und jeder versuchte, möglichst schnell und unbeobachtet nach Hause zu eilen.

Der Oberkircher Advokat Werner floh nach Straßburg, wo er vor den Zugriffen der großherzoglichen Polizei sicher sein konnte. Vermerkt sei in diesem Zusammenhang, daß Werner das Scheitern des Heckeraufstandes mit in seine Rechnung eingeplant hatte, denn er hatte kurze Zeit zuvor sein ganzes Vermögen durch Scheinverträge an seine nächsten Verwandten überschrieben. Den Beamten des badischen Staates wurde es somit unmöglich gemacht, Werners Privatbesitz zu konfiszieren(27).

Wie richtig Werner die Lage eingeschätzt hatte, das zeigte sich bereits am 20. April 1849. An diesem Tag waren drei Gendarmen nach Oberkirch gekommen, um dort Werner wegen seiner Teilnahme an einem revolutionären Aufiritt in Offenburg zu verhaften. Bei dieser Aktion stellte sich die Bürgerschaft Oberkirchs uneingeschränkt hinter Werner. Zwischen 15 und 20 Bürger besetzten nämlich das Oberkircher Haus Werners in dem Augenblick, als die drei Gendarmen Werner verhaften wollten. Außerdem wollten die Anhänger Werners von den drei Gendarmen wissen, was sie denn hier zu suchen hätten. Der Brigadier Dewerth kam schließlich zu der Auffassung, daß ein Militärkommando von 200 Mann völlig aufgerieben würde, sobald es den Advokaten Werner verhaften wolle(28).

Werner konnte bald aus seinem französischen Exil zurückkehren, denn man hatte ihn bei der Wahl zur Paulskirchenversammlung in Frankfurt im Wahlbezirk Offenburg, Gengenbach und Oberkirch zum Stellvertreter des Abgeordneten Rée, des Bürgermeisters von Offenburg, gewählt(29). Man kann sich gut vorstellen, mit welcher Befriedigung die Anhänger Werners in Oberkirch den Erfolg ihres führenden Kopfes feierten.

Werners Mitstreiter, Rechtsanwalt Friedrich Frech, war inzwischen auch nicht untätig gewesen. Er profilierte sich immer mehr als Leiter des demokratischen Vereins von Oberkirch. Dieser Verein, dessen Vorstand der Oberkircher Bierbrauer Theodor Schrempp war, zählte etwa 30 Mitglieder, die offen das Zeichen der Republik an ihren Westen trugen. Um die Zahl der Mitglieder des demokratischen Vereins zu erhöhen, betrieb Frech eine rege Propagandatätigkeit, unter anderem durch ein Flugblatt mit dem Titel Deutsches Rechnungsexemplar, das er im April 1848 unter der Bevölkerung Oberkirchs verteilte. Möglicherweise wiegelte Frech damit gegen die deutschen Fürsten auf, die den Bürger nach seiner Meinung über 70 Millionen Taler kosten(30).

Durch das starke Engagement ihrer Bürger für die Sache der Demokraten machte die Stadt Oberkirch über die Stadtgrenzen hinaus immer mehr von sich reden. Diesem Tatbestand ist es wohl zuzuschreiben, daß man Oberkirch als Tagungsort für eine neue Volksversammlung bestimmte, die am 15. August 1848 im Schrempp’schen Bierhaus stattfand. Etwa 150 bis 200 Personen hatten sich angesagt, unter anderen auch Mitglieder der Straßburger Nationalgarde. Jedoch nur etwa 40 Personen zogen am besagten Tag in militärischer Uniform mit einer Fahne in Oberkirch ein. Ihnen schloß sich die begeisterte Oberkircher Volksmenge an. Als der Zug unter Musikbegleitung beim Schremppschen Bierhaus angelangt war, sangen alle Anwesenden das Heckerlied und ließen den berühmten Revolutionär mehrmals hochleben(31).

Wie bedingungslos sich die Bevölkerung Oberkirchs der republikanischen Bewegung angeschlossen hatte, das bezeugte sie erneut am 29. August 1848, dem Geburtstag des Großherzogs von Baden. Weder Glockengeläute noch Böllerschüsse kündigten in diesem Jahr den Festtag in der Stadt Oberkirch an. Die Gruppe der Anhänger des Großherzogs war auf neun Personen zusammengeschrumpft. Unter ihnen befanden sich der Vorsteher des Amts Oberkirch und seine Unterbeamten. Nur die erwähnten neun Personen nahmen an dem Zug teil, der wie jedes Jahr am Geburtstag des Großherzogs vom Oberkircher Amtshaus zur Pfarrkirche führte. Ostentativ blieben erstmals auch der Bürgermeister und der Stadtrat von Oberkirch der Zeremonie fern, obgleich sie vom Oberkircher Amtsvorstand schriftlich zur Teilnahme eingeladen worden waren. Selbst die Schulkinder durften auf Anweisung ihrer Eltern, übrigens gegen den Willen der Lehrer, sich nicht dem Zug zu Ehren des Großherzogs anschließen.

Nur wenige Tage sollten vergehen, bis sich den Bürgern Oberkirchs eine neue Gelegenheit bot, sich in Szene zu setzen, und zwar auf der Acherner Volksversammlung vom 10. September 1848. Am Morgen dieses Tages machten sich die Oberkircher Republikaner mit ihrer Fahne auf den Weg zum Versammlungsort(32).

In Achern hörten sie gewichtige Forderungen, wie diejenige nach der Auflösung der badischen Volks- und Adelskammer und der Einsetzung einer verfassungsgebenden Versammlung; auch die Anwendung bewaffneter Gewalt zur Durchsetzung republikanischer Ziele wurde proklamiert; überdies sollte die politische Arbeit und Agitation in Vereinen, Volksversammlungen und Petitionen intensiviert werden; aber auch die Forderung nach dem Sturz der reaktionären Regierung wurde von cinigen Rednern erhoben.

Als die Oberkircher Delegation am Abend des 10. September 1848 nach Oberkirch zurückkehrte, wurde sie mit Hochrufen auf Hecker und die Republik von der Bevölkerung empfangen. Angeregt durch die Eindrücke, die sie in Achern sammeln konnten, organisierten die Rückkehrer zusammen mit den Daheimgebliebenen, unter denen auch die Weibsleute und die Schulknaben waren, am gleichen Abend einen Marsch durch die Stadt und vollführten vor der Wohnung des Rechtspraktikanten Beust, vor dem Amtshaus und nach 22 Uhr vor der Wohnung eines Rechtspolizeiassistenten eine "Katzenmusik". Außerdem versuchten die Teilnehmer des Protestmarsches, den inhaftierten Oberkircher Freischärler Georg Stehler zu befreien(33). Nur mühsam gelang es dem Oberkircher Bürgermeister und dem Brigadier Dewerth, die fanatisierte Volksmenge zu beruhigen und schließlich zum Heimgang zu bewegen. Bei seinen Beschwichtigungsversuchen mußte sich der genannte Brigadier folgende Bemerkung eines Oberkircher Stadtrates gefallen lassen: "Jetzt haben wir einen Volksstaat und keinen Polizeistaat mehr, in Karlsruhe sogar hat man inmitten der Bajonette einem Mißliebigen zweimal Katzenmusik gemacht, sohin wird es hier auch geschehen dürfen(34)."

Neuen Zündstoff lieferte der Bürgerschaft Oberkirchs der Struveputsch vom September 1848. Struve und seine Anhänger wollten eine allgemeine Massenerhebung ins Leben rufen, nachdem sie in der verfassungsgebenden Nationalversammlung in Frankfurt ihren Zielen nicht zum Durchbruch verhelfen konnten. Struves Ausgangspunkt war die Schweiz, von der aus er am 21. September 1848 den bewaffneten Aufstand nach Deutschland hineintrug. Am selben Tag rief er vom Rathaus in Lörrach die Republik aus. Das Symbol ihrer Bewegung war die rote Binde, die übrigens auch in Oberkirch von den Mitgliedern des demokratischen Vereins getragen wurde. Struve ereilte jedoch bald dasselbe Schicksal wie vor ihm Hecker: Am 24. September 1848 trieben badische Truppen die Freischaren Struves bei Staufen auseinander. Struve wurde gefangengenommen und im März 1849 in Freiburg vor cin Schwurgericht gestellt, das ihn zu 8 Monaten Zuchthaus verurteilte(35).

Zwei Tage, nachdem Struve in Lörrach die Republik ausgerufen hatte, tauchte Advokat Werner, aus seinem Exil kommend, wieder in Oberkirch auf. Die Bürger der Stadt registrierten sein Kommen mit Freude(36).

Möglicherweise auf Werners Initiative hin schrieb Friedrich Frech am 24.September 1848 Einladungen zu einer erneuten Volksversammlung in Oberkirch, die jedoch nicht stattfinden konnte, weil die badische Regierung in Karlsruhe die geplante Oberkircher Volksversammlung mit der Begründung verbot, daß sie im Hinblick auf die Unruhen in Lörrach die öffentliche Sicherheit und das allgemeine Wohl bedrohe(37).

Advokat Frech war über das Versammlungsverbot so sehr erbost, daß er am darauffolgenden Sonntag vor den Oberkircher Kirchgängern eine seiner bissigen Reden gegen den badischen Staat und vor allem gegen den Oberkircher Amtmann hielt, da dieser der Regierung Mitteilung über die geplante Oberkircher Volksversammlung gemacht hatte. Frech forderte die Kirchgänger unter anderem zu einer Revolte gegen die schlechte, liederliche und lumpige Regierung auf, welche die Kassen bestohlen und beraubt habe. Überdies gab Frech zu bedenken, daß die badische Regierung allen Bürgern Einquartierungen zumute; heute noch kämen 1000 Preußen nach Oberkirch: die werden euch ausrauben, daß ihr nichts mehr habt. Aufgrund dieser Rede wurde Frech gerichtlich verfolgt. Seiner Verhaftung konnte er nur durch die Flucht entgehen(38).

Glaubte die Regierung, durch die gerichtliche Verfolgung Frechs die Bevölkerung Oberkirchs einschüchtern zu können, dann wurde sie bald eines anderen belehrt. Den Ausgangspunkt für diese Belehrung lieferte die Erschießung des Revolutionärs Robert Blum am 8. November 1848 in Wien. Zu Ehren des hingerichteten Revolutionärs veranstalteten die Bürger Oberkirchs Versammlungen und Totenfeiern, und für dessen Hinterbliebene sammelte man sogar Geld. Die badische Regierung sah sich daraufhin gezwungen, wieder einmal einen Regierungsbeamten nach Oberkirch zu schicken, der dort die Vorfälle auf den Robert-Blum-Gedächtnisversammlungen zu ermitteln und die Untersuchung der vorgenommenen Gesetzeswidrigkeiten zu veranlassen hatte(39).

Während der Wintermonate 1848/49 konzentrierte sich die Hauptarbeit der Oberkircher Republikaner auf den Ausbau bzw. die Neuformierung ihres Vereins, der sich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr "Demokratischer Verein", sondern "Volksverein" nannte. Der Oberkircher Volksverein machte es sich zur Aufgabe, bei der Vorbereitung einer neuen revolutionären Bewegung in Baden mitzuhelfen. Er zählte bald 70 Mitglieder und stand über den Offenburger Kreisverein mit dem Zentralverein in Mannheim in Verbindung, den er auch durch Gelder unterstützte(40).

Vom Oberkircher Volksverein, der nach der Beschaffung von Waffen auch eine Art Bürgerwehr darstellte, gingen im Winter 1848/49 durch die Abfassung von Petitionen an das badische Parlament neue Impulse zur Verwirklichung republikanischer Ziele aus. Die bekannteste, an die zweite badische Kammer gerichtete Petition der Stadt Oberkirch enthält folgende dringende Forderungen des Volkes(41):

1. Die zweite badische Kammer solle aufgelöst werden, da sie in ihrer Mehrheit zur steten Dienerin der beim alten Bevormundungssysteme verbliebenen Regierung herabgesunken und so die Haupigehilfin derselben zur Volksunterdrückung geworden sei.

2. Auch die erste badische Kammer solle abgeschafft werden, denn sie sei zur rechtlich unmöglich gewordenen Hemmanstalt der bürgerlichen Freiheit geworden.

3. Statt der beiden Kammern solle eine Einzige gesetzgebende Kammer geschaffen werden, die unmittelbar vom Volke ausgehen und zu deren Wahl jeder volljährige badische Staatsbürger ohne Beschränkung des Wahlrechtes berufen werden soll. Ihre Hauptaufgabe soll darin bestehen, die Grundrechte des Volkes festzusetzen und eine allgemeine deutsche Staatsverfassung auszuarbeiten.

Der Ausschuß der zweiten badischen Kammer lehnte jedoch sämtliche ihm vorgelegte Petitionen aus Oberkirch und den anderen Orten des Großherzogtums Baden ab. Die zweite badische Kammer vergab sich damit im Grunde die Chance, ihre zentrale Funktion als Mittlerin zwischen Staat und Gesellschaft wahrzunehmen. Diese Haltung förderte die politische und soziale Polarisierung, solidarisierte die extremen Republikaner und die gemäßigten Demokraten und verhalf der Vorstellung zum Durchbruch, daß nur noch illegale Mittel erfolgversprechend seien(42).

Den Stein ins Rollen brachten die Ereignisse auf dem Kongreß der Volksvereine, der am 12. und 13. Mai 1849 in Offenburg tagte. Zu diesem Kongreß kam auch eine Anzahl von Bürgern aus Oberkirch mit ihren von Pferden oder Ochsen gezogenen Leiterwagen. Die am 13. Mai der Offenburger Volksversammlung vorgelegten Entschließungen enthielten folgenschwere Punkte, wie z. B. das Widerstandsrecht des deutschen Volkes gegenüber den Fürsten, die der rechtmäßig beschlossenen Reichsverfassung von Frankfurt die Anerkennung verweigerten(43).

Die an den Grundfesten des badischen Staates rüttelnden Offenburger Beschlüsse, aber auch die Soldatenmeutereien in Rastatt und der Aufstand der Karlsruher Garnison zwangen den Großherzog schließlich zur Flucht. Koblenz wurde Sitz der badischen Exilregierung.

Die einzige Instanz, die nunmehr eine gewisse überregionale Autorität besaß, war der Landesausschuß der Volksvereine, zu dessen Mitgliedern auch der Oberkircher Advokat Max Werner gehörte(44). Die von den Revolutionären ins Leben gerufene vierköpfige Exekutivkommission wurde am 1. Juni 1849 zur provisorischen badischen Regierung umgewandelt.

Der Sieg der Revolutionäre über den großherzoglichen Staat wirkte sich in der Stadt Oberkirch dahingehend aus, daß dort revolutionäre Organe eingerichtet wurden, die das Stadtregiment übernahmen bzw. kontrollierten. Die wichtigsten Organe waren zweifellos der Wehr- und Sicherheitsausschuß sowie das Amt des Zivilkommissars, dessen Macht nahezu unumschränkt war. Bei Nichtbefolgung seiner Befehle und Anordnungen hatte der Zivilkommissar das Recht, Strafen zu verhängen, und seit Juni 1849 sogar die Möglichkeit, das Standrecht anzudrohen(45). Zu seinen Aufgaben gehörte ferner die Durchführung von Befehlen der revolutionären Regierung und die Einübung der Bürgerwehr.

Bis zum 29. Mai 1849 bekleidete der Kreuzwirt Josef Geldreich das Amt des Oberkircher Zivilkommissars, und am 29. Mai übernahm Bürgermeister Christian Fischer diese Funktion(46).

Der Oberkircher Wehrausschuß sah seine Aufgabe nicht nur darin, im Bereich der Stadt Oberkirch für die Durchführung der Beschlüsse des Landesausschusses Sorge zu tragen, sondern auch innerhalb des Amtsbezirks Oberkirch eine gewisse Führungsrolle anzustreben. Dies läßt sich deutlich an dem Schreiben ablesen, das der Oberkircher Wehrausschuß am 14. Mai 1849 an sämtliche Bürgermeister des Amtsbezirks Oberkirch verschickte(47). Es heißt darin, im Auftrag des Landesausschusses der Volksvereine müßte durch sämtliche Bürgermeisterämter des Bezirks ohne allen Verzug die Volksbewaffnung auf Staatskosten ins Leben gerufen werden, und es seien als erstes Aufgebot alle ledigen Männer von 18 bis 30 Jahren sofort marschfertig zu machen und binnen 12 Stunden nach Oberkirch zu beordern. Des weiteren wird ausgeführt, daß diejenigen Gemeindebehörden, die nicht alsbald die Bewaffnung ihrer Gemeindebürger anordnen würden, augenblicklich abzusetzen seien.

Wie richtig und notwendig das Drängen des Oberkircher Wehrausschusses auf die sofortige allgemeine Volksbewaffnung war, das zeigte sich bereits zu Beginn des Monats Juni 1849. Der im Exil lebende Großherzog von Baden versuchte nämlich zu diesem Zeitpunkt, von Preußen militärische Hilfe zu bekommen, die dann auch unverzüglich zugesagt wurde(48).

Die militärische Bedrohung durch die preußische Armee hatte zur Folge, daß die Hauptakteure der Mairevolution von 1849 die Verteidigungsbereitschaft und die Verteidigungskraft auszuweiten versuchten sowie die unsicher und ängstlich gewordene Bevölkerung durch Solidaritätsappelle und Zwangsmaßnahmen verschiedenster Art hinter sich zu bringen.

Als Mitte Juni 1849 die seit dem 1. Juni bestehende provisorische revolutionäre Regierung von Karlsruhe nach Freiburg fliehen mußte, sank die Kampfmoral der revolutionären Armee. Viele Soldaten verließen ihre Einheiten. Die provisorische Regierung gab deshalb den Auftrag, die flüchtenden Soldaten sollten eingefangen und gegebenenfalls gewaltsam nach Rastatt gebracht werden(49).

Advokat Friedrich Frech nahm diesen Befehl zum Anlaß, um in Oberkirch eine Miliz von ungefähr 40 Mann zusammenzustellen, welche die Aufgabe hatte, flüchtende Soldaten einzufangen(50).

Trotz der großen Anstrengungen, welche die revolutionäre badische Regierung und deren örtliche Organe unternahmen, konnte die badische Revolutionsarmee der Übermacht der preußischen Truppenverbände nicht lange standhalten. Günstiger wäre die Lage für die badischen Revolutionäre gewesen, wenn sie es verstanden hätten, einen Anstoß zu ähnlichen Vorgängen wie in Baden in anderen Ländern zu geben. Am 23. Juli 1849 mußten die Revolutionäre Rastatt, ihre letzte Verteidigungsbastion, aufgeben.

Zuvor waren die Preußen unter dem Kommando des Stadtquartiermeister Cetti in Oberkirch eingerückt. Bei ihrem Einmarsch in die Stadt bekamen die Preußen die Abneigung der Bürger Oberkirchs gegen die Besatzungstruppen und die Sympathie für die Revolutionäre deutlich zu spüren. Folgende Begebenheit möge dies illustrieren(51):

Der "Bach-Beck" (d.h. der Bäcker an der unteren Bach-Brücke in Oberkirch) hatte beim Herannahen der Preußen den Schulbuben Johann Maier zu sich gerufen und ihm aufgetragen, er solle sich an der Brücke vor der Stadtmühle aufstellen, und, wenn die Preußen in der Gasse, die von der Rench herführe, auftauchten, solle er ihnen entgegenbrüllen: Hecker-Struve hat's erraten, man soll alle Fürsten braten und sie mit Minister spicken und sie dann zum Teufel schicken. Da Johann Maier für die Ausführung dieses Vorhabens einen Weck versprochen bekam, brachte er sich sofort in Positur und brüllte den preußischen Soldaten das Sprüchlein des "Bach-Beck" entgegen. Kaum hatte der kleine Johann seinen Auftrag erfüllt, da sprang einer der Soldaten aus der Kolonne heraus, packte den Buben am Genick und warf ihn in hohem Bogen über das Bachgeländer in den Mühlbach. Zum Glück hatte sich der Bub keine Verletzungen zugezogen. Als ihn der "Bach-Beck", der das Schauspiel mit angeschen hatte, aus dem Wasser gezogen hatte, sagte er zu ihm: "Johannli, des hesch aber prima gmacht, und jetzt griegsch sogar 2 Wecke vun mir, will de au no naß drbie wore bisch".

Der Stadtquartiermeister Cetti berichtete am 31. Juli 1849, daß wohl kein zweiter Amtsbezirk in Baden zu finden sei, der von der Umsturzpartei so unterwühlt sei wie Oberkirch. In der Stadt Oberkirch seien mehr als 30 Personen besonders graviert, In den Landgemeinden des Amts Oberkirch seien so viele Personen am Aufstand beteiligt gewesen, daß wenigstens 50 als besonders graviert arretiert und zur Untersuchung eingezogen werden sollten(52).

Oberkirch hatte demnach ganz besonders den Zorn der großherzoglich-badischen Regierung auf sich geladen. Die Folge davon war, daß eine große Verfolgungswelle über die Stadt hinwegging. Alle Bürger Oberkirchs, die an der Mai-Revolution von 1849 führend beteiligt waren, wurden gerichtlich verfolgt. Die Anklagepunkte, die in den im Oberkircher Gemeindearchiv deponierten Prozeßakten festgehalten sind, lauteten: Beteiligung am Aufruhr, Majestätsbeleidigung, hochverräterische Unternehmungen, Hochverrat, Unterschlagungen, Teilnahme an den Maiunruhen.

Advokat Friedrich Frech wurde zu einer Zuchthausstrafe von 8 Jahren verurteilt. Ferner entschied das Gericht, daß Frech die Untersuchungs- und Straferstehungskosten zu übernehmen habe und daß sein Vermögen zu beschlagnahmen sei(53). Da es Frech gelang, sich durch die Flucht dem Strafvollzug zu entziehen, wurde er wegen Landesflüchtigkeit auch seines Staatsbürgerrechts für verlustig erklärt. Frech floh nach Nordamerika, wo sich seine Spuren verwischten.

Advokat Max Werner wurde ebenfalls in Abwesenheit vom Kriegsgericht verurteilt. Er hatte zusammen mit Amand Goegg den Kampf um die Republik bis zuletzt weitergeführt. Mit Resten des Revolutionsheeres hatten sich die beiden bis nach Konstanz zurückgezogen, wo Werner bei Allensbach nochmals den Kampf mit den Reichstruppen aufzunehmen versuchte. Am 11. Juli 1849 floh er dann in die Schweiz, von wo aus er auf einen günstigen Augenblick zum erneuten Kampf gegen die Gegner der Republik wartete. Als er die Hoffnungslosigkeit seines geplanten Tuns erkannt hatte, emigrierte er schließlich nach Nordamerika(54).

Dem Zugriff der Gerichtsbarkeit entzog sich auch der Oberkircher Zivilkommissar Christian Fischer. Er verließ Oberkirch am 29. Juni, d. h. kurz vor dem Einrücken der Preußen in Oberkirch(55). Überdies flohen der Greifenwirt Markus Becker, der sich jedoch einige Zeit später dem Gericht stellte, der Lindenwirt Hermann Geldreich, der Ochsenwirt Xaver Geldreich, der Handelsmann Max Schrempp, der Bierbrauer Theodor Schrempp und einige andere angeklagte Oberkircher Bürger(56).

Der Wiederherstellung und Aufrechterhaltung der Ordnung und Staatsautorität in Stadt und Amt Oberkirch dienten nicht nur die Verhaftungen und Prozesse, sondern auch die Anwesenheit der preußischen Besatzungstruppen. Hierzu hatte der preußische Stadtquartiermeister Cetti am 31. Juli 1849 mit Nachdruck geraten. Er meinte, Stadt und Bezirksamt Oberkirch müßten vorzugsweise mit einer längeren militärischen Einquartierung bedacht werden(57).

Die harten Maßnahmen der Sieger verfehlten ihre Wirkung nicht. Am 29. Oktober 1850 berichtete der Oberkircher Oberamtmann mit Genugtuung nach Karlsruhe: "Im ganzen Amtsbezirke herrscht Ruhe und Stille, und jedermann ist informiert, daß der gesetzliche Zustand im Lande wiedergekehrt ist und eine Ordnung gehandhabt wird(58)."

Die Revolution der Jahre 1848 / 49 war demnach endgültig gescheitert. Über ihrem Scheitern darf man jedoch nicht vergessen, daß die revolutionäre Bewegung der Ausdruck des Strebens der Bürger nach mehr persönlicher Freiheit, demokratischen Rechten und sozialer Gerechtigkeit gewesen ist. Sie setzte demokratische Standards und begründete Bürgertugenden, die bis in unsere Zeit nichts von ihrer Attraktivität verloren haben und entscheidend die politische Kultur unserer Demokratie bestimmen. Das machte sie gefährlich und zwang die Vertreter der alten Ordnung dazu, sie zu unterdrücken(59). Und dies ist ihnen 1849 gelungen, nicht jedoch auf Dauer, d.h. das Streben der Bürger nach Grundrechten und Demokratie blieb trotz der Unterdrückungsmaßnahmen von seiten des badischen Staates und der preußischen Armee ein Bestandteil der politischen Gesinnung in weiten Kreisen - auch in der Bevölkerung der Stadt Oberkirch.

Anmerkungen:

1.) GLA 215/388  
2.) GLA 237742274228, GLA 237/4230  
3.) GLA 236/2245  
4.) GLA 236/2246  
5.) GLA 236/2245  
6.) vgl. M. Botzenhardt, Baden in der deutschen Revolution 1848/49, in: Oberrheinische Studien II, 1973, S. 65  
7.) GLA 215/397; A. Werner, Maximilian Werner aus Oberkirch und die badische Revolution 1848/49. in: Die Ortenau 73. 1993, S. 364/365  
8.) A. Werner (wie Anm. 7), S. 354 ff.  
9.) GLA 240/440  
10.) Gemeindearchiv Oberkirch: ProzeBakten-Beteiligung Oberkircher Bürger am Maiaufstand 1849  
11.) GLA 236/2243  
12.) vgl. M. Botzenhardt (wie Anm. 6). S. 68  
13.) GLA 236/8203  
14.) GLA 240/440  
15.) GLA 236/8203  
16.) GLA 236/8203  
17.) GLA 236/2244  
18.) vgl. ©. Kähni, Die demokratische Volksbewegung 1848/1948, Offenburg 1948, S.30 ff.  
19.) GLACH 273 (2. April 1848)  
20.) vgl.J. B Bekk, Die Bewegung in Baden vom Ende des Februar 1848 bis zur Mitte des Mai 1849, 1850, S. 133  
21.) GLA 236/8195  
22.) vgl. M. Borzenhardt (wie Anm. 6), S. 72 ff.  
23.) GLA 23774227  
24.) GLA 236/2245  
25.) GLA 236/2245  
26.) GLA 237/4227  
27.) GLA 237/4227-4228, 4230  
28.) GLA 236/2245  
29.) vgl. F. Lautenschlager, Volksstaat und Einherrschaft. Dokumente aus der badischen Revolution 1848/49. 1920, S. 266  
30.) vgl. Tagebuch des Pfarrers Bäder vom 21. April 1848, veröffentlicht in "Acher- und Bühler Bote" vom 1.4. 1967  
31.) GLA 236/2245  
32.) GLA 236/2245  
33.) GLA 236/2245  
34.) GLA 236/2245  
35.) vgl.M. Botzenhardt (wie Anm. 6), S. 73  
36.) GLA 215/378  
37.) GLA 236/8195  
38.) GLA 215/378  
39.) GLA 215/378  
40.) GLA 240/2246  
41.) GLA 236/2246  
42.) vgl.M. Botzenhardt (wie Anm. 6), S. 81  
43.) ebd. S. 85/86  
44.) GLA 240/844  
45.) GLA 2477226  
46.) GLA 247/127  
47.) GLA 215/385  
48.) vgl. J. Siemann, Die Revolution von 1848 in Baden, 1948, S. 54  
49.) GLA 247/327  
50.) GLA 247/127  
51.) Mitteilung von K. Lienhard, Oberkirch  
52.) GLA 215/388  
53.) GLA 215/379 (30. 5. 1850)  
54.) GLA 24844, GLA 23774221  
55.) GLA 247/127  
56.) GLA 215/397  
57.) GLA 215/388  
58.) GLA 367 / Zugang 19246 Nr. 70  
59.) vgl. A. G. Frei / K. Hochstuhl, Wegbereiter der Demokratie. Die badische Revolution 1848 / 49. Der Traum von der Freiheit. Karlsruhe 1997, S. 177  

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