Über den Hausbauer vom Freihof Haslach - Heinrich Hansjakob


Deutsche Biographie - Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften

Hansjakob, Heinrich - katholischer Theologe und Schriftsteller, * 19.8.1837 Haslach (Kinzigtal), † 23.6.1916 Haslach (Kinzigtal).

Leben

Zu Haslach in dem die Grenze zwischen südlichem und nördlichem Schwarzwald bildenden Kinzigtal verlebte Hansjakob seinen "Kinderhimmel", der den geweckten Knaben mit Menschen, Sitten und Bräuchen des halb bäuerlichen, halb handwerklichen Gemeinwesens in unmittelbare Berührung brachte. 1852 bezog er das Gymnasium in Rastatt. An der Universität Freiburg studierte er Theologie und Philologie, wurde 1863 zum Priester geweiht und legte im gleichen Jahre sein philologisches Staatsexamen in Karlsruhe ab. Nach kurzer Tätigkeit am Gymnasium in Donaueschingen rückte er 1865 zum Vorstand der höheren Bürgerschule in Waldshut auf, wurde aber 1868 als hitziger klerikaler Vorstreiter im damaligen Kulturkampf vom liberalen Ministerium Jolly seiner Stellung entsetzt und zog 1869 in die Pfarrei des Bodenseedorfes Hagnau ein.

Im ersten Hagnauer Jahrzehnt entfaltete Hansjakob eine rege politische Tätigkeit, die dem temperamentvollen Redner und Publizisten eine Festungshaft in Rastatt sowie eine sechswöchige in Radolfzell verbüßte Gefängnisstrafe einbrachte. Dem badischen Landtag gehörte er als Zentrumsabgeordneter 1871-78 an, als Reichstagskandidat konnte er 1877 nicht durchdringen. 1878 beendete er seine politische Laufbahn und widmete sich in vorbildlicher Weise seiner Gemeinde nicht nur bei der Seelsorge, sondern auch in kulturellen und wirtschaftlichen Fragen. Er sorgte für die Pflege des dörflichen Brauchtums, wobei ihm vor allem die Erhaltung der Volkstrachten am Herzen lag, für eine stattliche Pfarrbibliothek und gründete 1881 den Winzerverein Hagnau. 1884 kam er als Stadtpfarrer an Sankt Martin nach Freiburg, wo er, ein geschätzter Kanzelredner, seine seit Waldshut und Hagnau geübte schriftstellerische Arbeit fortsetzte und alljährlich seine stetig wachsende Gemeinde mit einem neuen Buch überraschte. Er unternahm zahlreiche Reisen, am liebsten mit eigenem Pferdegespann, suchte Erholung für seine angegriffenen Nerven und Muße zum Schreiben in der Waldeinsamkeit der unweit Freiburg gelegenen "Kartause" sowie in seinem "Paradies", dem Dorfe Hofstetten bei Haslach. Nach der Feier seines goldenen Priesterjubiläums 1913 kehrte er in seine Heimat Haslach zurück. Hansjakobs literarische Laufbahn begann mit geschichtlichen Studien (unter anderem Die Salpeterer, 1867), denen in mehreren Büchern die Schilderung seiner Gefängniszeit und seiner Landtagstätigkeit folgte. Die Erinnerungsbücher "Aus meiner Jugendzeit" (1880) und "Aus meiner Studienzeit" (1885), von denen das erstere als volkskundliche Quelle heute noch wichtig ist, ergänzte er durch Berichte über seine Reisen nach Frankreich, Italien und den Niederlanden. Zum eigentlichen Erzähler ist Hansjakob verhältnismäßig spät mit den Erzählungen "Wilde Kirschen" (1888), "Schneeballen" (1892/93) und dem "Erzbauern" (1898) gereift. Später überwiegen die für Hansjakob bezeichnenden "Ich-Bücher", von denen die besten, "Erinnerungen einer alten Schwarzwälderin" (1898), "Meine Madonna" (1903) und "Allerlei Leute und allerlei Gedanken" (1913), wie auch andere verwandter Art viele Leser, nicht nur in der engeren Heimat, gefunden haben. Dazwischen liegen theologische und polemische Schriften bis zu den "Zwiegesprächen über den Weltkrieg, gehalten mit den Fischen auf dem Meeresgrund" (1916). Aus dem Nachlaß wurde "Feierabend" (1917) veröffentlicht

W. Schäfer entwirft eine "Charakterstudie" über den "räsonierenden" Pfarrer von St. Martin:

Die Rheinland - Monatszeitschrift für Deutsche Kunst - Jahrgang I, zweiter Band - S. 90 ff.

Heinrich Hansjakob(*)


hansjakob
Wie der Rhein der deutsche Strom, so ist der Schwarzwald das deutsche Gebirge. Seine waldumrahmten Wiesenthäler, seine breitbedachten Bauernhäuser mit ihren geschnitzten Galerien, die gemütlich sentimental klingende Sprache seiner Bewohner, die feierlichen Tannenforste, die stillen Waldseen: das alles atmet einen Zauber für die deutsche Seele, wie der Name "Schwarzwald" selbst. Die Innigkeit des deutschen Volksliedes scheint hier heimischer als in dem schwermütigen Niederdeutschland oder im rauhen bayrischen Hochland oder selbst am glänzenden Rhein.

So sind auch die Männer, die er dem deutschen Volk schenkt, volkstümlicher als die aus andern deutschen Landen. Johann Peter Hebel und Hans Thoma: Aus beiden spricht das Wesen des deutschen Volkes wie eine Fülle von Volksliedern. Vielleicht darum sind sie nicht "populär". Thomas volkstümliche Blätter haben durchaus nicht den Erfolg gehabt, den sich der Maler träumte. Sie wirken auf den "deutschen Mann" absonderlich und durchaus als Gegenteil von Kunst. Die erscheint ihm womöglich in einem Farbendruck nach Paul Thumanns Parzen idealer. Trotzdem fühlt man immer wieder: die deutsche Volksseele hat sich malerisch niemals tiefer offenbart, als in den Blättern Hans Thomas.

Und nur in dem Sinne ist auch Johann Peter Hebel volkstümlich. Wenn das "deutsche Volk" Erzählungen lesen will. greift es gewiß nicht nach dem "Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes". Aber trotz aller Ahnen- und Spinnstubengeschichten, die deutschen Volkssagen und Märchen ausgenommen: niemals ist deutscher erzählt worden, als in diesen kurzen, lieben, tiefen Geschichten. Um auch das bei der Gelegenheit einmal zu sagen - auch künstlerischer ist niemals erzählt worden. Die guten Novellen aus dem Decamerone des Boccaccio glänzen mehr durch ihre Fabel und die besten des großen Franzosen Maupassant sprühen einen leidenschaftlicheren Geist: aber abgerundeter als die Hebelschen Geschichten ist nichts bei ihnen. Erzählungen wie "Unverhofftes Wiedersehen" oder "Der Schneider in Pensa" sind klassische Kunstwerke und zählen zu den besten epischen Leistungen der Weltlitteratur. Trotzdem der Name Hebel immer noch vergessen wird, wenn die großen Epiker genannt werden.

Heinrich Hansjakob, der dritte Mann des Schwarzwaldes, der hier unsern Reigen der rheinischen Dichter eröffnen soll, hat etwas vor den beiden andern voraus: Er ist nicht nur volkstümlich (volkseigentümlich), sondern auch populär. Am ganzen Oberrhein ist er bekannter als irgend ein lebender Dichter und seine Werke finden sich in Händen von Leuten, denen sonst die Kunst kein gewohnter Umgang ist. Das hat seine besonderen Gründe: Einmal führt er bekannte Personen vor, die jeder da oben kennt, und das erregt selbst einen Holzschuhmacher,

*) Kein Prophet ist angenehm in seinem Vaterlande. Es sei denn: er ernte draussen soviel Beifall, dass auch die Heimat sich an seinem Ruhm ein wenig mitwärmen kann. Heute sind wir Rheinländer stolz auf unsere grossen Landsleute des vorigen Jahrhunderts. In der Gegenwart erwarten wir unentwegt das Licht der Dichtung aus dem Osten. Obwohl auch Rheinländer in der vordersten Reihe der gegenwärtigen litterarischen Bewegung stehen. Die besten von ihnen wollen wir von nun ab unsern Lesern vorführen. Die Reihenfolge giebt natürlich keine Wertschätzung. Aber es würde auch sonst wohl keinem missfallen, dass wir gerade mit Heinrich Hansjakob beginnen.

wenn über seinen Großvater oder Onkel oder sonst einen Verwandten gedruckte Worte zu lesen sind. Sodann aber thut Hansjakob noch etwas anderes als Geschichten erzählen. Er räsonniert: über die Preußen, über die Juden, über die Engländer, über die modernen Neuerungen, über die Kultur überhaupt. Und das ist auch ein Wesenszug des deutschen Hausvaters: Wenn er an seinem Biertisch nicht Skat spielt, dann will er räsonnieren oder räsonnieren hören. Ein feiner Geist, wie etwa Ibsen, wird mißtrauisch gegen seine Ideale, wenn sie ihm seine Wirklichkeit verderben: Der deutsche Hausvater aber läßt sich seine Ideale nicht rauben und findet darin immer neuen Anlaß, die mangelhaften Einzelheiten der wirklichen Welt und die schlechten Mitmenschen zu hassen. Indem Hansjakob dieser Neigung entgegenkommt durch unaufhörliches Räsonnement, wird er populär. Und doch liegt darin seine wahre Volkstümlichkeit, die Bedeutung dieses galligen Geistes auch für eine feinere Betrachtung. Um es kurz zu sagen: er ist auf seine Weise nichts anderes, als ein deutscher, sagen wir ein kleinstädtischer Tolstoi. Obwohl er sich niemals zu den schneidenden Folgerungen und unerbittlichen Forderungen des leidenschaftlichen Slawen erhebt, ist er mit ihm ein Verkünder des gleichen Schicksals: ein Leidender an der Kultur. Sie hat ihm persönlich bitterliches Leid angethan. Und dadurch kommt er zu der verneinenden Antwort, die schon Rousseau berühmt machte: Das Ergebnis des menschlichen Fortschritts, das wir als unsere Kultur erleben, hat den Menschen kein Glück gebracht. Darum fort mit der Kultur und zurück zur einfachen Natur. Daß diese Natur am einfachsten im Landleben zu finden sei, ist bei Tolstoi teilweise ein Ergebnis der Grübelei, bei Hansjakob nur die Sehnsucht eines Bauernsprößlings nach seiner Heimat. Heute ist er Pfarrer an St. Martin in Freiburg. "Aber ich wäre tausendmal lieber Bäcker zu Haslach !" seufzt er oft. Denn dort in dem schönen Thal von Haslach ist seine Heimat und eine Tafel bezeichnet das Haus, wo er im Jahre 1837 geboren wurde.

Seine Biographie braucht nicht geschrieben zu werden. Sie steht, wenn auch zerstreut, in seinen Schriften. Da ist zu lesen von seinen Großvätern, dem hausierenden Wälder-Xaveri und dem Eselsbeck, von seinen Eltern und seiner Jugendzeit, von seinem Studium mit "Rauchen und Singen", von den politischen Kämpfen des jungen katholischen Geistlichen, die ihn zweimal ins Gefängnis brachten, von einem langen ruhelosen Pfarrerleben und von der Melancholie, der "Hysterie", den zerstörten Nerven des alten Mannes. Da steht zwischen den Zeilen das Schicksal des Schwarzwaldjungen, der mit seiner Bauernnatur in den zermahlenden Sandstaub des modernen Lebens geriet und Schaden nahm an seinen Nerven. Die Selbstherrlichkeit, die Rücksichtslosigkeit der Abneigungen. die zur Schau getragene Wahrheitsliebe: das alles sind Bauern-Eigenschaften, die ihn in leidenschaftliche Kämpfe bringen mußten. Und je mehr der Pfarrer zu St. Martin ihre Folgen spürte, desto mehr ließ er die bäuerische Rachsucht gegen seinen persönlichen Feind: gegen die moderne Kultur in seinen Schriften ausfließen.

Was sind nun seine Schriften? Tagebuchblätter, auf Schwarzwaldreisen und daheim geschrieben, mit allem, was ihm an eigenen und fremden Erlebnissen, an seltsamen Vorgängen, an Menschenschicksalen, an landschaftlichen und religiösen Stimmungen, Sagen, Volkserzählungen die Seele bewegt und den Geist erregt. Die bewegte Seele findet stille wehmütige Laute, der erregte Geist heftige, oft maßlose Worte. Also nichts von dichterischem Handwerkszeug, von Komposition und Charakterentwicklung. "Ich und Dichter? Das kommt mir gerade so vor, als wenn man einen Dorfmaurer, der den Bauern ihre Häuser anstreicht, einen Kunstmaler heißen wollte."

Dieses bescheidene Zurücktreten, die willige Anerkennung der Fürsten im Reich des Geistes, ist auch ein echt bäuerischer Zug. Doch was heißt schließlich Dichter? Es giebt zwar immer noch kluge Leute, die einen Vers-Dichter von dem Prosa-Verfasser säuberlich auseinander halten. Aber was macht z. B. den Novellenschreiber

Gottfried Keller - auch wenn er niemals einen Vers geschrieben hätte - zum "Dichter" und einen Verseschreiber wie z. B. Bodenstedt zum "Verfasser"? Die persönliche Anschauungskraft einer Seele, die für das Auf und Nieder des Lebens eine so lebendige Sprache findet, daß sie andere mit in den Bann ihrer Anschauung zieht. Eine solche persönliche Anschauungskraft besitzt Hansjakob und auch eine solche Sprache. Man mag seine Ansichten zu kleinlich, fast mehr kleinstädtisch als bäuerisch empfinden: jedenfalls ist die lebendige Sprache ein Zeugnis für die Anschauungskraft seiner Seele. Was wäre es sonst, das einen bei dem letzten Tagebuch "In der Karthause" nicht losläßt? Man mag sich hundertmal sagen: Was geht es dich an, daß der Pfarrer Hansjakob da oben auf der Karthause bei Freiburg seinen lauten Zorn über allerlei moderne Dinge herunterschreibt und seine stillen Freuden über die alten Bäume oder die alten unverfälschten Menschen des Spitals? Man legt das Buch trotzdem nicht aus der Hand, bis man es zu Ende gelesen hat. Ähnlich wie man z.B. des alten Fontanes köstliches "Kriegsgefangen" liest, trotzdem dem Herrn Kriegsberichterstatter gar nichts Aufregendes im Feindesland begegnet. Die Kraft einer Persönlichkeit hebt wie auf allen andern Gebieten auch aus den Wortemachern den Dichter heraus. In dem Sinn ist Hansjakob ein Dichter, trotzdem er gesteht, daß er niemals einen Vers zusammenzimmern könne.

Zudem hat er auch regelrechte Erzählungen geschrieben, wie den "Steinernen Mann von Hasle" oder seine "Erzbauern". Und wenn er diese Geschichten genau so niederschrieb, wie sie ihm erzählt wurden, wenn sie also "wahre Geschichten" vorstellen, so gut wie gedichtete sind sie immerhin noch. Und die "Erzählung einer Schwarzwälderin" hat sogar eine ganz ausgezeichnete Erfindung. Die alte Schwarzwälderin ist in Wirklichkeit die hölzerne Hausierkiste seines Großvaters. Er hat sie pietätvoll herrichten und in seinem Studierzimmer aufstellen lassen. Es ist sehr fein zu lesen, wie der Dichter erst immer nur von einer alten Hausgenossin spricht, die er, der katholische Geistliche und geschworene Weiberfeind, in seinem Hause duldet. Auf einmal, wenn man sich schon über das Alter der Hausgenossin wundert, ist sie eine alte Holzkiste, die nun als gesprächige Weibsperson anfängt, dem unruhigen Pfarrer die Geschichte seines unruhigen Grofsvaters, des Hausierers Xaveri, zu erzählen. Nebenbei hält sie ihm allerlei Vorlesungen über seine allzu menschlichen Eigenschaften, die sie als intime Hausgenossin genau beobachtet hat. Dabei kommt schließlich eine Selbstcharakteristik heraus, die nicht leicht noch einmal so ironisch geschrieben wird:

"Schon oft habe ich dich sagen hören, die Großeltern kehrten leiblich und geistig in den Enkeln wieder. Bei dir trifft das gänzlich zu, denn ich habe auch deine väterlichen Großeltern noch wohl gekannt. So kannte ich alle, von denen du deine leiblichen und geistigen Eigenschaften ererbt hast. Von der väterlichen Großmutter hast du deines Leibes Länge, das schwermütige, schwarzgallige, pessimistische und nervöse Wesen und die Liebe zum Singen beim Alleinsein überkommen, vom Eselsbeck das 'böse Maul', das Schimpfen, Kritisieren und Sticheln und die demokratische Ader.

Dein Gesicht ist die Mischung der Züge deiner mütterlichen Großeltern. Dein unruhiges, unstetes Hin- und Her-, Auf- und Abwandeln ist ein Erbstück des hausierenden Wälder-Xaveri. der viele Jahre nirgends eine bleibende Stätte hatte. Von ihm ist auch deine Sucht, zu lesen und zu studieren und nie müßig zu sein. Von seinem Weib, der Luitgard, hast du deine Derbheit und deine oft so unkluge Offenheit; denn sie konnte, wenn sie einmal die Arme übereinander gelegt hatte, jedermann dick und dünn die Wahrheit sagen und die schönsten Grobheiten machen.

Daß du, wenn du willst, auch liebenswürdig sein kannst, verdankst du wieder dem Wälder-Xaveri, der als Hausierer es vortrefflich verstund, die Leute für sich einzunehmen.

Verschlimmert wurden deine schlechten Eigenschaften noch durch deinen Bildungsgang, der dir alle möglichen Waffen in die Hand gab, die Eigenheit des Eselsbecks zu vervollkommnen.

Deine von Haus aus schwachen Nerven hast du überreizt durch vieles Trinken und Rauchen in deiner Studienzeit, durch übermäßiges Studieren und durch dummes Politisieren in den folgenden Jahren.

So bist du geworden, der du bist: ein launenhafter, aufgeregter, oft kleinlicher und widerwärtiger, selten liebenswürdiger, unruhiger, unzufriedener Schwätzer und Räsonneur - und in deinen bessern Stunden bald ein Schwärmer, Wolkensegler und Idealist, bald ein Melancholiker und schwarzgalliger Pessimist.

Aber zu bedauern bist du bei all diesen Eigenschaften, und wenn ich nicht schon vorher die Erfahrung gemacht hätte, welch zweifelhaftes Glück es sei, ein Mensch zu sein, so hätte ich sie bei dir machen können. Denn niemand hat so oft dich seufzen hören, als ich.

Aber an dir lernte ich in der Richtung etwas Neues, das nämlich, daß der kultivierte, der gebildete Mensch noch weit schlimmer daran ist als der ungebildete, und daß der Bauer auf dem Schwarzwald zufriedener lebt als der Gelehrte in seiner Studierstube.

Du dauerst mich oft, wenn ich sehe, wie du von ewiger Unruhe geplagt bist. Kaum sitzest du an deinem Schreibtisch und hast einige Sätze geschrieben, so stehst du wieder auf und gehst pfeifend oder singend oder seufzend im Zimmer auf und ab. Gleich darauf langst du wieder nach einem Buch und liest einige Zeit. Nach kurzem wird wieder die Feder ergriffen: doch bald geht das Pfeifen oder Singen wieder an. Zwischen hinein streckst du dich auch müde auf dem Sofa aus: aber kaum liegst du einige Augenblicke still, so wird liegend wieder eins gepfiffen oder gesungen.

Das hab ich dabei dir abgemerkt: pfeifen kannst du immer, auch während des Schreibens und in trüben Stunden, aber singen thust du nur, wenn du gut aufgelegt bist.

Wenn ein Hund bellt oder Kinder lärmen auf dem Platz vor deinem Hause, so springst du vom Lesen und Schreiben auf, wie von einer Tarantel gestochen, und murmelst Verwünschungen in dich hinein.

Zu all den genannten Fehlern und zu deinem unruhigen Wesen kommt noch eine große Empfindlichkeit. Wer dir ein Sandkorn an die Fensterscheiben deines Seelenlebens wirft, den siehst du an, als ob er dir einen Feisberg vor die Füße geworfen hätte.

Und dein Größenwahn ist wahrhaft auch nicht klein. Du meinst, es gäbe noch viel dümmere Leute als du. und hassest und bespöttelst die Dummheit anderer, während du selbst. richtig genommen, der dümmsten einer bist.

Dann empörst du dich oft über das Unrecht, das anderen Menschen geschieht, und siehst nicht ein, daß Recht und Wahrheit allezeit auf Erden mit Füßen getreten wurden.

Du eiferst gegen Servilismus und Byzantinismus, während die meisten Menschen, wie du oben richtig gesagt hast, von Herzen gerne Knechte und selige Knechte sind.

Du eiferst gegen die Dummheit und merkst nicht, daß sie auf Erden eine Großmacht ist, welche überall die Majorität hat, die über Ämter und Würden verfügt und Zaunkönige zu angesehenen Leuten macht.

Du meinst, es sei klug, seine eigene Meinung zu haben und sie offen zu vertreten, und siehst nicht ein, daß es nur Nutzen, Ruhe und Frieden bringt, wenn man mit den Wölfen heult, mit den Schafen blökt und mit dem Strom schwimmt, wenn er auch noch so schmutzig, träg und geistlos sich dahinwälzt.

Du sprichst und schreibst für die Erhaltung des guten Alten und eiferst gegen die Neuzeit und ihre Gebilde, die überall ins Volk dringen und es verwüsten. Aber du siehst nicht ein, daß, wie ein altes Sprichwort sagt, wer zum Teufel gehen will, sich nicht aufhalten läßt. Unsere Zeit will aber das, also laß das Räsonnieren gegen sie; es nützt doch nichts.

Du wirfst den weiblichen Wesen Neigung zum Lügen vor und gehst selbst mit der Wahrheit nicht nach Gebühr um. So z. B. sagst und schreibst du immer, du seist ein armer Mann. Ich habe davon noch nichts gemerkt, weder an dir noch in deinem Haus.

Am besten wird es sein, du giebst deine Bücherschreiberei ganz auf, dann hört auch dein Räsonnieren und Kritisieren auf, und du bekommst eher Frieden mit deinen Mitmenschen, unter denen viele sind, die dich für hochmütig und boshaft halten und die dich hassen, weil du nicht so knechtselig bist wie sie."

Und Hansjakob müßte nicht der leidenschaftliche Politiker von ehemals sein, wenn er nicht auch noch auf solche Anklagen eine Antwort fände:

"Du hast recht, ich bin empfindlich, launisch, derb, größenwahnig, sehr aufgeregt und unruhig, dumm, unendlich dumm; in vielen Dingen und Anschauungen zu offen und mit einer scharfen Zunge behaftet. Allein bedenke, so spann es mir die Parze aus dem Hanf, den meine Eltern und Großeltern ihr in die Hände gegeben. Du hast das ja selber eben zugestanden.

Aber, glaube mir, es ist keine Kleinigkeit, so veranlagt zu sein. Denn eine solche Veranlagung, wie ich sie habe, schafft innere und äußere Feinde, Kämpfe und Stürme und paßt vorab gar nicht in unsere Zeit.

Es ist auch keine Kleinigkeit, von aufgeregten Nerven gehetzt zu werden wie von Dämonen und von Furien, und energielos sie schalten und walten lassen zu müssen.

In meinen jungen Jahren schon, lang ehe du meine Bekanntschaft machtest, war ich nicht viel besser daran als im Alter; aber ich hatte noch Energie und Spannkraft, während jetzt die Stürme über mich hinsausen und mich niederbeugen wie die Zweige einer alten Trauerweide.

Daß du deshalb selber Mitleid mit mir hast, freut mich. Aber du thust mir unrecht, sofern du meinst, ich lüge, wenn ich sage, ich sei ein armer Mann. Arm ist nach meinen Begriffen jeder, der nicht von seinem Kapital oder seinem Gut leben kann. Arm ist drum jeder, der um sein täglich Brot arbeiten und einen Dienst, ein Amt versehen muß. Reich und unabhängig ist nur der Kapitalist und der Bauer auf einem schuldenfreien Gut.

Wer im Verhältnis des Arbeitnehmers zu einem Arbeitgeber steht oder in einem Amte dienen muß, wenn er leben will, ist ein abhängiger, armer Teufel, und wenn er nebenbei alle Weisheit Salomons besäße.

Darum sagt auch die hl. Schrift: 'Weisheit ist nur schön mit einem Erbgut, auf daß man sich der Sonne freuen kann.'

Recht hast du aber, wenn du meinst, ich sei nicht fromm, soferne du darunter wahre, echte Frömmigkeit verstehst - jene Art christlichen Lebens, die in Demut, Selbstverleugnung und Nächstenliebe sich äußert. In diesen Tugenden lasse ich leider vieles zu wünschen übrig.

Auch das weiß ich, daß es Leute giebt, die mich für nicht gut katholisch halten, weil ich noch eine eigene Meinung habe in Dingen, über welche jeder Katholik frei denken und frei reden kann und darf.

Freilich hab ich es schon oft bedauert, eine eigene Meinung zu haben. Man macht sich dadurch unnötig Feinde, und die Dinge gehen doch wie sie gehen, weil die Mehrheit der Menschen eben gewöhnt ist, sich führen und leiten und sich alles gefallen zu lassen, und weil sie drum jeden scheel ansieht und für einen Ketzer hält, der nicht genau so thut und denkt wie sie. Da, wo die meisten Menschen auf Stelzen laufen, gelten diejenigen, so sicher und weise zu Fuß gehen, für Narren. Und wo bei einer Herde das Schaf, welches sich etwas freier bewegt, mit Hundegebell und Peitschenhieben behandelt wird, ist es nicht gescheit, eine andere Meinung zu haben als die Majorität.

Drum hab ich mir schon oft selbst laut zugerufen: 'Du bist ein Esel und ein Narr!' -

Was endlich meine Schriftsteilerei betrifft, so hast du ganz recht, alte Freundin, wenn du meinst, ich sollte sie aufgeben. Ich habe schon mehr als genug geschrieben und komme jetzt in die Jahre, in denen die Menschen gerne zu 'geschwätzigen Greisen' werden.

Wenn ich es noch nicht gethan bis heute und noch nicht aufgehört habe, Bücher zu schreiben, so geschieht es vorzugsweise aus zwei Gründen. Einmal schreibe ich oft nur, um in müßsigen, von den Nerven geplagten Stunden der Verzweiflung zu entgehen und die Armseligkeit meines Daseins zu vergessen. Spazieren gehen
kann ich nicht, lesen nur in sehr beschränkten Maße, Gesellschaft mag ich nicht, sie langweilt und ermüdet mich, beten kann der Mensch auch nicht den ganzen Tag, auch nicht immer pfeifen und singen. So bleibt mir nichts anderes übrig, als ich setze mich an den Schreibtisch und schreibe nieder, was in meinem unruhigen Kopfe zappelt.

Und dann geht es mir wie einem alten, vereinsamten Landkrämer, der in seiner Bude auf den Tod wartet, aber vorher noch seine Ware an den Mann bringen und verkaufen möchte.

So habe auch ich noch einige Bauernartikel auch Zündhölzer und Schnupftabak auf Lager. Diese Waren will ich in den nächsten zwei Jahren noch auf den Markt werfen. Sie werden dich, alte Holztante, noch vollends ausfüllen.

Und wenn dann ein neues Jahrhundert anbricht, will ich meine altmodische Schreiberei aufstecken und lediglich auf den Tod warten, wenn er nicht, mir stets willkommen, vorher schon seine Sense über mir schwingt."

In dieser Selbstironie, in dieser Aussöhnung mit seinem Schicksal liegt der Zug, der sein Wesen vollendet und ihn zu einer ganzen Erscheinung macht. Und auch dadurch ist er nicht nur ein querköpfiger Pfarrer zu Freiburg, wie seine kirchliche Behörde ein paarmal gemeint hat, sondern ein Symbol des Menschenlebens jener Regionen, aus denen er kam. Der Typus des ländlichen Kleinbürgers, der umdrängt von Zivilisation und Großstadt, trotzig auf dem letzten Rest seines Eigentums seiner Anschauungen und Sitten steht. Der Mann von dem Schlag des Meisters Anton in Hebbels "Maria Magdalena", aber ohne dessen bitteres, allzu enges: "Ich verstehe die Welt nicht mehr", sondern mit dem erlösenden Zug der Selbstironie, einem starken Glauben an eine höhere Ordnung der Dinge und mit einem dankbaren Auge für die Schönheit der Natur.

Das ist seine Volkstümlichkeit. Und das wird auch von ihm bestehen. Wenn mit den Leuten, die er schildert, seine Popularität dahin ist: wird er so in seinen Schriften als ein lebendiges Denkmal bleiben. Und deswegen sollte der Pfarrer an St. Martin nicht mit seiner Bildung hadern. Sie hat inm Kämpfe und Leiden gebracht. Aber nur dadurch konnte er das werden, was - um in seiner Sprache zu reden - Gott mit ihm vorhatte.

"Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, gab mir ein Gott zu sagen, wie ich leide."

Goethe war so glücklich, sich dieses feinen Genusses bewußt zu werden. Auch der Pfarrer Hansjakob sollte sich darin finden.

W. Schäfer.

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