Professor Reuleaux bereist den Schwarzwald


Deutsches Museum - Heftarchiv 10. Jahrgang 1986 Heft 1

Vor dem Hintergrund des guten Geschäftsjahres 1872 entwarf Karl Schott, Vorstand der Gewerbehalle Furtwangen, für die Weltausstellung 1873 in Wien ein recht optimistisches Bild vom Uhrenbau im badischen Schwarzwald und seiner Leistungsfähigkeit. Er beschrieb das Produktionsprogramm, nannte Preise und Absatzgebiete, berichtete über größere Firmen und betonte die Bedeutung, die industriell gefertigte Bauteile inzwischen gewonnen hatten. 1.800.000 Uhren, darunter 900.000 Schottenuhren (mittelgroße Metallwerke mit Gewichtsantrieb in Holzplatinen), wurden seinen Angaben zufolge 1872 im badischen Schwarzwald gefertigt, den Gesamtumsatz bezifferte er auf 10,5 Millionen Gulden, umgerechnet 17,9 Millionen Mark(1). Zunehmende Bedeutung gewannen die nach ausländischen Vorbildern gefertigten Metallwerke, die Jahresproduktion der "feinen Metalluhren" im Unterschied zu den gröberen "Amerikanerwerken", also vor allem Regulateure und bessere Zugfederuhren, setzt Schott, wohl wiederum zu hoch, mit 100.000 Stück an.

"Man hat diesem volkstümlichsten aller Zeitmesser in der Weltausstellung ein eigen Haus erbaut, wie den Kanonen Krupps, wie den Schiffen des Lloyd", schrieb 1873 das Neue Wiener Tagblatt(1). Doch offenbar fanden die dort mit großem Aufwand gezeigten historischen Schwarzwalduhren weitaus mehr Anklang als die laufende Produktion. Noch enttäuschender waren vermutlich die Ergebnisse auf der Weltausstellung 1876 in Philadelphia, wie eine Auswertung der Bücher des zuständigen amerikanischen Agenten ergab: 330 verkaufte Uhren in 160 Tagen bei über acht Millionen Ausstellungsbesuchern(3).

Die wahren Probleme des Uhrengewerbes umreißt ein Schreiben des Badischen Handelsministeriums von 1875 an den Direktor der Berliner Gewerbeakademie, Franz Reuleaux: "In der Uhrmacherei unseres Schwarzwaldes, welche bisher noch überwiegend als Zweig häuslichen Gewerbefleißes betrieben wird, vollzieht sich mit zunehmender Beschleunigung in der Weise ein Umschwung, daß der Fabrikbetrieb in den Vordergrund tritt und aus den Kreisen der Hausindustrie Arbeitskräfte herauszieht. Gleichzeitig wird auch der Verkauf der in den Fabriken gefertigten Uhren durch ausländische Wettbewerbung auf bisherigen Absatzgebieten mehr und mehr erschwert."(4) Reuleaux wurde in diesem Brief gebeten, ein Gutachten über die Situation des Uhrengewerbes zu erstellen und Vorschläge zu unterbreiten, mit welchen Mitteln einer "Gefährdung" dieses Wirtschaftszweigs begegnet werden könne. Der Eingeladene hat rasch reagiert, vom 13. bis 19. Oktober 1875 bereiste er zusammen mit einem Beamten des Handelsministeriums das Uhrmachergebiet. Die Fertigstellung des 58seitigen, offenbar eilig formulierten Berichtes verzögerte sich allerdings bis Juni 1876, da der Verfasser inzwischen zum Vorsitzenden der deutschen Jury bei der Weltausstellung in Philadelphia bestellt worden war(5).

Während die Schwarzwälder Uhrmacherei der 1840er Jahre, von einzelnen Musikuhrenbauern abgesehen, noch durchgängig geprägt war vom hausgewerblichen Klein- und Kleinstbetrieb(6), fehlte dem Jahrzehnt nach 1870 eine einheitliche Struktur. In diesem Zeitraum gab es im Schwarzwald nach wie vor die hausgewerblich arbeitenden Uhrmacher alter Art, wenn auch ihre Zahl, ihr Anteil an der Gesamtproduktion und der Grad ihrer wirtschaftlichen Selbständigkeit kontinuierlich abnahm. Daneben findet man eine wachsende Gruppe von Produktionsstätten im Übergangsfeld von Werkstatt und Fabrik und schließlich, als viel beachtete Sonderfälle, einzelne größere Uhrenfabriken mit zentraler Produktion und zusätzlich beschäftigten Heimarbeitern.

Deutlich zeichnet sich nach 1850 eine Konzentration der Uhrmacherei auf zentrale Orte des badischen Schwarzwaldes ab, um 1900 hatte sich dann die Massenproduktion der Uhr in den württembergischen Teil des Schwarzwaldes verlagert, nach Schramberg (Junghans, Landenberger) und Schwenningen (Kienzle, Mauthe, Haller). Dörfer mit hoher Gewerbedichte entwickelten sich allmählich wieder zu Bauerngemeinden zurück. Ein Bericht aus den 1880er Jahren sah diesen Prozeß bei ehemals bekannten Uhrmacherorten wie Breitnau, Urach und Waldau bereits als abgeschlossen an, bei anderen zeichnete sich diese Entwicklung deutlich ab(7). Reuleaux diagnostizierte 1875 für St. Georgen "ein Gemisch von Haus- und Fabrikindustrie, welches mit beschleunigter Geschwindigkeit dem völligen Übergang in letztere entgegengeht", in Furtwangen machte sich "bei den Herstellern der metallenen Uhrwerken das Bestreben zum Übergang in die Fabrikform sehr bemerkbar".

Eisenbach hingegen war bereits 1840 der Ort mit der höchsten Gewerbedichte, auf 586 Einwohner entfielen 49 selbständige Uhrmacher und Hilfsgewerbler (ohne Uhrenhändler), deshalb regte gerade diese Gemeinde nach Reuleaux’ eigenen Worten besonders an, über die Zukunft des Schwarzwälder Gewerbefleißes nachzudenken.

Typisch die vielen Fenster, um gute Lichtverhältnisse zu schaffen. (Zeichnung J. Rommel, Furtwangen) eins Zwischen Hausgewerbe und Fabrik. Werkstatt und Wohnung von Lorenz Bob (1805 - 1878), 1857 / 63 zusätzlich Lehrwerkstatt für "Stockuhrmacherei" der Uhrmacherschule Furtwangen. Bob galt als der bekannteste und vielseitigste Schwarzwalder Uhrmacher seiner Zeit. Nach 1860 fertigte er vorwiegend hochwertige Regulatoren mit Gewichts- oder Federantrieb, 1872 wurden 22 Arbeiter "im Haus" und 12 außerhalb beschäftigt. Typisch die vielen Fenster, um gute Lichtverhältnisse zu schaffen. (Zeichnung J. Rommel, Furtwangen)


"Am zähesten hat sich hier die Eigenart eines jeden Hauses oder Familienhauptes in Geltung erhalten, so daß es nicht möglich ist, von der Leistung des einen auf die des anderen zu schließen; am festestenist bei gewissen Familien wie eingefleischt die Überlieferung in Kraft geblieben, daß gute Qualität der Erzeugnisse die erste Grundlage des Betriebes sein müsse... Zugleich aber hat (der Familienstolz) einen Abschluß nach außen zur Gewohnheit gemacht, der sich dem Fortschritt der Hilfsmittel entgegenstemmt(8) und demzufolge mehr als anderswo sonst auf dem Walde die Widerstandsfähigkeit der Hausindustrie gegen die Fabrikindustrie vermindert. Daher hat dann der Ort etwas Sieches bekommen, und es sind aus dem Orte auch die dringendsten Klagen und Bitten erschollen, welche die Staatshilfe anrufen."

Wer von Reuleaux erwartet hatte, daß er ähnlich intensiv wie sein Vorgänger Adolph Poppe (1838) die Fertigungstechnologie der Schwarzwälder Uhrmacherei untersucht, wird enttäuscht sein. Wenn er ins Detail geht, dann im Zusammenhang mit Problemen, die eher in den Bereich von Kunstgewerbe und Design fallen. Reuleaux liefert durch Zeichnungen ergänzte Hinweise auf Japanische Lackierverfahren, auf die Herstellung des sog. Sorrentiner Mosaik und auf ein Kautschukpräparat für plastische Ziffern, außerdem polemisiert er gegen die in Württemberg übliche Richtung des Zeichenunterrichts, die seiner Meinung nach wenig geeignet ist, dem Uhrengewerbe zu neuen Anregungen zu verhelfen.

Wie die meisten seiner Zeitgenossen hält auch Reuleaux das Hausgewerbe aus wirtschaftlichen, sozialen und politischen Gründen für eine erhaltenswerte und förderungswürdige Einrichtung. "Diese Industrie hat den Hochtälern des Waldes eine verhältnismäßig dichte und sich gut erhaltende Bevölkerung gegeben und einen merkwürdig gleichen Wohlstand in derselben verbreitet. Zugleich hat sie dieser Bevölkerung einen frischen selbständigen Sinn erhalten, hat das Familienleben und die Ansässigkeit, die Heimatliebe zum festen Inhalt des Gemütslebens der Bevölkerung gemacht."(9)

Doch was ihm vorschwebt, ist nur noch bedingt vergleichbar mit dem in der Wohnstube arbeitenden Hausgewerbler alter Art, der nach überkommenen Mustern selbständig seine Uhrwerke produzierte und der nicht bereit war, "sich so weit herabzulassen, anstatt ganzer Uhren nur noch Bestandteile solcher zu fertigen".(10) Wenn Reuleaux von der weiterhin lebensfähigen "Hausindustrie", von "Hausfleiß" der Schwarzwälder schreibt, dann denkt er eher an technisch aufgeschlossene Leiter überschaubarer Werkstätten mit Qualitätsbewußtsein, etwa an den Spezialisten für Kuckucksuhren, der Werke und Zubehör von "Teilarbeitern" bezieht, oder an den Orchestrionbauer, der "seine Werkstätten mit vorzüglichen Hilfsmaschinen ausrüstet, aber dennoch bei dem kleinen, das moderne Fabrikwesen ausschließenden Betriebe (bleibt)".

Der zur Fabrikindustrie überführte Schwarzwälder, befürchtet Reuleaux, würde zu einem "Element ohne Individualität", verlöre sein "erfinderisches, strebsames Denken", bald gäbe es dann "keine Wehrle, keine Bob, keine Beha, keine Imhof" mehr. Doch alle Genannten haben eindeutig den Rahmen des klassischen Hausgewerbes gesprengt.(11) Emilian Wehrle aus Schönenbach (1832 - 1896) fertigte Trompeteruhren, Johann Baptist Beha aus Eisenbach (1815 - 1898) hatte sich auf Kuckucksuhren mit Federantrieb spezialisiert, Lorenz Bob aus Furtwangen (1805 - 1878) baute vorwiegend Wanduhren in langkastenförmigen Gehäusen (Regulateure), und Daniel Imhof aus Vöhrenbach (1825 - 1900) produzierte Orchestrions und mechanische Pianofortes(12). Jeder dieser Kleinunternehmer beschäftigte damals "im Haus oder außerhalb" zwischen 10 und 35 Personen.

Die Fabrikproduktion hingegen wird in dem Bericht abgewertet, das Urteil von Philadelphia 1876, "Deutschlands Industrie hat das Grundprinzip 'billig und schlecht'... Mangel an Fortschritt im rein Kunstgewerblichen,... Mangel an Fortschritt im rein Technischen",(13) überträgt Reuleaux (mit einer Ausnahme) auch auf die Schwarzwälder Uhrenfabriken. Bei der Firma Meier in Villingen spricht er von der "Raffiniertheit der Massenherstellung bei völliger Unterdrückung des Geschmackes", bei Haas(14) in St. Georgen "ist das Ergebnis nicht ein solches, welches der Schwarzwälder Industrie als Empfehlung dienen könnte", die Firma Fürderer, Jägler & Cie schadet dem Ruf des Schwarzwaldes, weil fast nur Waren geringer Qualität angeboten werden. Reuleaux zeigte also recht wenig Verständnis für Schwierigkeiten, die dann auftreten, wenn eine neue Technologie - hier der Bau metallener Werke mit Federzug nach amerikanischem Vorbild - adaptiert werden muß. Ähnlich ist es auch Junghans 1878 bei den deutschen Uhrmachern ergangen(15).

Lediglich die Uhrenfabrik Lenzkirch, "mit 400 Arbeitern in Fabriklokalen und immer noch 250 Heimarbeitern" damals die größte deutsche Uhrenfabrik und tendenziell bereits zur Großindustrie zählend, wird bei Reuleaux positiv gewürdigt. 

Schwarzwälder Schottenwerk, um 1870. Mittelgroßes Metallwerk "Amerikanerwerk", hergestellt von einer kleinen Werkstatt in Neukirch (C. Pfaff & I. Furtwängler), um 1870

zwei Schwarzwälder Schottenwerk, um 1870. Mittelgroßes Metallwerk, Höhe ca. 11cm, mit hölzernen Platinen und Gewichtsaufzug. Laufdauer 24 Stunden. Nach 1870 am häufigsten gefertigte Schwarzwalduhr, blieb bis 1900 billigstes Produkt des Großuhrenmarktes. Schottenuhren wurden von "Kleinmeistern" gebaut, die 1870 / 80 vorgefertigte Teile von Bestandteilfabriken bezogen haben, aber auch von manchen Uhrenfabriken. Der Name wird auf den Schottenhof bei Neustadt im Schwarzwald zurückgeführt, wo dieses mittelgroße Werk um 1780 erstmals gebaut worden sein soll. (Deutsches Uhrenmuseum Furtwangen)

drei "Amerikanerwerk", hergestellt von einer kleinen Werkstatt in Neukirch (C. Pfaff & I. Furtwängler), um 1870. Kennzeichnend u.a. die durchbrochenen Platinen, hier noch gegossen statt gestanzt, und die offenen starken Zugfedern. In den USA verdrängte um 1840 ein ähnlicher Werktyp fast schlagartig die billige amerikanische Holzräderuhr, in Deutschland begann die Fertigung des "Amerikanerwerks" erst um 1870. Vielleicht noch vor Junghans haben Jerger in Niedereschach (bei Villingen) und Haas Söhne (St. Georgen) derartige Uhren für Exportmärkte gebaut. (Deutsches Uhrenmuseum Furtwangen)

"Zu betonen ist nur ihre Richtung auf gute Qualität und geschmackvolle Ausstattung", so daß sie "die Gegenstände der Pariser Salonuhren-Industrie zu einem ihrer Hauptgebiete machen konnte...". Nur den Leitern der Lenzkircher Uhrenfabrik ist es gelungen, die im Fabriksystem angelegten "Verschlechtungstendenzen" auf der Grundlage "einer höheren Bildung und eines festen Charakters" zu vermeiden.

Wer Reuleaux’ Auffassungen über den Auftrag des Kunstgewerbes kennt, wird nicht überrascht sein, daß sein Urteil in Geschmacksfragen eher noch herber ausfällt. Hier gewinnt man beim Lesen des Gutachtens fast den Eindruck, er wolle Uhrenformen, die den Beifall der preußischen Minister Delbrück und Falk gefunden haben, zum Leitbild für das Produktionsprogramm des Schwarzwaldes erheben. Natürlich mißfällt ihm auch der "Bahnhäusle-Kuckuck", er vermißt die einfachen Grundformen, die der Karlsruher Professor Friedrich Eisenlohr 1850 entworfen hatte. Doch gerade dieses abgewandelte Modell der Bahnhäusle-Uhr mit geschnitzter Vorderfront und Tannenzapfengewichten entwickelte sich, allen Einwendungen der Puristen zum Trotz, neben der klassischen Holzlackschilduhr zum zweiten Welterfolg der Schwarzwälder Uhrmacher(16).

Auch wer die hohen Ansprüche von Reuleaux an Geschmack und Qualität akzeptiert, dem fällt trotzdem auf, daß dieser, bei allem Bemühen um die Erhaltung überkommener sozialer Strukturen, für die bisherige Tradition des Schwarzwälder Uhrenbaues wenig Verständnis zeigt. Die Protoindustrialisierung des Schwarzwaldes ist gelungen, weil billige und robuste Gebrauchsuhren in großen Stückzahlen mit den harten Methoden des Straßenhandels in Europa vertrieben werden konnten. Um 1790 dürften es jährlich über 100.000 gewesen sein, Mitte der 1840er Jahre gegen 600.000.

Der Regulator, hier zusätzlich mit Kalenderindikationen, zwischen 1880 und 1930 Deutschlands beliebteste Wohnzimmeruhr Wanduhr mit Federantrieb und Unruh, auch Schiffsuhr genannt. Gehäuse und Werkform von den USA übernommen

vier Der Regulator, hier zusätzlich mit Kalenderindikationen, zwischen 1880 und 1930 Deutschlands beliebteste Wohnzimmeruhr. Ursprünglich galt diese Bezeichnung nur für präzise gewichtsgetriebene Uhren mit langem Pendel. Junghans erregte 1878 bei den Uhrmachern böses Blut, alsäußerlich ähnliche Uhren mit "Amerikanerwerk", Federaufzug und halblangem Pendel gleichfalls Regulatoren genannt wurden. Ein Haupterzeugnis der aufkommenden Uhrenindustrie, das in vielen Qualitätsstufen gefertigt wurde. Die meisten Uhrenfabriken haben die Gehäuse selbst produziert. (Anzeige aus dem Allgemeinen Journal der Uhrmacherkunst 1878)

fuenf Wanduhr mit Federantrieb und Unruh, auch Schiffsuhr genannt. Gehäuse und Werkform von den USA übernommen. Die erste Uhr, die Junghans 1865 selbständig gebaut hat, war vermutlich solch eine Marine-Uhr, allerdings damals noch mit massiven Platinen. (Illustrierter Preiscourant des Amerikanischen Uhrenmagazins Stuttgart. Junghans 1878) Endverbraucherpreise: Eine einfache Schottenuhr mit kleinem Lackschild kostete damals unter 4 Mark.

Im Vergleich zu den Metallwerken in aufwendigen Gehäusen, wie sie damals Uhrmacher, Ebenisten oder Bronzegießer, später auch Manufakturbetriebe gefertigt haben, war die Schwarzwälder Uhr immer ein inferiores Gut. Sie kam nie in den Salon, wohl aber in die Küche, und in unzähligen Bauern- und Kleinbürgerstuben Europas war sie wegen ihres niedrigen Preises und ihrer geringen Störanfälligkeit zugleich die erste Uhr, die jemals gekauft wurde. Diese Tradition der Massenfertigung billiger, aber hinlänglich genauer Uhren haben die Fabriken des württembergischen Schwarzwaldes nach 1880 aufgegriffen und weiterentwickelt, eine Leistung, die offenbar später auch Reuleaux anerkennen mußte. In einem kurz vor 1900 entstandenen Beitrag für ein Sammelwerk spricht er von der "fabelhaften Wohlfeilheit der Schwarzwälder Fabrikate", und bei Junghans ist die Uhrenfertigung "allmählich zur Großartigkeit emporgestiegen".(17)

Pfarrer Jäck plädierte schon 1810 für technische Lehranstalten, "wodurch der natürliche Kunstsinn unserer Gebirgsbewohner mehr vervollkommnet und ihr Geschmack verfeinert würde", Volz empfahl 1834, eine größere mechanische Schule mit entsprechender Finanzausstattung zur Unterstützung der Schwarzwälder Uhrmacher einzurichten(18), in den 1840er Jahren verstärkten sich dann diese Forderungen. Nach langer und oft kontroverser Diskussion gründete 1850 die badische Regierung in Furtwangen eine Uhrmacherschule, die allerdings bereits 1863 wieder geschlossen wurde mit der Begründung, sie habe im allgemeinen ihre Aufgaben erfüllt(19).

Auch Reuleaux spricht sich für gezielte Unterweisung und Beratung der Schwarzwälder Uhrmacher aus, wobei er Produktionstechnik und Formgebung etwa gleich stark gewichtet.

Who is who? Zwei Tischuhren vom Typ "Cottage" mit Wecker ohne Schlagwerk, frei übersetzt die Volksuhr
sechs Who is who? Zwei Tischuhren vom Typ "Cottage" mit Wecker ohne Schlagwerk, frei übersetzt die Volksuhr. Linke Uhr von Gebr. Haas (St. Georgen), rechte von Jerome & Co (New Haven / USA). Um 1880. Die Firma Haas bezeichnet sich auf dem innen angebrachten Klebezettel als "Teutonia Clock Manufactory" (ohne Ortsangabe), Jerome verwendet ein Symbol - Adler, Flaggen und Wappenspruch - das in ähnlicher Form seit 1877 auch von Junghans genutzt wurde. Billiguhren dieser Art kosteten den Verbraucher etwa 8 Mark. Sie wurden in großen Stückzahlen hergestellt, besonders in den Krisenjahren 1875 / 78, brachten allerdings wegen der amerikanischen Konkurrenz kaum Gewinn. Ein Industriearbeiter mußte für eine Cottage mit Wecker etwa 2 1/2 Tage arbeiten, für den gleichen Preis von 8 Mark hätte er 1880 auch 7 Zentner Kartoffeln oder 7 kg Schweinefleisch kaufen können. (Privatsammlung)

sieben Der Bahnhäusle-Kuckuck, in dieser Gestaltung zwischen 1870 und 1900 häufig gefertigt. Das Design geht zurück auf einen Entwurf des Karlsruher Professors Friedrich Eisenlohr, der sich 1850 an einem Wettbewerb der Uhrmacherschule Furtwangen beteiligt hatte. Als Vorbild dienten die von ihm selbst entworfenen Bahnwärterhäuschen der badischen Rheinlinie. Ungeklärt blieb bisher, wer zuerst den Kuckuck in den Giebel des "Häuschens" gesetzt hat. Obwohl mehr als ein Jahrhundert hindurch immer wieder von Ästheten angefeindet und abgelehnt, wurde vor allem im Ausland der Bahnhäusle-Kuckuck zum Symbol der Schwarzwälder Uhrmacherei. (Privatsammlung)

reuleaux 07a
Hilfsmaßnahmen sollten jedoch seiner Meinung nach nicht nur an einzelnen Orten, sondern flächendeckend wirksam werden, was er am eingeschränkten Einflußbereich der Gewerbehallen belegt. "Die bisher von der Großherzoglichen Regierung zu diesem Zwecke ergriffenen Maßregeln bestehend in der Gründung von Schulen, Gewerbehallen, Einführung guter Muster, Belehrung durch Rede und Schrift, Unterstützung junger Talente durch Studien u. s. f. müssen in erster Linie als richtig bezeichnet werden... Immerhin dürften auch sie wohl energischer zur Anwendung gebracht werden, als geschieht."

Sein zweiter Vorschlag besteht in der Forderung, dem Schwarzwälder Kleingewerbe "Elementarkraft" zugänglich zu machen, weil nur mit ihrer Hilfe der technische Vorsprung des Fabrikbetriebs kompensiert werden kann. Reuleaux hat später diesen Gedanken in größerem Zusammenhang nochmals aufgegriffen(20). Da die Nutzung von Wasserkraft von der örtlichen Lage des Betriebes abhängt und zudem eine Reihe juristischer Probleme aufwirft, die Dampfmaschine jedoch erst von einer bestimmten Betriebsgröße an kostengünstig arbeitet, schlägt er vor, "den Hausindustriellen billige Kleinkraftmaschinen zuzuführen", so die Langen’sche Gasmaschine, die Lehmann’sche Heißluftmaschine, in naher Zukunft auch die "Petroleummaschine".


Uhrmacherwerkzeuge von Morat in Eisenbach. Der Firmengründer betrieb nach 1863 Werkzeugbau und Bestandteilfertigung, hatte im Wohnhaus außer der Werkstatt einen Gemischtwarenladen, war Posthalter und Nebenerwerbslandwirt
acht Uhrmacherwerkzeuge von Morat in Eisenbach. Der Firmengründer betrieb nach 1863 Werkzeugbau und Bestandteilfertigung, hatte im Wohnhaus außer der Werkstatt einen Gemischtwarenladen, war Posthalter und Nebenerwerbslandwirt. Die von Reuleaux wenig beachteten Werkzeughersteller, etwa Morat, Koepfer (Furtwangen) oder Weißer (St. Georgen), konnten weiter expandieren, als Hausgewerbe und Uhrenfabriken ihrer Region schon lange verschwunden waren. (100 Jahre Joh. Morat & Söhne Eisenbach / Schwarzwald, Eisenbach 1963)
 
"Es ist kaum glaublich, wieviele kleine Arbeitsmaschinen von einer 1/2 pferdigen Gasmaschine z.B. getrieben werden können; der Preis einer solchen beträgt nur etwa 1.200,- Mark." Reuleaux sieht es dabei als eine Aufgabe der örtlichen Gewerbevereine an, die Kreditverhältnisse so zu regeln, daß auch dem "kleinen Mann die Anschaffung der Maschine" möglich wird.

Das Gutachten endet mit folgenden Worten: "Zusammen mit den Mitteln, welche die hohe Regierung bereits früher für die Hebung der Schwarzwälder Hausindustrie angewandt hat, wird die Zuführung von Elementarkraft in der oben angedeuteten Form nach meiner festen Überzeugung der Ausgangspunkt eines erneuten Aufschwunges der Hausindustrie werden, dieselbe befähigen, der Fabrikindustrie wirksam die Spitze zu bieten und dadurch zur Erhaltung des Wohlstandes und der inneren Tüchtigkeit eines vorzüglichen Teiles der Landesbevölkerung beizutragen."

Von den 28 Betrieben, die Reuleaux in seinem Bericht namentlich erwähnt, bestehen gegenwärtig (1984) noch 4, wenn auch teilweise mit völlig anderem Fertigungsprogramm. Eine Langzeitwirkung des Gutachtens ist jedoch unverkennbar, es bestärkte und legitimierte die badische Regierung bei der Errichtung von "Fachgewerbeschulen"(21), wie sie Reuleaux genannt haben würde. Im Jahre 1877 wurde in Furtwangen zugleich mit der (Neu)gründung einer Uhrmacherschule eine Schnitzereischule eingerichtet, die bis 1938 Bestand hatte. Aus der Uhrmacherschule jedoch entwickelte sich ein breit gefächertes berufliches Schulsystem, das heute den Namen Robert-Gerwig-Schule trägt, und eine Fachhochschule mit sechs Fachbereichen, mit der auch das Deutsche Uhrenmuseum organisatorisch verbunden ist(22).

Anmerkungen

1.) Schott, Karl - Die Schwarzwälder Uhrmacherei, Furtwangen o. J. (1873), bes. S. 43. Ein Bericht zur Gewerbeausstellung Villingen 1876 nennt für den gesamten Schwarzwald in guten Geschäftsjahren eine Jahresproduktion von 1,5 Millionen Uhren, der Anteil Württembergs wird auf ein Zehntel dieser Summe veranschlagt. Katalog der Schwarzwälder Industrie-Ausstellung zu Villingen vom 15. August bis 20. September 1876, Villingen o. J., S. 26.  
2.) Neues Wiener Tagblatt, Nr. 142 (1873) S. 3 f. ; Schwäbische Kronik Nr. 121 (1873) S. 3 f.; Schwäbische Kronik Nr. 121 (1873)  
3.) Blackwell, Dana J. - "Vienna Regulators" of Lenzkirch and Lorenz Bob, Hartford (USA)S. 3 f.  
4.) Präsidialschreiben vom 1. Oktober (1. September ?) 1875. Generallandesarchiv (künftig abgekürzt GLA) Karlsruhe 236 / 9719.  
5.) GLA Karlsruhe 236 / 9719. Gutachten und damit in Zusammenhang stehende Korrespondenz. Die Reiseroute: Triberg - St. Georgen - Villingen - Vöhrenbach - Furtwangen - Eisenbach - Neustadt - Lenzkirch. Zu Franz Reuleaux vgl. Braun, Hans-Joachim - Leben und Werk von Franz Reuleaux in: Reuleaux, Franz - Briefe aus Philadelphia, Braunschweig 1877 (Nachdruck Weinheim 1983), S. 113 ff.  
6.) Poppe, Adolf - Die Schwarzwälder Uhren-Industrie nach ihrem Stande im Jahre 1838 in: Polytechnisches Journal (1840) S. 273 - 294 in Forts. ; Meitzen, August - Die Uhrenindustrie des Schwarzwaldes, Diss. Breslau 1848. Um Tabellen erweiterter Nachdruck in: Alemannia (1900) S. 1 - 78; Statistik der Schwarzwälder Industrie, nach dem Stande vom 1843. GLA Karlsruhe 236 / 5847.  
7.) Großherzoglich Badische Uhrmacherschule Furtwangen (Hrsg.) - Vorschlag zur Hebung der Hausindustrie des Schwarzwaldes, Villingen 1888, S. 3.  
8.) In Zusammenhang mit der fabrikmäßigen Teilefertigung in Triberg stellt sich Reuleaux die Frage, wieso ein Hausgewerbetreibender überhaupt noch den "Mut" haben kann, für ein Zahnrad 10 - 12 Minuten aufzuwenden, während die Maschine in der Fabrik "ein Uhrrädchen in 30 - 40 Sekunden fertigstellt".  
9.) Ähnlich argumentierte bereits 1843 / 44 Regierungsdirektor Kern in seinen beiden Gutachten zur Schwarzwälder Uhrmacherei. GLA Karlsruhe 383 Bez. Amt Villingen Zug. 1936 Nr. 9, Fasz. 11; GLA 236 / 5847. Realistischer urteilte Loth: "Es ist falsch, wenn man, wie es zu geschehen pflegt, exceptionell gute hausindustrielle Zustände mit irgendwelchen schlechten Fabrikverhältnissen vergleicht." Loth, Hermann - Die Uhrenindustrie im badischen Schwarzwald in: Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Band 84, Leipzig 1899, S. 249 - 348, hier S. 333. Weitere Hinweise bei Haverkamp, Frank - Staatliche Gewerbeförderung im Großherzogtum Baden, Freiburg / München 1979.  
10.) Uhrengewerbsblatt für den Schwarzwald (Villingen) 1 (1847) S. 59.  
11.) Gewerbeausstellung Villingen 1876, a. a. O.; Wiener Weltausstellung. Amtlicher Katalog der Ausstellung des Deutschen Reiches, Berlin 1873; Die Beteiligung des Großherzogtums Baden an der Universalausstellung zu Paris 1867, Karlsruhe 1867. Zur weiteren Entwicklung der genannten Betriebe: Bender, Gerd - Die Uhrenmacher des hohen Schwarzwaldes und ihre Werke, zwei Bände, Villingen 1975 / 78, Band 1, S. 270 f.; S. 282 ff.; S. 485 ff.; Band 2, S. 347 ff.  
12.) Das Lob des Musikwerkbauers Imhof klingt fast lyrisch: "... der nach 29jährigem Aufenthalt in London und Auskostung des Verkehrs mit den erregtesten Industrie- und Handelbetrieben der Welt wieder (mit Kind und Kegel) in das stille, sanfte Waldtal seines Heimatortes zurückgekehrt ist... "  
13.) Reuleaux, Franz - Briefe aus Philadelphia, Braunschweig 1877, 1. Brief S. 5f. Uhren werden in dieser Veröffentlichung nicht erwähnt.  
14.) Im Gutachten werden folgende Beschäftigtenzahlen genannt: Meier / Villingen 90 Fabrikarbeiter und 8 Heimarbeiter; Fürderer / Neustadt 280 Fabrikarbeiter und viele Hausarbeiter; Haas / St. Georgen 35 Arbeiter. Eine andere Quelle nennt bei der Firma Haas 50 Arbeiter und 250 - 300 Arbeiter außer Haus. Vgl. Gewerbeaustellung Villingen 1876, a. a. O.  
15.) Die Verirrungen der deutschen Uhrenfabrikation in: Deutsche Uhrmacher-Zeitung 2 (1878) S. 50 f.  
16.) Kahlert, Helmut - Die Kuckucksuhren-Sage in: Alte Uhren (1983) S. 347 - 353.  
17.) Reuleaux, Franz - Erfindung und Herstellung der Uhren in: Das Buch der Erfindungen, 6. Band, Leipzig 1900, S. 579 - 627, hier S. 625. Vgl. auch Kahlert, Helmut - Uhren 1913, Furtwangen 1980 (Furtwanger Beiträge zur Uhrengeschichte, Band 1).  
18.) Jäck, Markus Fidelis - Historische Darstellungen der Industrie und des Verkehrs auf dem Schwarzwald in: Magazin für Handlung, Handlungsgesetzgebung und Verwaltung... 1 (1810) S. 65 - 75 in Forts. Nachdruck in Buchform Konstanz 1826, S. 34; Volz, Wilhelm (Hrsg.) - Gewerbskalender für das Jahr 1834, Karlsruhe o. J., S. 49.  
19.) Über die Ziele der (ersten) Großherzoglich Badischen Uhrmacherschule Furtwangen, die von 1850 - 1857 von Robert Gerwig geleitet wurde, dem späteren Erbauer der Schwarzwaldbahn, informiert neben den Jahresberichten (Karlsruhe 1851 ff.) das von Gerwig redigierte Gewerbeblatt für den Schwarzwald (Furtwangen 1852 / 56). Schreiben des Badischen Handelsministeriums vom 18. Nov. 1863 in: GLA Karlsruhe 383, Bez. Amt Villingen Zug. 1936 Nr. 9, Fasz. 11.  
20.) Reuleaux, Franz - Die Maschine in der Arbeiterfrage, Minden 1885.  
21.) Vgl. Nachdruck Briefe aus Philadelphia, a. a. O. Anhang. S. 108.  
22.) Großherzoglich Badische Uhrmacherschule - Jahresbericht für das Schuljahr 1901 / 02, Furtwangen 1902, S. 3 - 8; 125 Jahre Berufsfachschule, o. O. (Furtwangen) 1975; Mühe, Richard / Kahlert, Helmut - Deutsches Uhrenmuseum Furtwangen. Die Geschichte der Uhr, 2. Aufl., München 1984, S. 8 ff.  



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