100 Jahre Amtsgericht Ettenheim von Joh. B. Ferdinand - Die Ortenau 1957, S. 96 ff.


Auf die Rechtspflege, wie sie zur Zeit der straßburgischen Herrschaft in Ettenheim und seinem Gebiet bestand, kann im Rahmen dieses Beitrags zur Geschichte der Stadt Ettenheim nicht eingegangen werden. Wer sich dafür interessiert, kann darüber einiges in der Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, Band 48 / (1934), Seite 143 ff., nachlesen. (Prof. Erwin Schell, Das Hochstift Straßburg rechts des Rheins im Jahre 1802.)

Vielmehr soll hier von der Errichtung des badischen Amtes Ettenheim 1809 ausgegangen und die Darstellung auf die badische Zeit beschränkt werden.

I.

Eine Trennung der Justiz von der Verwaltung kannte man vor 1857 in der untersten Instanz nicht. Das Amt war gleichzeitig Verwaltungs- und Justizbehörde, hatte also neben seiner Verwaltungstätigkeir Prozesse zu entscheiden (streitige Gerichtsbarkeit) und alles das zu erledigen, was man heute unter dem Begriff der freiwilligen Gerichtsbarkeit zusammenfaßt. (Vormundschafts-, Nachlaß-, Urkundenwesen.)

Anders war es in der zweiten und dritten Instanz, wobei vorauszuschicken ist, daß das neue Land Baden zunächst in 3 Provinzen (Oberrhein oder badische Landgrafschaft, Mittelrhein oder badische Markgrafschaft; Unterrhein oder badische Pfalzgrafschaft) eingeteilt war, welche Einteilung 1809 von einer solchen in 10 Kreise und 1832 von einer solchen in 4 Kreise mit 4 Kreisregierungen in folgenden Städten abgelöst wurde: Seekreis - Konstanz, Oberrheinkreis - Freiburg (hierzu gehörte Ettenheim), Mittelrheinkreis - Karlsruhe, Unterrheinkreis - Mannheim. Entsprechend gab es als zweite gerichtliche Instanz 4 Hofgerichte: in Konstanz, Freiburg, Bruchsal, später Rastatt, und Mannheim, als dritte Instanz ein Oberhofgericht, ursprünglich in Bruchsal, dann in Mannheim.

II.

Nachdem in Verfolg der Sturmjahre 1848 / 49 im Jahre 1851 Schwurgerichte eingerichtet worden waren, brachte das Jahr 1857 ebenfalls eine tiefgehende Umwälzung:

die Trennung der Justiz von der Verwaltung in der untersten Instanz. Der 1. September 1857 ist der Geburtstag des Amtsgerichts Ettenheim. Nach der VO vom 18. Juli 1857 wird nunmehr die Rechtspflege der Ämter von selbständigen Amtsgerichten ausgeübt und erhalten die bisher mit der Verwaltung der Justiz beauftragten Beamten den Titel Amtsrichter.

Merkwürdigerweise - mindestens vom heutigen Standpunkt aus - behielten die Ämter dagegen alle ihre Zuständigkeiten rechtspolizeilicher Art, d. h. der sogenannten freiwilligen Gerichtsbarkeit. Diese Geschäfte wurden von den sogenannten Amtsrevisoraten besorgt, die einen Teil des Amtes bildeten. Diesen waren sogenannte Distriktsnotare beigegeben, deren Zuständigkeit in einer VO vom 25. November 1841 abgegrenzt war. In die Zuständigkeit dieser Stellen fielen die Fertigung gewisser Verträge, z. B. Schenkungen unter Lebenden, aller öffentlichen Urkunden, von Heiratsverträgen, Kauf- und Tauschbriefen, die Vornahme von Versteigerungen, Verpfründungen, Pfandverschreibungen, die Fertigung öffentlicher Testamente, die Aufnahme von Obsignationen und Inventuren sowie die Vornahme von Teilungen und Vermögensübergaben.

III.

Eine durchgreifende Reform erfuhr das badische Justizwesen durch das Gesetz vom 19. Mai 1864. Diese Reform brachte für Strafsachen die Schöffengerichte ungefähr in der Form und mit der Zuständigkeit wie in der späteren Reichsgesetzgebung von 1879. Verwaltungsrechtlich waren an Stelle der 4 Kreise 11 Kreise als Selbstverwaltungskörper getreten mit Sitz in Konstanz, Villingen, Waldshut, Freiburg, Lörrach, Offenburg, Baden-Baden, Karlsruhe, Mannheim, Heidelberg und Mosbach. Dementsprechend wurden 11 Kreisgerichte als mittlere Instanz geschaffen, wobei die 4 früheren Hofgerichte die Bezeichnung "Kreis- und Hofgericht" erhielten. Die badische Gerichtsverfassung und Prozeßgesetzgebung des Jahres 1864 weist schon manche Grundsätze und Einrichtungen auf, wie sie in der Reichsgesetzgebung des Jahres 1879 in Erscheinung treten.

Mit das Wichtigste an der Reform des Jahres 1864 aber war, daß sie den Ämtern die freiwillige Gerichtsbarkeit entzog und diese teils den Amtsgerichten, teils sogenannten Gerichtsnotaren übertrug, die neben den oben schon erwähnten Distriktsnotaren fungierten. Letztere hatten je für ihren Distrikt die Fertigung von öffentlichen Urkunden, die Anlegung und Abnahme von Siegeln, die Aufnahme von Vermögensverzeichnissen, die Teilungen und Vermögensübergaben zu besorgen. - Die Reform von 1864 trat am 1. Oktober 1864 in Kraft.

IV.

Die badische Gesetzgebung von 1864 wurde nach genau 15jährigem Bestehen abgelöst von den auf 1. Oktober 1879 in Wirksamkeit getretenen Reichsjustizgesetzen (Gerichtsverfassungsgesetz, Zivilprozeßordnung, Strafprozeßordnung, Konkursordnung). Seit 1. Oktober 1879 konnten Gerichtsnotare nicht mehr ernannt werden, sie verschwanden im Laufe der 1890er Jahre.

Weitere Veränderungen brachten die Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) auf 1. Januar 1900 und das auf den gleichen Zeitpunkt wirksam werdende Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. Mai 1898 (FGG). Letzterem war vorausgegangen das badische Gesetz vom 6. Februar 1879, die freiwillige Gerichtsbarkeit und das Notariat betreffend. Die auf 1. Januar 1900 in Kraft tretende Gesetzgebung des Reiches schuf einheitliches bürgerliches Recht für dessen ganzen Umfang und einheitliches Recht der freiwilligen Gerichtsbarkeit, hier wenigstens in den Grundzügen und mit mancherlei Vorbehalten für die Landesgesetzgebung, so daß auf diesem Gebiet auch heute noch mancherlei Unterschiede bestehen. -

Die seit 1864 in der ursprünglichen Grundform und etwa mit der gleichen Zuständigkeit auch nach dem 1. Oktober 1879 bestehenden Schöffengerichte fielen der Justizreform des Jahres 1924 (Emmingersche Reform) zum Opfer, nachdem sie 60 Jahre bestanden hatten. Ihre Zuständigkeit ging auf den Amtsrichter als Einzelrichter über. Die erste Sitzung des Schöffengerichts Ettenheim hatte am 28. Oktober 1864 stattgefunden, die letzte war am 20. Dezember 1923. (Letztere vom Verfasser dieser Zeilen abgehalten im Sitzungssaal des Amtsgerichts.)

V.

Diese ganze geschichtliche Entwicklung von Organisation und Gesetzgebung hat das Amtsgericht Ettenheim miterlebt und auch mitdurchkämpft.

Auch nach Trennung der Justiz von der Verwaltung im Jahre 1857 blieben die Amtsräume des Amtsgerichts zusammen mit denen des Bezirksamts im Erdgeschoß des Rohanschen Schlosses, das die Bezeichnung "Amthaus" erhalten hatte. Im Obergeschoß befanden sich Wohnungen, bis 1845 die des Amtsvorstandes und des Domänenverwalters, dessen Wohnung nach Aufhebung des Domänenamtes auf den nachmals aus der Revolutionsgeschichte 1848 / 49 bekanntgewordenen Rechtsanwalt Stählin überging. Nach dessen Flucht nach Amerika zog in diese Wohnung 1850 der Assesor Himmelspach, der 1857 der erste Amtsrichter von Ettenheim wurde. Auch dieser ist aus der Revolutionsgeschichte bekannt, da er im Herbst 1848 den Berthold-Michel einsperrte, der an der Eisenbahnsabotage bei Orschweier führend bereiligt war. Im Frühjahr 1849, anläßlich der Militärrevolution, wurde Himmelspach übel mitgespielt, er selbst eingesperrt. (Nach einer anderen Version soll es der Assessor Wilhelmi gewesen sein, der die Untersuchung wegen der Vorfälle vom Herbst 1848 zu führen hatte.)

Die räumlichen Verhältnisse im Erdgeschoß des Amthauses waren schon immer sehr beengte, sie wurden nach 1864 (Schöffengerichte) noch beengter, und es tobte ein ständiger Kampf wegen der Verteilung der Diensträume zwischen der "Mutter Verwaltung" und der "Tochter Justiz". Als im Jahre 1872 infolge der Aufhebung des Amtsgerichts Kenzingen der Bezirk Ettenheim neuen Zuwachs an Gemeinden erhielt (Bleichheim, Broggingen, Tutschfelden, Nordweil, Wagenstadt, Herbolzhetm, Ober- und Niederhausen), wurden die räumlichen Verhältnisse noch schwieriger, und so kam es zur Verlegung der Schöffengerichtssitzungen in den Bürgersaal des Rathauses, wo sie bis zur Fertigstellung des neuen Amtsgerichtsgebäudes 1909 abgehalten wurden. (Einige Sitzungen des Sommers 1904, an denen der Verfasser dieser Zeilen als Rechtspraktikant und Amtsanwalt der Staatsanwaltschaft Freiburg teilgenommen hat, sind ihm noch lebhaft in Erinnerung.) Amtsrichter Himmelspach war auf 1. Oktober 1864 nach Philippsburg versetzt worden, und sein mittelbarer Nachfolger (siehe unten), Amtsrichter Schrempp, trat 1872 ein Zimmer seiner Wohnung für dienstliche Zwecke ab. Da die räumlichen Schwierigkeiten blieben, obwohl 1879 der Bezirk infolge Wiedererrichtung des Amtsgerichts Kenzingen auf seinen alten Bestand zurückgeführt worden war, bezog Amtsrichter Schrempp auf 1. November 1887 eine Dienstwohnung in dem der Stadt gehörigen Stammhof. Nunmehr wurden die Registratur und die Gerichtsschreiberei der freiwilligen Gerichtsbarkeit im Erdgeschoß, die anderen Geschäftszweige einschließlich des Richterzimmers im Obergeschoß untergebracht, wobei ein "Sprachrohr" die beiden Stockwerke verband. Die mißlichen Verhältnisse aber blieben.

Schon Amtsrichter Schrempp hatte die Frage eines käuflichen Hauserwerbs (1885 ehemaliges Bürgerschulgebäude, 1886 Stammhof, 1887 "Prinzenhaus", 1888 Haus J. Vogel beim Stammhof) oder eines Neubaus für das Amtsgericht ventiliert. Dieser Plan wurde in den 1890er Jahren von den damaligen Amtsrichtern weiterverfolgt, und so kam es am 23. Juni 1900 zum Erwerb eines Bauplatzes im Gewann Neuweg an der Ringsheimer Straße (heute Anwesen Forster). Unter Oberamtsrichter Bastian (1904 / 13) gelang am 9. Juli 1907 der Erwerb eines günstigeren Bauplatzes an der heutigen Otto-Stoelcker-Straße, eines etwa 100 a großen Komplexes, der der Karl Stoelcker Wwe. abgekauft wurde. In den Jahren 1908 / 09 wurde unter dem nachmaligen Baurat Vögele, der auch das Forsthaus und das Krankenhaus gebaut hat, der Neubau erstellt und im Herbst 1909 bezogen. Am 9. November 1909 fand die Einweihungsfeier statt, an der etwa 100 Personen aus Stadt und Land teilnahmen.

Die Dienstwohnung im Stammhofe war schon auf 1. April 1899 aufgegeben und dafür eine Dienstwohnung für den Amtsrichter im Hause Märcklin (heute Krankenkasse) und 1905 das Haus von Baurat Weltin in der Otto-Stoelcker-Straße (heute Anwesen Bölle) gemietet worden, bis dann die Wohnung im Neubau bezogen werden konnte.

VI.

Die Stürme des letzten Weltkriegs hießen auch das Amtsgericht Ettenheim nicht unberührt. Durch Verfügung des Oberlandesgerichtspräsidenten Karlsruhe vom 10. Juni 1943, die auf Weisung des Reichsjustizministers erging, wurde das Amtsgericht Ettenheim - neben anderen - zum sogenannten Z-Gericht (Zweiggericht) "degradiert" und dem Amtsgericht Lahr angeschlossen. Gleichzeitig erfolgte Zuteilung zum Landgericht Offenburg statt bisher Freiburg. Sämtliche Prozesse gingen auf das Amtsgericht Lahr über, in Ettenheim verblieben nur gewisse Rechtspflegergeschäfte.

Dieser Zustand fand mit dem 1. März 1950 sein Ende, das Amtsgericht wurde wieder zum "Vollgericht". Ab 15. Mai 1950 gehörte der Amtsgerichtsbezirk auch wieder zum Landgerichtsbezirk Freiburg. Mit einem ständigen Richter war aber das Amtsgericht Ettenheim zunächst nicht wieder besetzt. Nachdem es eine Zeitlang vom Kenzinger Amtsrichter verwaltet worden war, versah ein Assessor die richterlichen Geschäfte. Ab 1. März 1957 aber ist wieder ein planmäßliger Richter Dienstvorstand.

VII.

Das Amtsgefängnis wurde 1811 als solches erbaut, nachdem Ettenheim 1809 badisches Amt geworden war. Auf 1. Juni 1927 wurde es - mit 17 anderen - wegen seiner unzeitgemäßen baulichen Beschaffenheit stillgelegt. Die amtliche Bezeichnung war seit 1925 "Bezirksgefängnis". Seine Zuständigkeit ging auf das Bezirksgefängnis Kenzingen über. (Von 1920 bis 1927 war der Verfasser dieser Zeilen auch Gefängnisvorstand, mit einigen teils humorvollen, teils weniger angenehmen Erinnerungen. Letzter Gefängnisaufseher war Oberaufseher Blau, seit 1. April 1909 bis zur Stillegung.)

VIII.

So wie man in der "großen" Geschichte die Reihenfolge der Fürsten und Könige festhält, so soll hier im engeren Raum der Heimatgeschichte die Reihenfolge der Ettenheimer Amtsrichter während der letzten 100 Jahre eine Stätte des Gedenkens finden. Ist doch der Amtsrichter auf dem Lande ein kleiner und bescheidener "König" in seinem beruflichen Bereich, der, wenn er seine Aufgabe richtig auffaßt, sehr segensreich wirken kann.
1. Himmelspach 1857 - 1864 8. Dr. Fuchs 1899 - 1902
2. Sengler 1864 - 1866 9. Holzenthaler 1902 - 1904
3. Schrempp 1866 - 1890 10. Bastian 1904 - 1913
4. Dr. Stoll 1890 - 1891 11. Schütz 1913 - 1920
5. Dr. Krämer 1891 - 1897 12. Dr. Ferdinand 1920 - 1928
6. Thoma 1897 13. Dr. Claus 1928 - 1943 (von da ab bis Kriegsende Notar).
7. F. Müller 1897 - 1899    

Wenn man schon eine Geschichte des Amtsgerichts Ettenheim schreibt, so soll man eines Mannes nicht vergessen, der dem Amtsgericht außergewöhnlich lange in Treue gedient hat, des verstorbenen ehemaligen Gerichtsverwalters Jakob Gieser von Oftersheim, der 1895 als Aktuar eintrat und Jahrzehnte hindurch - er kannte ganze Generationen der Bevölkerung des Bezirks - in der freiwilligen Gerichtsbarkeit bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1931 tätig war.

In gleicher Weise hat dem Amtsgericht die Treue gehalten Justizoberinspektor Albert Wilhelm von Sulz, der im April 1926 beim Amtsgericht eintrat und im Jahre 1956 das Jubiläum seiner dreißigjährigen Zugehörigkeit zum Amtsgericht feiern konnte. Er ist dort der ruhende Pol in der Erscheinungen Flucht und im ganzen Bezirk weit und breit als tüchtiger Beamter bekannt.

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