Rathaus Gengenbach


Alljährlich wird das Gengenbacher Rathaus im in der Weihnachtszeit zum weltgrößten "Adventskalender". Vom 30. November bis zum 23. Dezember werden an den 24 Frontfenstern des Gengenbacher Rathauses 24 Motive geöffnet Alljährlich wird das Gengenbacher Rathaus im in der Weihnachtszeit zum weltgrößten "Adventskalender". Vom 30. November bis zum 23. Dezember werden an den 24 Frontfenstern des Gengenbacher Rathauses 24 Motive geöffnet. Bilder von Künstlern wie Marc Chagall, Tomi Ungerer, Otmar Alt, Andy Warhol oder Motive der Kinderbuchhelden aus Jim Knopf und Räuber Hotzenplotz waren hier schon zu bewundern. Natürlich bildet sich rund um diesen "Adventskalender" auch ein gerne besuchter Weihnachtsmarkt. Um 18:00 Uhr beginnt das "Ritual" - die Eröffnung eines neuen Fensters. Mit Begeisterung und Bewunderung verfolgen die Besucher*innen das Schauspiel. Ein Rahmenprogram auf der Bühne vor dem Rathaus findet wochentags ab 17:00 Uhr und an Wochenenden bereits ab 15:00 Uhr statt. Gerne lassen sich junge und ältere Besucher*innen von den herrlichen Düften aus den Markständen gelockt, mit den angebotenen Köstlichkeiten verwöhnen.

Denkmalpflege BW - Historische Ortsanalyse Gesamtanlage Gengenbach, Ortenaukreis:

Repräsentatives, dreigeschossiges und traufständiges Gebäude mit Walmdach; der Baukörper über trapezförmigen Grundriss erbaut und vor die alte Baulinie vorspringend; reich gestaltete, symmetrische Hauptfassade mit farblich abgesetzten Gliederungselementen und additiver Fenstergliederung; der dreiachsige Mittelrisalit mit von Konsolen gestütztem Balkon und Dreiecksgiebelverdachung sowie drei bekrönenden Sandsteinfiguren (Gengenbacher Adler, Justitia und Prudentia) und flankiert von den jeweils vierachsigen Seitenflügeln; das rustizierte Erdgeschoss durch rundbogige Arkaden geöffnet und über Freitreppe zugänglich, darüber in den Hauptgeschossen hohe Fenster mit geohrten Gewänden mit segmentbogigen Verdachungen, diese am Mittelrisalit zusätzlich mit Keilsteinen versehen; 1780 -1784 nach Plänen von Victor Kretz errichtet, 1945 der Südflügel zerstört und bis 1950 wiederaufgebaut. Als baulicher Ausdruck des Selbstbewusstseins der hiesigen Bürgerschaft sowie als ein nach französischen Vorbildern ausgeführter Repräsentativbau ist das Rathaus von hohem Zeugniswert für den spätbarocken frühklassizistischen Stadtumbau.

Das Rathaus zu Gengenbach - Von Joseph Schlippe, Freiburg i.Br.
Bd. 4 Nr. 1 - 2 (1961): Nachrichtenblatt der Denkmalpflege in Baden-Württemberg – Organ der Staatlichen Ämter für Denkmalpflege

Es gibt nur wenige Städte, in denen das Rathaus derart wie in Gengenbach das Stadtbild beherrscht und sowohl in räumlicher Hinsicht wie auch als architektonischer Akzent den Mittelpunkt der Stadtanlage bildet. Gewiß stellt auch das ehemalige Benediktinerkloster mit seiner bedeutenden Kirche, dem eigentlichen Kloster und seinen Wirtschafts- und Nebengebäuden einen weitläufigen Komplex dar; sein Areal kommt ja an Grundfläche fast der ganzen Stadt gleich. Aber so eng auch räumlich das Kloster der Bürgerstadt benachbart ist und sich mit dieser von dem gemeinsamen Zug der Stadtmauer umfangen läßt, bleibt es doch im Hintergrund. Wohl spricht es stark mit in der Fernansicht für den das Kinzigtal abwärts Fahrenden oder auch für den Wanderer, der vom Kastelberg und der Einbethenkapelle aus hinab auf das Städtchen schaut. Aber für den, der das Städtchen durchwandert und von den platzartig weiten Straßenräumen aus das Bild der Stadt in sich aufnimmt, bleibt das Kloster so gut wie unsichtbar; höchstens, daß er dann und wann den schönen Umriß des Kirchturmes über den niedrigen Häusern aufsteigen sieht. Als unvergeßlicher Eindruck dieser so unversehrten Kleinstadt bleibt eben die prächtige Front des Rathauses und dessen beherrschende Stellung im Schnittpunkt der Straßengabel.

So bevorzugt auch der Platz an sich, als Mittelpunkt der Stadt, ist, so schwierig andererseits war er zu überbauen. Keilförmig verengt er sich nach hinten und hat nur eine geringe Tiefe. Der Architekt meisterte diese Schwierigkeit aufs schönste. Um doch einen rund 15 Meter tiefen Baukörper erstellen zu können, rückte er ihn vor die Straßenflucht der Nachbarhäuser vor. Dadurch gewann er eine Straßenfront von 33 Metern bei einer hofseitigen Rückfront von immerhin 26,5 Metern und behielt doch noch etwas Hoffläche frei. Über diesen realen Gesichtspunkt hinaus bewog ihn dazu gewiß vor allem der ideelle Gewinn, daß nämlich das Rathaus dadurch sich vor die Bürgerhäuser vorschob, nicht anders etwa als auch das Kaufhaus am Freiburger Münsterplatz, das dessen Erbauer ja auch nicht etwa wegen des dadurch lichteren Hofes, sondern wegen der dadurch gewonnenen erhöhten Bedeutung im ganzen Platzbild vor die Nachbarfluchten vorgerückt hat. Hier wie dort wird der Gehweg längs der Häuserflucht nicht unterbrochen, sondern der vorgerückte Baukörper öffnet sein Erdgeschoß als Durchgang in Form von Arkaden. Beim Gengenbacher Rathaus weitet sich dieser Arkadengang noch rückwärts, jenseits einer Säulenstellung von zwei schlanken römisch-dorischen Säulen, aus zu einem Vestibül am Fuß der stattlichen, steinernen Treppe. In dieser offenen Halle besitzt unser Rathaus eine bei den meisten anderen Rathäusern des achtzehnten Jahrhunderts gänzlich verlorengegangene Erinnerung an die offene Erdgeschoßhalle der mittelalterlichen Rathäuser, wenn auch freilich die Gengenbacher Halle in ihrer Reduktion auf ein Vestibül nicht mehr dazu dienen konnte, jenen Aufgaben zu genügen, für die man im Mittelalter das Erdgeschoß der Rathäuser als offene, weite Halle für die verschiedensten Zwecke, auch für feierliche Amtshandlungen, ausbildete. Aber immerhin: Sagt man oft geringschätzig den Rathäusern der Barockzeit nach, sie hätten nicht das ehrwürdige Gesicht und die eigene, bürgerliche Note wie die mittelalterlichen Rathäuser, so trifft dieser Vorwurf jedenfalls hier nicht zu. Denn wo wäre ein Fürstenschloß oder ein Adelspalais, das sein Erdgeschoß in den Platz vorschöbe und es völlig als Arkade und Durchgang festlich und einladend öffnete! Es ist ja umgekehrt das Charakteristikum der Palaisbauten, daß sie entweder eine abweisend geschlossene Front innerhalb der Bauflucht gegen die Straße kehren oder sich von ihr gar absentieren durch eine cour d’honneur [Ehrenhof]. Denn dieser Vorhof hatte erst in zweiter Linie die Aufgabe, beiderseits die ecuries [Stallungen / Marstall] aufzunehmen. Vor allem jedoch sollte er das corps de logis [Hauptgebäude] von der lärmenden, neugierigen Straße abrücken. Wie von Grund auf anders ist da die bei aller unbestreitbar seigneuralen Haltung doch einladende Geste des Arkadenganges an unserem Rathaus!

Gengenbach - Rathaus Grundriß - Zeichn. Aufnahme Kunstdenkmäler Badens, Bd.7 Kr. Offenburg
Gengenbach - Rathaus Grundriß - Zeichn. Aufnahme Kunstdenkmäler Badens, Bd.7 Kr. Offenburg

Und doch ist die Haltung des Rathauses sehr verwandt der eines Stadtpalais. Es braucht nicht erst der Aufzählung verwandter Fassaden, denen eben stets nur jenes Charakteristikum, die einladende Öffnung des Erdgeschosses fehlt, die aber in der Komposition mit dem ernsten, rundbogigen Erdgeschoß und den durch Pilaster zusammengefaßten beiden Obergeschossen ein gemeinsames Element aufweisen, einerlei, ob sie in Basel oder Hamburg, Wien oder Münster stehen.

Betrachten wir nun das Innere des Rathauses:

In dem Vestibül, das den offenen Arkadengang in dessen Mitte nach hinten ausweitet und mit ihm eine saalartige Halle bildet, steigt in drei Armen die behäbige steinerne Treppe hinauf ins Hauptgeschoß: sie ist ebenso handwerklich gediegen ausgeführt wie kunstvoll konstruiert, so bei dem viertelkreisförmigen Übergang vom zweiten zum dritten Lauf. Das schmiedeeiserne Treppengeländer und auch die brüstungshohen Gitter zwischen den Pfeilern der Arkade sind noch in flotten Rokokoformen gehalten, wenn auch nicht mit rocailleartigen Ausschmiedungen der Endigungen, so doch in der eleganten Kurvatur der Eisenbänder. In den beiden Obergeschossen liegen beiderseits eines Längsganges die Amtsräume, hoch, hell und luftig. Inmitten im Hauptgeschoß liegt der Saal, dessen drei Fenstertüren sich auf den Balkon öffnen. Verkündigte im Mittelalter und noch zu Beginn der Neuzeit der Waibel einer Stadt vom Rathauserker aus nach dem sonntäglichen Gottesdienst den Bürgern das, was die hohe Obrigkeit zu verlautbaren hatte (wir wissen dies in unserem Bereich z. B. von dem schönen Erker am "Urtelhaus" gegenüber der Südpforte der Colmarer St.-Martins-Kirche), so war der Balkon zur Erbauungszeit unseres Rathauses der repräsentative Platz, von dem aus der Schultheiß und der Stättmeister der Freien Reichsstadt sowie dle Zwölfer des Alten und des Jungen Raths sich der Menge zeigten oder zu ihr sprachen. Im Innern des wohlräumigen Saales hingen die Bilder der Römisch-Deutschen Kaiser aus dem Hause Habsburg.

Die Hauptelemente der stolzen Fassade sind deren klare Gliederung in Mittelrisalit und seitliche Flanken sowie der auf den Mittelrisalit und seinen Dreiecksgiebel konzentrierte plastische Schmuck und der tiefschattende Arkadengang des Erdgeschosses. Die Halbkreisbögen der Arkaden ruhen auf rechteckigen Pfeilern, deren Kämpfer durch ein knapp profiliertes Gesims betont ist. Der Bogenscheitel ist - wenigstens bei den je vier Arkaden der Flanken - nicht durch einen Schlußstein betont: lediglich die drei Arkaden des Mittelrisalits haben volutenförmige Schlußsteine jeweils zwischen den Balkonkonsolen. Das Erdgeschoß Ist als Sockel behandelt und durch tiefe Fugen horizontal gegliedert. Zu den drei mittleren Arkaden führt eine breite Treppe hinauf. Die seitlichen Rücklagen der Fassade sind je vier Fensterachsen breit. An den Ecken sind sie durch Pilaster eingefaßt und ebenso von dem Mittelrisalit durch Pilaster getrennt; die Flucht des Mittelrisalits liegt ein wenig vor der der Flanken. Die beiden Obergeschosse sind durch die vier Pilaster zu einer Einheit zusammengefaßt, ohne daß ein Gurtgesims die Stockwerke voneinander trennte. Die Pilaster sind glattschaftig, also nicht kanelllert, sie steigen aus attischen Basen empor und tragen jonische Kapitelle in der spätbarocken Version.

Über dem relativ flach abgestuften Architrav sitzt ein Friesband mit querovalen, gewändelosen Lucken jeweils über den Fensterachsen. Aus dem schweren Kranzgesims entwickelt sich über dem Mittelrisalit ein Dreiecksgiebel, in dessen Feld die große geschmiedete Uhr sitzt, Darunter steht in vergoldeten Lettern die Jahreszahl der Erbauung MDCCLXXXIV. Ein mächtiges Walmdach krönt den ganzen Bau. Für die Spätzeit überraschend ist der Reichtum an plastischem Schmuck der Fassade: in vier Zonen, in Giebelhöhe, über den Fenstern des oberen und des mittleren Stockes und am Balkon, ziert er den Mittelrisalit. Den Giebel bekrönt der Adler des Reiches mit geschwungenen Flügeln; er hält das Wappen der Stadt mit dem "Geng"-Fisch. Ihn flankieren beiderseits am Giebelfuß die Statuen der Gerechtigkeit und der Klugheit.

Im obersten Stockwerk sind die Schlußsteine der drei Fenster mit Rocaille geziert, über der sich agraffenartig ein zopfiges Gebilde zum Gesims hin erhebt. Im mittleren Stockwerk tragen die Schlußsteine der drei Fenstertüren Köpfe, inmitten einen männlichen Kopf mit Mütze und Schnauzbart, zu dessen Rechten einen gleichfalls bemützten Jünglingskopf und zu seiner Linken einen jugendlichen Frauenkopf. Der Sinn dieser drei Köpfe ist - wenigstens uns Heutigen - nicht klar. Sollten vielleicht die sonst oft an Schlußsteinen auftauchenden vier Lebensalter hier auf deren drei reduziert sein? Dagegen sprechen die vier Köpfe an den Balkonkonsolen ihren Sinn unverkennbar aus. Es sind die vier Erdtelle. Ganz links ein edler, schöner Frauenkopf: Europa. Dann ein Türke mit einem Schnurrbart und Turban: Asien. An dritter Stelle ein Mohr mit wulstigen Lippen und Federn auf dem breiten Kopf: Afrika. Zuletzt ein Indianer mit steilem Federschmuck auf dem gut geschnittenen Kopf und einem Perlenhalsband: Amerika.

Gengenbach. Rathaus. Plastiken an den Balkonkonsolen - Die Erdteile. Von links nach rechts: Europa, Asien, Afrika, Amerika Aufnahmen Schlippe
Gengenbach. Rathaus. Plastiken an den Balkonkonsolen - Die Erdteile. Von links nach rechts: Europa, Asien, Afrika, Amerika Aufnahme Schlippe

Diesen gesamten Schmuck figürlicher und dekorativer Art schuf der Bildhauer Peter Schwab; über ihn wissen wir durch J. L. Wohlleb, daß er in Dettingen bei Horb geboren wurde, im Jahre 1762 die Kanzel der Leutkirche schuf und zwei Jahre danach durch Heirat der Schwager des Stadtbaumeisters Victor Kretz wurde. Das Rathaus ist also das Werk zweier Schwäger, des aus dem Allgäu gekommenen Kretz und des aus dem Württembergischen gekommenen Schwab. - Da Schwab wohl schon mindestens ein Fünfziger war, als er den plastischen Schmuck des Rathauses schuf, hatte er nicht den Ehrgeiz, sein Mäntelchen nach dem Winde der neuesten Mode zu hängen. Die Anmut und Charakterisierung seiner Köpfe erinnert mehr an Werke der Jahrhundertmitte, wie wir deren viele in Straßburg sehen, etwa an Johann Peter Pflugs "Hôtel de Marabail" von 1745 oder auch an die anderthalb Jahrzehnte später entstandenen Köpfe am Wenzingerhaus in Freiburg oder am Haus Biechele-Zimmermann in Endingen. Auch die Haltung der beiden seitlichen Giebelfiguren und das barocke Pathos des Reichsadlers stammen aus der damals eben verflossenen Stilepoche. Vor allem die eleganten Ranken und Kurvaturen der vier Balkonkonsolen und der drei Arkadenschlußsteine haben noch gar nichts von dem strengen Louis XVI., das z. B. am Sickingenpalais in Freiburg vor damals schon vierzehn Jahren aufgetaucht war. In Schwabs Werken ist vielmehr das verklingende Rokoko noch lebendig. Genau so könnten auch die leicht segmentförmigen Fensterstürze um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts entstanden sein, und erst recht ihre gleichfalls segmentförmigen Verdachungen, eine seltene Form, die um 1718 am "Dalberger Hof" zu Mainz und um die Jahrhundertmitte in München am Palais Gise und an Gunezrainers eigenem Haus auftritt. Es gilt, sich diese vielen Reminiszenzen an die vorherige Stilepoche vor Augen zu halten. Sie offenbaren, daß eine stilistische Beeinflussung durch einen klassizistischen Architekten reinsten Wassers unmöglich stattgefunden haben kann, wovon noch die Rede sein wird. Auch das ganz köstliche (im Sommer durch allzu vielen Blumenschmuck unsichtbare) graziös geschwungene Balkongitter kann ebenso wie die anderen schmiedeeisernen Arbeiten die Anhänglichkeit seines Schöpfers an die Formensprache des Rokoko nicht verleugnen.

Gengenbach - Rathaus - Balkon des Mittelrisalits - Aufnahmen Schlippe
Gengenbach - Rathaus - Balkon des Mittelrisalits - Aufnahme Schlippe

Selbst in der farbigen Haltung, im Grau der Architekturteile vor dem Gelb der Putzflächen, wird noch ein barocker Klang lebendig, zumal durch die Kontrastwirkung der rein weißen Plastik zu diesem Grau-Gelb. Einem Klassizisten hätte eine gänzlich weiße Färbelung der Fassade mehr zugesagt, höchstens noch eine zarte Nuancierung von ungebrochenem und von gedämpftem Weiß; oder, wo Farbe sein sollte, eine schneeweiße Architektur vor zartrosa Putzfläche. Das Grau und Gelb der heutigen Fassade folgt, in beiden Tönen vielleicht um einen Hauch zu schwer, der an der Hoffront seit je unverändert erhalten gebliebenen ursprünglichen Farbe. Den "Naturton" des roten Sandsteines zu zeigen, wäre den Künstlern der Erbauungszeit nie und nimmer eingefallen. Das Farbkleid des Gengenbacher Rathauses ist also eine treue Wiedergabe des ursprünglichen Zustandes. Architekt des Rathauses war der "Städtische Werkmeister" Victor Kretz. Nicht minder stolz als die Stadt Gengenbach auf ihr Rathaus war Kretz selber auf sein Meisterwerk. Im Friedhof bei der Leutkirche St. Martin steht der von seinem Sohn im Jahre 1802 errichtete Grabstein, ein schlanker Obelisk auf dreikantigem Sockel, dessen Inschrift lautet:

Victor Kretz / Zwölfer des alten Raths / Baumeister / des Rathhausses allhier: Geb. den 20. Aug. 1729 zu Waldrams im Allgöw / † den 27. Feb. 1786.

Ausdrücklich wird hier der Rathausbau als sein Werk genannt; diese Tatsache schien dem Sohn offensichtlich wichtiger als die Würde eines Stättmeisters, die sein Vater einmal bekleidet hatte. Daß Kretz vom einfachen Steinhauer zum Werkmeister und schließlich zum Architekten aufstieg, ist Zeugnis für eine künstlerische Entwicklung und einen gesellschaftlichen Aufstieg, den der Allgäuer mit manchen seiner engeren Landsleute teilt. Friedrich Hefele und soeben Norbert Lieb zählen viele Beispiele für einen solchen Aufstieg gerade der Baumeister aus dem Allgäu und aus dem Bregenzer Wald auf. Außer dem Rathaus ist bis jetzt nur die alte Kinzigbrücke von 1776 urkundlich als sein Werk bezeugt; diese Brücke war übrigens eine Holzkonstruktion.

Nun schreibt Joseph L. Wohleb in seinem Werkchen "Gengenbach", dem 8. Band der "Großen Kunstführer", gewiß auf Grund der ihm zugänglich gewesenen Akten, der Rat der Stadt Gengenbach habe im Jahre 1779, als er den Gedanken eines Rathausneubaues aufgriff, sich von "dem jungen französischen Baumeister Nicolas Alexandre de Salins (geb. 1753), dem Erbauer des bischöflichen Palais in Zabern und des Rohan-Schlosses in Straßburg, beraten lassen. Wie weit sich Kretz auf Salins stützte, wird noch zu untersuchen sein". Hier ist vorweg zu berichtigen, daß das Rohan-Schloß zu Straßburg im dritten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts von Robert de Cotte erbaut worden ist.

Ist nun wirklich ein stilistischer Einfluß von Salins auf den Bau des Victor Kretz zu erkennen? Um dies beurteilen zu können, wären die mir noch nicht zugänglichen Akten einzusehen. Denn es mag ja sein, daß der Ratschlag des Salins nicht der Architektur, also nicht der Fassade galt, sondern daß er die Raumgliederung und die möglichst praktische Anordnung des Grundrisses betraf. Wohl aber dürfen wir die Werke des Salins, und zwar möglichst solche aus seiner Zaberner Zeit, zu einem stilistischen Vergleich heranziehen; seine noblen, seit 1797 in Frankfurt für das reiche Patriziat errichteten Landhäuser und Stadtpalais dürfen wir nicht zum Vergleich heranziehen, wohl aber seinen erhalten gebliebenen Entwurf für das fürstbischöfliche Palais in Zabern, der im gleichen Jahre 1779 entstand, in dem Gengenbach an ihn herangetreten sein soll. Für diesen Bau hatte der Straßburger Fürstbischof Kardinal Louis Rene Edouard de Rohan-Guémené den erst 23jährigen Architekten, der wohl kaum erst die Pariser Architekturschule verlassen und vorübergehend bei Michel d’Ixnard an dessen Projekt für das Schloß des Kurfürsten von Trier in Koblenz mitgearbeitet hatte, herangezogen. Der Schloßbau des Salins in Zabern, der im 19. Jahrhundert unter Napolton III, gewisse Abänderungen erlitten hat, ist in gar keiner Weise mit der Fassade des Gengenbacher Rathauses stilistisch verwandt: Zwischen jeder Fensterachse sitzt ein Pilaster, dieser ist kanelliert und trägt ein Korinthisches Kapitell, die Fenster sind ohne Gewände aus der Mauerfläche herausgeschnitten und haben nicht einen segmentförmigen, sondern geraden Sturz, und den Dachfuß kaschiert eine hohe, jeweils über den Fensterachsen mit Balustraden aufgelockerte Attika. Unter der Hängeplatte des Kranzgesimses sitzen "viae", konsolartige Plättchen, ein antikisches Motiv.

Blick durch das Kinzigtor auf Rathaus und Marktplatz - Aufnahmen Schlippe
Blick durch das Kinzigtor auf Rathaus und Marktplatz - Aufnahme Schlippe

Diese wie auch die anderen strengen Stilformen des Salins sind dem Gengenbacher Rathaus gänzlich fremd und unbekannt. Vielmehr weist der Bau des Victor Kretz durchweg Formen auf, die - wie bereits gesagt - zurück in die Jahrhundertmitte weisen. Wie sein Schwager Peter Schwab als Bildhauer, so arbeitete Kretz als Architekt eben wie Goethes Goldschmied zu Ephesus zeitlebens so "wies ihm der Vater zugeteilt", ohne daß er deshalb ein steriler Wiederholer stets derselben Formen geworden wäre. Sein Bau hat vielmehr bei aller Würde und Repräsentanz, die dem Rathaus der Freien Reichsstadt zukam, durchaus eine anmutige Note und einen Charme, der den Bauten der Nachfolgezeit oft versagt blieb. Auch ein anderer Entwurf des Salins, der wenige Jahre nach seiner Heranziehung als Berater beim Gengenbacher Rathaus entstandene Wettbewerbsentwurf für den Marktplatz zu Karlsruhe, zeigt ein völlig anderes Gesicht: Die Erdgeschoßarkaden sind schlanker und höher. die Pfeiler wesentlich schmaler und ohne Kämpfer, die Obergeschosse nicht durch Pilaster in "großer Ordnung" zusammengefaßt, sondern ohne Eckgliederung und ohne die noch in Zabern verwendeten Pilaster völlig flächig gehalten, und aus ihnen sind die Fensteröffnungen gewändelos herausgeschnitten: die niedrige Attika über dem Hauptgesims vervollständigt den klassizistischen Eindruck des Entwurfs, der, wie gesagt, mit Gengenbach nicht die entfernteste Ähnlichkeit hat.

Es ist übrigens überraschend, daß die Stadt Gengenbach sich an den fürstbischöflichen Schloßbaumeister von Zabern und nicht - von Stadt zu Stadt - an den damaligen Stadtbaumeister der Nachbarstadt Straßburg gewendet hat. Dort wirkte seit 1777 als inspecteur des bâtiments de la ville de Strasbourg der erst 23jährige Pierre Valentin Boudhours als Schrittmacher des "neuklassischen Stiles". Er löste die noch dem Geist der Jahrhundertmitte zuzuordnende Bauweise eines Samuel Werner ab, dessen Waisenhaus (später Akademie) mit seiner schlichten Architektur, den segmentförmigen Fenstern, den gequaderten Ecken und Stockgurten noch das behagliche Rokoko der Jahrhundertmitte zeigen. Wie aber steht das Gengenbacher Rathaus unter den anderen deutschen Rathäusern des 18. Jahrhunderts da? Zu Beginn des 17, Jahrhunderts sind in Deutschland drei oder vier Rathäuser entstanden, die in großartiger Baugesinnung und an bürgerlichem Selbstbewußtsein den großen Rathäusern des Mittelalters nichts nachgeben: Das Augsburger Rathaus des Elias Holl 1615, das Nürnberger Rathaus des Jakob Wolff 1616 und in Norddeutschland das imposante Rathaus zu Paderborn. Ziehen nun diese Bauten wirklich einen Schlußstrich unter die Geschichte des deutschen Rathauses? Gewiß tritt als Folge des Dreißigjährigen Krieges weithin der Absolutismus die Herrschaft an und vernichtet die freie Selbstverwaltung der Städte. Die Lebenskraft der Städte war obendrein durch die Kriegsjahre so gebrochen, daß im ganzen 17. Jahrhundert kein nennenswerter Rathausbau mehr entsteht. Aber wie auf allen Gebieten mit dem beginnenden 18. Jahrhundert ein neues Leben aufblüht, so auch auf dem Gebiet des Rathausbaues. Da steht gleich am Anfang das noble Rathaus von Heidelberg, 1701 "zur Animierung", zum Anfeuern des Wiederaufbauwillens errichtet. Behäbiger, sozusagen bürgerlicher, ist das von Franz Anton Kuen aus Bregenz in Wangen im Allgäu im Jahre 1719 errichtete Rathaus, das über einem zweigeschossigen Unterbau einen schöngeschwungenen Barockgiebel aufweist. Besonders stolz und aufwendig, freilich auch am wenigsten seine Bestimmung als Rathaus verratend, vielmehr eher einem kleinen Stadtpalast ähnlich, ist das im Jahre 1730 von Heimb und Arnold entworfene Rathaus zu Schwäbisch-Hall; nur der elegante schmiedeeiserne Glockenturm läßt die Bestimmung des Gebäudes erraten, da Glockentürme ja nicht Schlössern, wohl aber Rathäusern zu eigen sind. In Rottenburg steht das im Jahre 1733 von Johann Jakob Felder erbaute strenge, dreigeschossige Rathaus, dessen Fassade durch sechs große, hohe Pilaster gegliedert ist; ein kleiner Dachreiter trägt die Glocke. Offenburg hat aus dem Jahre 1741 einen sieben Fensterachsen breiten, dreigeschossigen Rathausbau, dessen Mittelrisalit mit einem hohen Segmentgiebel bekrönt ist, während die Fenster und ihre Bekrönungen überreich mit eigenwilligen Architekturformen geschmückt sind. Nachträglich erst zum Rathaus adaptiert, ursprünglich das Haus der Obergerichtsverwaltung ist das Rathaus zu Ellingen, 1746 von dem Deutschordensbaumeister Franz Joseph Roth erbaut, eine zierlich und bildhauerisch sehr reich geschmückte Fassade, die lediglich durch das lustig auf dem Giebel sitzende Uhrtürmchen als Rathaus charakterisiert ist.

Gengenbach - Blick aus der Rathausvorhalle, westwärts zum Marktbrunnen und Niklasturm - Aufnahme Schlippe
Gengenbach - Blick aus der Rathausvorhalle, westwärts zum Marktbrunnen und Niklasturm - Aufnahme Schlippe

Auch kleinere Städte, die damals noch nicht einmal Stadtrechte besaßen, wetteiferten miteinander in der Erstellung schmucker, wenn auch bescheidener Rathäuser. So hat Herbolzheim, die Grenzstadt zwischen Breisgau und Ortenau, im 18. Jahrhundert ein sehr ansprechendes Rathaus mit mächtigem Dach und seitlicher Halle erbaut; leider ist um die letzte Jahrhundertwende der Bau bös verunstaltet und mit dem schrecklichen, gelbledernen Backsteinmaterial verkleidet worden. Am Abschluß dieser stolzen Reihe von Rathausbauten des 18. Jahrhunderts. die noch zu erweitern wäre, steht Gengenbach. Ein Jahr zuvor hatte Lauingen seinen Rathausbau begonnen, einen Bau in strengster italienisierender klassizistischer Architektur von dem Münchener Lorenzo Quaglio. Diese beiden Rathausbauten sind wohl die besten aus der Zeit des alten Reiches. Sie sind aber vor allem Zeugnisse des stolzen Bürgergeistes und Selbstbewußtseins der Freien Reichsstadt; denn Gengenbach wie Lauingen, Wangen im Allgäu wie auch Schwäbisch Hall waren freie Reichsstädte, und das Gefühl für diese Würde kommt in Ihren Rathäusern zum Ausdruck.

Von den Rathäusern des 18. Jahrhunderts, die zeitlich dem Gengenbacher Rathaus nahestehen oder in ihrer Gestaltung irgendwie mit ihm verwandt sind, ist oben eines noch nicht genannt worden, das wohl die genaueste Ähnlichkeit hinsichtlich der charakteristischen Vorrückung der Rathausfront vor die anschließenden Bürgerhäuser mit unserem Rathaus hat. In stilistischer Hinsicht freilich und erst recht zeitlich hat es wohl die geringste Ähnlichkeit mit ihm. Es ist das Rathaus zu Karlshafen an der Weser. Erbaut wurde es etwa um 1700, es ist also fast ein Jahrhundert älter als das Gengenbacher Rathaus. Sein Architekt war wohl Paul du Ry. Wirklich im Herzen dieser köstlichen barocken Kleinstadt streng französisch-klassizistischen Gepräges, hart am Ufer steht das Rathaus. Wie das Gengenbacher Rathaus hebt es sich stolz über die niedrigeren Bürgerhäuser heraus, es ist auch wie unser Rathaus aufgegliedert in einen Mittelrisalit, der hier aber einen segmentförmigen Giebel trägt, und zwei rückliegende Flanken. Das besondere Charakteristikum jedoch, das von allen Rathäusern des 18. Jahrhunderts einzig Karlshafen zu dessen Beginn und Gengenbach zu dessen Abschluß aufweisen, ist die durch das Erdgeschoß auf dessen ganze Länge durchlaufende Arkade, der zulieb das Rathaus vor die Flucht der Nachbarhäuser vorgezogen wurde. Der Stil des Karlshafener Rathauses entspricht allerdings enfernt jener nüchternen Richtung des französischen Rationalismus, die H. v. Geymüller als "Platitude bourgeoise" bezeichnet. Wie viel anheimelnder ist dagegen die Lust am Schmuck und reicherer Durchbildung der Fassade beim Gengenbacher Rathaus! Ein Vorzug des Rathauses zu Karlshafen: Durch den Dachreiter inmitten über dem Giebelfeld des Mittelrisalits ist es ganz unzweideutig als Rathaus charakterisiert. Zum Schluß ist noch das Schicksal des Gengenbacher Rathauses im und nach dem letzten Krieg zu erwähnen. Die südliche Hälfte des Rathauses gegen den Kinzigtorturm hin war furchtbar aufgerissen. Noch in den schlimmsten Nachkriegsjahren, vor der Währungsreform, hat die Bürgerschaft, angefeuert durch den Bürgermeister Schrempp, mit eiserner Energie und großer Opferbereitschaft die Lücke geschlossen und das Rathaus völlig in der alten Form wiederhergestellt. Den Abschluß dieser Wiederaufbauarbeit, die auch vom Staat unterstützt wurde, bildete die farbige Neufassung der Fassade. So steht nun das Rathaus wieder in der Gestalt, die seine Erbauer und sein Architekt ihm vor bald 200 Jahren gaben, im Herzen der Stadt als deren stolzester bürgerlicher Bau.

Literatur
Karl Gruber: "Das deutsche Rathaus", 1943, München.
"Bad. Kunstdenkmälerwerk", 7. Bd., Kreis Offenburg, von M. Wingenroth, 1908, Tübingen.
Joseph Schlippe: "Das Stadtbild von Gengenbach" (Jahresheft 1935 der Bad. Heimat "Offenburg und die Ortenau").
O. E. Sutter und J. L. Wohleb: "Gengenbach" (Bd. 8 der "Großen Kunstführer", Schnell und Steiner).
Pierre du Colombler: "L’Architeciure francaise en Allemagne au XVIII siecle", 1956, Paris.
Thieme-Becker: "Allg. Lexikon der bild. Künstler", Bd. XXI, 1927, Leipzig.
Joseph Schlippe: Gengenbach (Bericht), in Nachrichtenblatt der öffentl. Kultur- und Heimatpflege im Reg.-Bezirk Südbaden, 1953, 11/12.
Norbert Lieb und Franz Dieth: Die Vorarlberger Barockbaumeister, München 1960.


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