Die Hausformen der Ortenau - Von Hermann Schilli, Freiburg i. Br. - die Ortenau 1960 - 112 ff.
Die Ortenau weist eine Fülle recht unterschiedlicher Hausformen auf. In diesem Artenreichtum spiegeln sich die natürlichen und geschichtlichen Gegebenheiten dieses Gaues, denn jede Hausform verdankt ihren Ursprung der Landschaft, in der sie steht. Diese Vielfalt der Formen verlangt zu ihrem Verständnis einige Vorbemerkungen.
Die Entstehung einer Hausform ist ein vielschichtiger Vorgang, bei dem die verschiedensten Kräfte und Einflüsse mitgewirkt haben. Ein Haus befindet sich in ständiger Umgestaltung, die sich in diesen Tagen im Gegensatz zu früheren Epochen in geradezu beängstigend schnellen und traditionslosen Bahnen vollzieht. Unsere Zeit wird mit ihrer nur auf das Wirtschaftliche ausgerichteten Denkweise, ihren neuen Baustoffen, die durch die neuzeitlichen Beförderungsmittel überall zu haben sind, und ihren maschinellen Arbeitsgeräten, auf die Dauer gesehen, die Vielfalt an Hausformen verringern und auch die Kulturlandschaft der Ortenau verarmen lassen.
Abb. 1. - Firstsäulenhaus auf dem Stadtbanner von Baden. Holzschnite, vielleicht von Jacob Rocbel (1533) oder von Jacob Kallenberg, Bern
Die Ortenau ist der Oberflächengestalt nach eine dreistöckige Landschaft. Der erste Stock liegt in der von vielen Wasserläufen durchzogenen, noch im 6. Jahrhundert kaum bewohnbaren Rheinebene, der zweite erstreckt sich auf die Vorbergzone, und der dritte Stock greift weit in den Schwarzwald hinein. Diese geographische Lage allein verlangt vom Menschen die Gestaltung unterschiedlicher Häuser, die den wirtschaftlichen Bedürfnissen und den Baustoffen der einzelnen Stockwerke angepaßt sind. Man denke nur einmal an die Rheinebene mit ihrer ursprünglichen Dreifelder- und heute so vielseitigen Fruchtwechselwirtschaft, die Scheuern, Tabakschöpfe und Wirtschaftshöfe verlangt, an die Vorbergzone mit ihrem Rebbau, der gleichmäßig temperierte Keller zum Ausbauen und Lagern des Weines benötigt. Neben dem Weinbau ist in der Vorbergzone immer schon eine bescheidene Dreifelder- bzw. Fruchtwechselwirtschaft einhergegangen, zumal sich die Gemarkungen der Siedlungen in den Vorbergen zumeist noch in die Rheinebene hinaus erstrecken. Der mit der älteren Dreifelderwirtschaft gekoppelte Flurzwang ließ wiederum Haufendörfer entstehen, in die sich die Häuser einordnen müssen.
Abb, 2. - Firstsäulenhaus, FS Firstsäule, FP Firstpfette oder Firstbaum, WS Wandsäule, B Balken, STP Stockpfette, R Rafen - Abb. 2 - a. 1 Hausgang, 2 Stube, - b. 1 Hausgang, 2 Stube, 3 Küche, 4 Kammer
Diese beiden Zonen haben in der Vergangenheit mit ihren Eichenbeständen und den reichlichen Lehmvorkommen die Baustoffe für die hier stehenden Fachwerkbauten geliefert. Natursteine, die sich mit ihren natürlichen Lagerflächen als Werkstoffe besonders eignen, wie etwa Kalke und Buntsandsteine, sind in der Ortenau nur in bescheidenen Mengen zu finden, oder die Lager liegen zu weit ab von den Siedlungen. Natursteine sind daher nur zu Kellern, Fenster- und Türgewänden sowie zu Treppen verwandt worden. Nur für die städtischen Bauten sind die Sand- und Kalksteinbrüche in dem Vorhügelland genutzt worden. In der südlichen Ortenau ist auch gelegentlich das Fachwerk mit Bruchsteinen ausgesetzt worden.
Das dritte Stockwerk, der Wald, läßt nur eine bescheidene Landwirtschaft zu. Er gehört mit den gerodeten Weidbergen zur Welt des Viehzüchters und der Feld-Gras-Wirtschaft mit den ihnen angepaßten Einzelhöfen. Hier steht der ideale Baustoff vor der Türe, so daß in diesem Teil der Ortenau ein eindrucksvolles Holzbaugebiet entstanden ist, das sich erst in jüngster Zeit in eine Steinbaulandschaft verwandelt.
Die geologischen Eigenarten und die geographische Lage des Gebietes haben in der Vergangenheit auch den Ablauf der Besiedlung bestimmt und auf die geschichtlichen Ereignisse der Ortenau eingewirkt, die beide wiederum die Hausformen beeinflußt haben. Wenn wir Walters(1) Darstellung über den Gang der Besiedlung folgen, dann müßten wir in dem zuerst besiedelten zweiten Stockwerk, auf der Niederterrasse und im Vorhügelland die Nachkommen der ursprünglichen Häuser suchen, denn die ältesten Formen sind selbstverständlich nicht überkommen. Nach dem Ausbau dieses Stockwerkes wurde das Bruchgebiet der Rheinebene entwässert und für den Menschen bewohnbar gemacht. Hier müßte demnach die Anknüpfung an die Ausgangsform einer jüngeren Hausart zu finden sein, die in diesem Gebiet mit hohem Grundwasserstand und ständiger Überschwemmungsgefahr unter Ausnutzung der technischen Erfahrungen, die man beim Bau der Häuser in dem Vorhügelland gewonnen hatte, entwickelt worden ist.
Nachdem Vorhügelgebiet und Rheinebene besetzt waren, drang der Mensch mit Rodungshöfen in den Wald ein, der eine ganz andere Bewirtschaftung erforderte, einen anderen Baustoff bot und damit den Menschen vor neue Aufgaben stellte. Hier im Wald mußte die jüngste Hausform der Ortenau entstehen, bei der die Bauerfahrungen, die man bis dahin gesammelt hatte, verwendet wurden.
Abb. 3. - Zunsweier, Hauptstraße 285
Wenn auch die wirtschaftlichen Notwendigkeiten, die sich aus der geologischen Anlage des Gebietes ergeben, die Häuser geformt haben, so darf ihr Einfluß nicht überschätzt werden, obgleich sie hier an erster Stelle aufgeführt sind. Diese Erfordernisse allein schaffen von sich aus noch keine Formen; sie stellen nur bestimmte Aufgaben an den Menschen, welcher der eigentliche Gestalter unserer Häuser bleibt. Rückblickend ist er es in der Ortenau in dreifacher Hinsicht gewesen. Einmal in seiner Eigenschaft als Träger der Siedlungstätigkeit und als Territorialherr, der die Siedler, darunter auch Landfremde, ansetzt und zunächst durch Zuteilung und Bemessung der nötigen Baustoffe und später durch baupolizeiliche Bestimmungen die Hausform entscheidend zu beeinflussen vermag. Zum zweiten als Erbauer der Häuser, für den einmal aus einer inneren Haltung heraus sein Haus mehr ist als eine Ansammlung von Räumen zur Erledigung der notwendigen Arbeiten und zur Befriedigung der einfachsten persönlichen Bedürfnisse, und zum dritten als Gestalter der Häuser, der mit mehr oder minder großem technischem Geschick und seiner künstlerischen Gestaltungsgabe die gestellten Bauaufgaben meistert.
Abb. 4 - a. Dachgerüste der Ortenau. - FS Firstsäule, FP Firstpfette oder Firstbaum, DP Dachpfette, STP Stockpfette, STS Stuhlsäule, R Rafen, 5 Balken, RS Rafenschwelle - Abb. 4 - b und c. S Sparren, SPS Sparrenschwelle, BR Brustriegel, STS Stuhlsäule, bei b stehend, bei c liegend
Des weiteren sei noch auf die fruchtbaren und wechselvollen Beziehungen zu dem benachbarten Elsaß mit seiner Hauptstadt Straßburg hingewiesen. Sie ergaben sich aus der engen wirtschaftlichen, kirchlichen und zeitweise auch politischen Verflechtung Straßburgs mit dem vorderen und mittleren Kinzigtal und mit dem Renchtal. Darüber hinaus besaßen alle Ortenauer Klöster und die einflußreichen Geschlechter ihre Absteigequartiere in Straßburg, und umgekehrt für das straßburgische Patriziar ist das Kinzigtal mit seinen Bodenschätzen immer ein Feld wirtschaftlicher Betätigung gewesen. Gerade die Fachwerk- und Giebelgestaltungen aller Ortenauer Häuser verraten sehr deutlich den Straßburger Einfluß und weisen die Ortenau als ein Nebenland des Elsasses aus. Man denke an den lebhaften Gegensatz des mit Fachwerkfiguren überzogenen Giebeldreieckes und des einfach gehaltenen Erdgeschosses der Ortenauer Fachwerkhäuser aller Art (Abb. 9), eine Formüberlieferung des ursprünglichen städtischen Bürgerhauses, bei dem das Erdgeschoß nur den Eingang und einen Wirtschaftsraum enthalten hat und schmuck- und häufig fensterlos gewesen ist. Man beachte ferner die durch eine Laube aufgelöste Dachregion und das Abwalmen der Giebelspitze, das an der 1586 erbauten großen Metzig an der Ill erstmals vorgenommen wurde und gerade in der mittleren Ortenau sehr oft nachgeahmt worden ist (Abb. 7, 9). Ein weiteres eindrucksvolles Beispiel für den Straßburger Einfluß auf den Hausbau ist das Bürgerhaus an der Ecke Haupt- und Metzgerstraße in Offenburg (Bäckerei Gehring). Es ist gegen Ende des 18. Jahrhunderts im Louis XVI.-Stil erbaut worden, in einer Zeit, in der steile Dächer nach der Art dieses Hauses und wie sie in der mittelalterlichen Gotik üblich gewesen sind, längst nicht mehr dem Zeitgeschmack entsprochen haben. Im 17. Jahrhundert sind in Straßburg wohl noch Bürgerhäuser mit steilen, gotischen Dächern erbaut worden, sie zeigen aber auf ihren Vorderfronten Stilmerkmale der Renaissance - man erinnere sich an die schöne Gruppe beim Münster. Diese hohen Dächer benötigte der Bürger, um geräumige, luftige Speicher zur Aufbewahrung von Lebensmitteln für ein Jahr zu besitzen.
Desgleichen kann das malerische Schwarzwaldhaus im Bereich der Kinzig, Rench und Schutter und deren Nebenflüssen mit seiner spätgotischen asymmetrischen und stark körperlichen Gliederung der Schauseite nicht ohne die Modeströmungen, die von Straßburg ausgingen, verstanden werden.
Straßburger Vorbilder haben aber nicht nur die Architektur beeinflußt, sondern sie haben auch die Weiterentwicklung der Hausgefüge angeregt, die zweckmäßiger, wohnlicher und immer mehr den wechselnden Bedürfnissen angepaßt worden sind.
Endlich muß zu den Einwirkungen, welche die Entwicklung der Häuser in der Ortenau beeinflußt haben, auch die soziale Schichtung, die in erster Linie durch den Erbgang verursacht worden ist, gezählt werden. Das erste und das zweite Stockwerk sind Gebiete der Freiteilung, während im Schwarzwald die Bauern im Verein mit den Lehensherren die geschlossene Vererbung durchgesetzt haben. Hier erbt der jüngste Sohn, der "Hofengel", den Hof. Die Realteilung hatte kleine und kleinste Güter, die geschlossene Vererbung große arrondierte Höfe zur Folge.
Die Kleinbauern in der Rheinebene und im Vorhügelland sowie die vorgeborenen Söhne der Schwarzwälder, soweit diese sich überhaupt selbständig machen konnten, und die Handwerker in allen drei Siedlungszonen können zumeist infolge Geldmangels mit der technischen Entwicklung nicht Schritt halten. Ihre bescheidenen Häuser behalten durch die Jahrhunderte hindurch kleine Räume; in vielen Fällen werden sie auch zu Kümmerformen. Die Häuser dieser Bevölkerungsschicht sind daher vielfach noch in den alten Gefügearten abgezimmert und hierdurch für die Geschichte der Entwicklung der Hausformen von größter Bedeutung.
Abb. 5. - Käfersberg, Offenburg. FP Firstpfette oder Firstbaum, FS Firstsäule, B Balken, WS Wandsäule, S Stockpfette
Betrachten wir nunmehr die alten Bauweisen der Ortenauer Häuser, die Gerüste und die Grundrisse in ihrer Zuordnung zueinander, welche die Seele eines Hauses und damit den Bautyp mit seinen wichtigsten Merkmalen ausmachen, so ergeben sich in der Ortenau bis in das 16. Jahrhundert hinein dem Landschaftsaufbau entsprechend drei Hausgebiete. Der Dreißigjährige Krieg und die ihm folgenden Franzosenkriege haben allerdings die Grenzen der Hausgebiete verwischt, und in den letzten drei Jahrhunderten haben sich die ursprünglichen Formen des ersten und des zweiten Stockwerkes vermischt, so daß wir in diesen beiden Landstrichen Häuser mit den beiden Baugedanken vorfinden, die anfänglich getrennt in den unteren Stockwerken der Ortenau das Bauen bestimmten. Das ist nicht verwunderlich, denn die Grenzlinie zwischen dem Vorhügelbereich und der Rheinebene kann nicht überall gezogen werden; sehr oft erstreckt sich die Ebene unmittelbar bis zum Gebirge, und die Vorbergzone fehlt im Landschaftsaufbau. Außerdem besitzen viele Rebgemeinden ausgedehnte Ländereien in der Rheinebene.
Das urtümliche Haus der Oberrheinebene und damit auch der Ortenau, das in dem Vorhügelgebiet gestanden hat, war ein Firstsäulenhaus, dessen Gerüst noch heute in der Anordnung der Räume und zum Teil noch im Aufbau und dadurch am äußern der Ortenauer Häuser nachwirkt (Abb. 1, 2).
Abb. 6. - Zell-Riedle, Haus Nr. 9, - S Sparren, DP Dachpfette, BR Brustriegel, B Balken, WS Wandsäule, STS Stuhlsäule (liegend)
Das Gerüst hat zunächst aus zwei, dann aus drei Firstsäulen (FS) mit je zwei Wandsäulen in einer winkelrechten Ebene zur Firstrichtung bestanden. Die Firstsäule und die beiden Wandsäulen sind jeweils durch einen Balken (B) miteinander verbunden. Diese konstruktive Einheit, Wandsäule-Firstsäule-Wandsäule, nennt der Zimmermann einen Binder oder Bund. Auf den Köpfen der Wandsäulen liegen die Stockpfetten (StP), die einmal die Wände nach oben abschließen, zum andern die Dachhölzer, die "Rafen", aufnehmen. Die Stockpfetten sind gleichzeitig Rafenschwellen. Auf den Enden der Firstsäulen ist der "Firstbaum" (FP), auch Firstbalken oder Firstpfette genannt, aufgelagert. Bei größeren Bauten werden zwischen den Stockpfetten (Rafenschwellen) und der Firstpfette noch Dachpfetten (DP) angeordnet, die durch weitere Säulen (STS) unterstützt sind (Abb. 4, 17). Die Stockpfette wird hierbei nur noch in seltenen Fällen als Schwelle benutzt; in der Regel wird fortan über das Dachgebälk parallel mit den Längswänden des Hauses eine Schwelle (Fußpfette, Rafenschwelle SPS, PS) gelegt (Abb. 17). Über den Pfetten. hängen die Rafen (Abb. 2, 4a, 17). Auf ihnen wird die Deckung aus Stroh, Schindeln oder Ziegeln befestigt. Die Last des Daches wird von den Pfetten und den unter den Pfetten stehenden Säulen getragen und damit in das Innere des Gebäudes geleitet. Diese Dachform wird Pfettendach(2) genannt.
Drei Binderscheiben (Abb. 2. I, II, III), in den Rechtssatzungen der südwestdeutschen Dörfer und Archivalien "Gabeln, gäbell, creutz" geheißen, hintereinander gestellt und durch die Dachpfetten und die Firstpfette in ihren Stellungen gehalten, ergeben das Hausgerüst der Häuser in den Vorbergen um 1300 (Abb. 1, 2). Die Binderscheiben teilen dabei das Haus in zwei Zonen, in die Eingangszone (Abb. 2a Raum 3) und in die Stubenzone (Raum 2).
Abb. 7 - Elgersweier, Haus Nr. 35
Eine späterhin in der Firstrichtung eingezogene weitere Wand teilt die zwei Zonen jeweils noch nach der Raumbreite (Abb. 2b). Der Raum 1 wird unterteilt in den Flur (1), in der Ortenau Hausgang und "Huseren" genannt, und in die Küche (3). Von der Stube (2) ist die Kammer (4) abgetrennt worden. Wir nennen daher diese Form Küchenflurhaus.
Die Wände haben keine Lasten zu tragen. Sie schließen das Haus lediglich nach außen ab. Ihre Gefache zwischen den Säulen sind mit Flechtwerk-Lehmfüllungen oder mit Bohlen ausgesetzt gewesen.
Abb. 8. - Regel- und Kniestockbauweise
Nunmehr vermögen wir uns das Haus im Vorhügelland der Ortenau um 1300 vorzustellen. Es hat wie folgt ausgesehen: Drei vom Erdboden bis zum First durchgehende Firstsäulen, und je drei Wandsäulen in jeder Längswand umschreiben das Haus in seiner äußeren Form. Haus- und Dachgerüst sind nicht zu trennen; sie waren eine Baueinheit, die auch in einem Arbeitsgang aufgerichtet worden ist.
Von diesem Hausgerüst ist nur die Raumeinteilung bis in die Gegenwart beibehalten; die Firstsäulen sind verschwunden und in der geschichtlichen Ortenau nur noch höchst selten, gelegentlich in Nebenbauten oder in spärlichen Resten vorhanden (Abb. 3, 5), im Gegensatz zu den anschließenden Gauen und zum Schwarzwald.
Abb. 9 - Ottenheim
In der Ortenau wird dieser Gerüstbau unter dem Einfluß der Bürgerhäuser in Straßburg schon im Verlauf des 14. Jahrhunderts vom stockwerkweisen Aufbau abgelöst. Während auf dem Lande noch um 1300 die Häuser mit durchgehenden Firstsäulen aufgerichtet worden sind, wurde in Straßburg in dieser Zeit bereits, bildlich gesprochen, Viereckkiste auf Viereckkiste gesetzt und als oberen Abschluß noch eine für sich gefertigte Dreieckkiste als Dach aufgestockt. Hierbei ist die Firstsäule und mit ihr der Firstbalken im oberen Winkel des Dachdreiecks zunächst erhalten geblieben. Die "Rafen" sind jedoch hierzulande zu "Sparren" geworden, die mit ihren unteren Enden auf dem Dachbalken stehen, während sie in der Mitte noch in der ursprünglichen Weise unterstützt werden. Aus dem anfänglichen Haus mit durchgehenden Säulen (Abb. 2, 17) ist das Haus mit "Dachstühlen mit stehenden Stuhlsäulen", wie diese Bauweise heute bezeichnet wird, entstanden (Abb. 4a). Im Zuge der weiteren Vereinfachung der Konstruktion sind in der Regel die Restfirstsäulen im obersten Dachdreieck ganz und mit ihnen auch die Firstbalken weggelassen worden (Abb. 4b). Am Ende dieser Entwicklung, die in die Hochgotik fällt, sind die Säulen, die unter den Dachpfetten stehen, unter die Dachflächen gedreht worden, so daß der liegende Stuhl mit dem freien Dachraum entstanden ist (Abb. 4c). Seitdem sind am Oberrhein die liegenden Stühle mit und ohne Brustriegel (BR) üblich. Im oberen Giebeldreieck mag dabei sehr wohl noch eine Restfirstsäule unter dem ebenfalls erhalten gebliebenen Firstbalken bei allen Stuhlarten stehen bleiben (Abb. 4a). Diese Restfirstsäule wird im Volksmund bezeichnenderweise "Heidenkreuz" geheißen, eine Benennung, in der noch die Erinnerung an die alte Bauweise fortlebt.
Abb. 10 - Mahlberg, Karl-Kromer-Straße
Während diese jüngeren Dachstühle das Gerippe für die Fachwerke an den Giebeln der Häuser im Vorhügelland abgeben, bestimmt noch heute der Küchenflurgrundriß, der durch das ursprüngliche Firstsäulengerüst bedingt worden ist, die Wohngewohnheiten der Bewohner dieses Gebietes.
Das Küchenflurhaus der Mittel- und Kleinbetriebe hat drei, das der Großbetriebe vier Binderscheiben. Mit der vierten Binderscheibe wird es dreizonig; in seinem hinteren "gäbell" birgt es eine oder zwei weitere Kammern (Abb. 2d, strichpunktiert). In vielen Häusern sind auch im Dachgeschoß am Giebel gegen die Straße hin eine oder zwei "Bühnenkammern" ausgebaut worden.
Abb. 11 - Bodersweier
Im Rebland sind die Küchenflurhäuser gestelzt, d. h. auf einen steinernen Unterbau gestellt, der den Keller enthält. Der Zugang zum Keller liegt, wenn irgend möglich, auf der Schattenseite des Hauses, damit er kühl bleibt. Freitreppen, die zum Teil sehr aufwändig gestaltet sind, führen in das Hausinnere. In der Rheinebene, nördlich und südlich von Offenburg, von Rastatt etwa bis zur Freiburger Bucht bei Riegel, und in dem hessischen Riedgebiet zwischen dem Unterlauf des Neckars und der Weschnitz steht allseitig umgeben von Firstsäulenhäusern und Häusern mit Dachstühlen das Haus mit Kniestock, das der Volksmund "anderthalbstöckig" oder "Halbstock" nennt (Abb. 7).
Beim Kniestockhaus liegen die Dachfüße höher als der Dachboden, der bei dieser Hausart eingetieft erscheint (Abb. 8). Dachboden, Kniestockwände und Dachhölzer bilden im Querschnitt einen fünfeckigen Dachraum. Hierbei stützen sich die Dachhölzer mit ihren unteren Enden meist auf die Hauswände; sie sind hier echte Sparren, im Gegensatz zu den Rafen. Es gibt jedoch eine beträchtliche Anzahl Kniestockhäuser, die Rafen besitzen.
Abb. 12. - Oberharmersbach-Riersbach. Rübenmichelhof
Dieser interessante Typ, der mit seinem inselartigen Auftreten inmitten eines alten Firstsäulenhausgebietes der Forschung manches Rätsel aufgibt, ist in einem Aufsatz der "Badischen Heimat"(3) näher beschrieben. Hier soll nur angedeutet werden, daß diese Form nach dem Abwägen aller Deutungsmöglichkeiten in ursächlichen Zusammenhang mit der Besiedlung der Bruchzone durch wasserbaukundige Niederdeutsche zu bringen ist. Diese Niederdeutschen waren nach Walter(4) und Langenbeck(5) vermutlich bei der fränkischen Durchdringung unseres Gebietes über Straßburg, das ein Vorort der fränkischen Eroberer in jenen Zeiten gewesen ist, an den Oberrhein umgesiedelt worden. Wir hätten damit in dem Kniestockhaus eine sichtbare Erinnerung an die tragische Geschichte der Alemannen vor uns. Jedoch mag den Alemannen der Gedanke versöhnen, daß sich diese Hausform, neben den andern fränkischen Anregungen, trotz ihrer komplizierten und holzverschlingenden Zimmerungsweise, in ihrer Kombination mit den Wirtschaftsgebäuden als außerordentlich praktisch und wirtschaftlich erwiesen hat, so daß das Halbstockhaus von dem Bruchgebiet ausgehend auch im Vorhügelland sehr beliebt geworden ist und hier große Verbreitung gefunden hat.
Abb. 13 - Lautenbach (Renchtal) Busamhof
Das Kniestockhaus ist in den letzten 80 Jahren als Kleinwohnhaus bevorzugt worden. Im Zuge der starken Volksvermehrung hat man den Dachraum besser ausnützen und die wenig brauchbaren Winkel zwischen Dachboden und Dach vermeiden wollen. Diese Gesichtspunkte sind jedoch neu; vorzugsweise sichern die oben angeführten praktischen Seiten dem anderthalbstöckigen Haus auch heute noch seine Wertschätzung. Bis zu den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts sind aber die Kniestöcke der bäuerlichen Bauten nie ausgebaut gewesen; sie haben zu allen Zeiten zum Aufbewahren von Vorräten und altem Hausrat gedient.
Das Halbstockhaus der Großbauern und zum Teil das der mittleren Bauern steht allein und bildet mit den Wirtschaftsgebäuden, die sich an seinem hinteren Ende in einem rechten Winkel anschließen, ein Gehöft (Abb. 9). Die Abfolge der Wirtschaftsräume ist dabei sehr unterschiedlich. Bei den Mittel- und Kleinbetrieben sind das Wohnhaus, die Stallung und der "Barren" unter einem Dach vereinigt. Die Scheuer, der Schopf und der Kleintierstall, die ebenfalls ein gemeinsames Dach haben, sind rechtwinklig zur Firstlinie des Wohnstallbarrenhauses(6) abgeknickt. Der "Barren" ist ein deckenloses Gebäude, in dem die Garben nach ihrem Einbringen von der Erde bis unter die Dachziegel gelagert worden sind, um dann in der danebenstehenden Scheuer gedroschen zu werden. Die vordere Hälfte der Scheuer hatte zu diesem Zweck einen gestampften Lehmboden, Diese Wohnstallbarrenbauten sind dann zumeist mit der Giebelseite zur Straße gestellt und umschließen mit den restlichen Wirtschaftsgebäuden und dem Nachbarhaus einen nach der Straße hin offenen, etwa quadratischen Wirtschaftshof (Abb.9). Nach 1700 sind die Wohnstallbarrenhäuser auch gelegentlich parallel zur Straße angeordnet worden.
Abb. 14 - Querschnitt durch das Kinzigtäler Schwarzwaldhaus
Bei dem Zusammenschieben von Wohnhaus und Wirtschaftsbauten hat sich der Kniestock als außerordentlich zweckmäßig erwiesen. Beim Kniestock liegt die obere Kniestockschwelle, die zugleich Stockpfette und Wandrähm ist (Abb. 8), auf etwa 3,20 m bis 3,40 m Höhe. Ein Halbstockhaus mit einer Wandhöhe von 3,40 m (0,60 m Sockelhöhe plus 2,20 m Stubenhöhe plus ca. 0,60 m Kniestockhöhe) und ein "Barren" mit einer Wandhöhe von 3,40 m sind ohne konstruktive Schwierigkeiten leicht unter einem Dach zu vereinen. Dieser Vorzug hat dem Kniestockhaus zu seiner Beliebtheit verholfen. Für die vielen Mittel- und Kleinbetriebe, welche die Ortenau als altes Gebiet der Freiteilung aufweist, hat sich das Wohnstallbarrenhaus mit dem anderthalbstöckigen Wohnteil als die wirtschaftlichste und zweckmäßigste Hausart erwiesen. In dieser Verbindung konnte das Halbstockhaus das urtümlichere Firstsäulenhaus und seine Abkömmlinge, die Häuser mit stehenden und liegenden Dachstühlen des Altsiedellandes, zurückdrängen und zu der vorherrschenden Hausform der Ortenau werden. Hierbei hat das Kniestockhaus für seinen Aufbau die stehenden und liegenden Stühle des ehemaligen Firstsäulenhauses übernommen. Geben und Nehmen gehen auch hier Hand in Hand. Noch im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts sind in der Ortenau Halbstockhäuser in den überlieferten Formen errichtet worden.
Das Kniestockhaus ist, wie das Haus mit Dachstühlen, mit Fachwerkwänden aus Flechtwerk-Lehmfüllung umwandet. Um diese wetterempfindliche Wandart gegen die hierzulande häufigen Schlagregen zu schützen, tragen die nach Westen, Süden und Südwesten gerichteten Fachwerkgiebel Wetterdächlein, auf dem Lande "Dubak" oder "Welschkorndächle" geheißen. Sie verleihen mit ihren dunklen Flächen und den starken Schatten auf den hellen Fachwerkwänden den Dörfern der Ortenau einen besonderen Reiz.
Abb. 15 - a. Grundrisse der Schwarzwaldhäuser am Rande der Ortenau, Kinzigtäler Haus - Abb. 15 b. - Jüngeres "Heidenhaus" - Abb. 15 c. - Gutacher Haus.
1 Hausgang, 2 Stube, 3 Küche, 5 Kammer, 6 Tenne, 7 Stall, 8 Futtergang, 9 a Futterstock, 9a Heulege, 10 Schopf, 11 Gang, 11 c Stubengang ("Trippel")
1 Hausgang, 2 Stube, 3 Küche, 5 Kammer, 6 Tenne, 7 Stall, 8 Futtergang, 9 a Futterstock, 9a Heulege, 10 Schopf, 11 Gang, 11 c Stubengang ("Trippel")
Beide Arten werden vielfach bereichert durch Lauben, die das Giebelfeld auflockern (Abb. 7, 10). Diese Lauben sind wiederum eine elsässische Eigenart, die der eingangs erwähnte Kulturwind aus dem Westen auf die rechte Rheinseite gebracht hat. Glücklicherweise stehen in der Ortenau noch einige Laubenhäuser aus dem 16. Jahrhundert. In den letzten Jahrzehnten sind viele Lauben zugemauert worden. Die Balken, welche die Lauben ursprünglich umrahmt haben, sind noch leicht zu erkennen (Abb. 9).
Das fachwerkgezimmerte Halbstockhaus steht in der Rheinebene auf einem niederen Bruchstein- oder Feldsteinsockel und ist nicht unterkellert, während im rebenbestandenen Vorhügelland auch die Kniestockhäuser wie die hier gewachsenen Häuser mit Stühlen auf einem steinernen Untergeschoß errichtet worden sind, das einen Keller enthält (Abb. 6).
In der Raumeinteilung unterscheiden sich die Halbstockhäuser nicht von den Bauten mit Dachstühlen, die natürlich neben den Kniestockhäusern immer wieder gebaut worden sind. Beide Hausarten sind in der Regel zweizonig, nur große Bauern haben dreizonige Wohnhäuser. Von der Hof- und Traufseite führt der Eingang in die Flurzone mit dem Hausgang und der dahinter liegenden Küche (Abb. 2b, Räume 1 und 3). Vom Hausgang aus gelangt man in die der Straße zugekehrten Zone mit der Stube und der Kammer (Abb. 2b, Räume 2 und 4). Die Lage der Stube ist bedingt durch die Straße und den Hof; beide will der Bauer von der Stube aus übersehen können. Zur Hofrückseite liegt bei großen Häusern die dritte Zone mit zwei weiteren Kammern, die ebenfalls vom Hausgang aus zugänglich sind (Abb. 2b, strichpunktierte Räume).
Mit dem Anbau einer Reihe von Futter- und Nutzpflanzen, wie Welschkorn, Zichorie, Krapp und der gleichzeitigen Förderung des Hanfbaues, ist das Einkommen der Bauern von 1750 an sehr gestiegen. Der neue Reichtum hat sich u. a. auch im Bauwesen ausgewirkt. Aus diesen Zeiten stammen die stattlichen zweigeschossigen Häuser und die Tabakschöpfe mit durchbrochenen Wänden, die zum Bild der Dörfer in der Rheinebene gehören (Abb. 11).
Wenden wir uns zum Schluß dem dritten Stockwerk im Landschaftsaufbau der Ortenau und damit dem dritten Hausgebiet, dem Schwarzwald, zu. Bei der Betrachtung dieser Hauslandschaft müssen wir die Gebiete, die von der alten geschichtlichen Ortenau aus besiedelt worden sind, von jenen Gegenden trennen, die vom Breisgau oder gar von Osten her erschlossen worden sind.
Die Siedler aus der Ortenau haben das Haus gekannt, das bereits begonnen hatte, die Firstsäule zu verlieren, und das Wohnstallbarrenhaus mit Kniestock. Diese beiden Bauweisen haben sie in ihrer neuen Heimat, im Wald, in eine den besonderen Verhältnissen angebrachte Form gebracht. Die Kolonisten auf dem Breisgau und den östlichen Gäulandschaften dagegen haben das Firstsäulenhaus, das zu Beginn der Rodung des Schwarzwaldes noch unbestritten in ihrer alten Heimat üblich gewesen ist, mitgenommen und zu der stattlichen Größe und Form weiterentwickelt, die in die Gegenwart überliefert wurde. Die verschiedene Herkunft der Siedler in den Waldgebieten am Ostrand der Ortenau ist daher noch deutlich an den Hausformen abzulesen.
Allen Häusern des Schwarzwaldes ist das große Dach eigen, das Menschen, Tiere und Erntegut birgt. Über den beiden Schmalseiten sind Voll- oder Halbwalme angeordnet. Wenn irgend möglich, wird das Haus immer so gestellt, daß der Bauer vom Hang aus in den Dachraum, die Scheuer, einfahren kann. Noch um die Jahrhundertwende waren die gewaltigen Dächer mit Stroh oder mit Schindeln gedeckt.
An den Rändern der geschichtlichen Ortenau, im Kinzig-, Rench-, Acher- und zum Teil im vorderen Schuttertal und dessen Nebentälern, die zu den Übergängen in das Kinzigtal führen, steht ein Schwarzwaldhaus, das mit seiner körperlichen Schönheit und seinem klaren, konstruktiven Aufbau mit liegenden Stühlen von ortenauischen und städtisch-straßburgischen Baugepflogenheiten geprägt worden ist (Abb. 12). Diese Hausart wurde nach ihrem Hauptverbreitungsgebiet "Kinzigtäler Haus" benannt. Hierbei muß allerdings in Kauf genommen werden, daß dieses Haus im Schutter-, Rench- und Achertal, hier nur gelegentlich, vorkommt.
Das Kinzigtäler Haus ist gekennzeichnet durch den malerischen farbigen Gegensatz zwischen dem steinernen Sockelgeschoß und dem hölzernen Obergeschoß, den stark asymmetrischen räumlichen Gliederungen an der Stirnseite, die ohne spätgotisch-städtische Anregungen nicht vorstellbar sind, den "Trippel" oder "Gang", wie die Erinnerung an die elsässische Giebellaube bezeichnet wird, und den Halbwalm, dessen Schatten wundervoll vom "Trippel" zu dem bunten Strohdach überleiten. Leider müssen wir dieser Schilderung hinzufügen: Das war das Bild noch vor 130 Jahren. Die jüngste Zeit hat dieses Haus, das zu den prachtvollsten Häusern des deutschen Sprachgebietes gehört, bis auf wenige Bauwerke verschwinden lassen. Dabei mag uns die Beobachtung trösten, daß die Neuzeit, bis zur Stunde wenigstens, die ursprüngliche Form mit den großen Dachflächen und ihren lebhaften Umrißlinien und der stark gegliederten Vorderseite nicht zu zerstören vermochte, so daß sich die östlichen Ränder der Ortenau immer noch als selbständige Hausgebiete im Landschaftsbild abheben.
Abb. 16. - Ottenhöfen, Murhof
Im Rench- und im Achertal tritt an die Stelle des Halbwalmes ein vorgekragter, verbretterter Giebel (Abb. 13).
Bei diesem Haus sind die Dach- und die Wandkonstruktion zwei getrennte Baueinheiten (Abb. 14). Der Querschnitt mit der merkwürdigen "Rauch-, Schlupf-" oder "Nußbühne", wie das etwa 60 cm hohe Halbgeschoß zwischen dem Wohnteil und dem Dachboden genannt wird, und das frühe Auftreten des liegenden Stuhles lassen ohne Mühe die Zusammenhänge mit der Kniestockbauweise erkennen.
Der Gang der Besiedlung, nach der der Mensch zu Beginn des 12. Jahrhunderts in die Randgebiete des Schwarzwaldes eingedrungen ist, läßt den Schluß zu, daß um diese Zeit bereits unter Straßburger Einfluß die Bemühungen eingesetzt haben, die Firstsäule, diese Gegnerin jeder freien Raumgestaltung, aus der Konstruktion herauszunehmen. Tatsächlich hatten die Straßburger Bürgerbauten aus dem 13. Jahrhundert, die Baudirektor Beblo 1912 abreißen ließ, die Firstsäulen als tragende Bauteile bereits verloren. Nur so ist es zu verstehen, daß bei den ältesten Kinzigtäler Häusern, die aus dem Ende des 15. Jahrhunderts stammen, die Firstsäulen verschwunden sind, während der Firstbaum und die hängenden Rafen noch erhalten geblieben sind (Abb. 14).
Auch die Raumverteilung zeigt Anklänge an den Küchenflurgrundriß der Ortenauer Häuser. Nur ein hinzutretender Mittelgang, der firstparallel in der Mitte des Hauses die Eingangs- und die hintere Kammer-Zone durchquert, bedingt ein etwas abweichendes Bild (Abb. 15a).
Weitere Eigenarten dieses Typus sind die Unterbringung der Stallungen im Sockelgeschoß und die Stapelung des Heues zu ebener Erde im angebauten Wirtschaftsteil (Abb. 15a). Besonders hingewiesen sei auch auf die Eingeschossigkeit des Kinzigtäler Hauses, die es wiederum abhebt gegen die anderen Schwarzwälder Arten und gegen die jüngeren Mischformen, die in großer Variationsbreite, ein- und zweigeschossig, in den Bereichen entstanden sind, in denen das Kinzigtäler Haus mit den zwei andern Schwarzwälder Formen am Rande der heutigen Ortenau, dem "Heidenhaus" und dem Gutacher Haus, zusammentrifft.
Das Kinzigtäler Haus ist entweder umwandet mit dem in der Rheinebene üblichen Fachwerk mit Flechtwerk-Lehmfüllung, oder die Rodungssiedler haben das mitgebrachte Fachwerk mit fichtenen oder tannenen Bohlen ausgesetzt (Abb. 12 zeigt beide Wandbildungen).
Abb. 17. - Querschnitt durch das Heidenhaus
Im Achertal sind die wenigen Kinzigtäler Häuser, welche die Verwüstungen durch die Kriege im 17. Jahrhundert überdauert haben, langsam von einer neuen Hausart verdrängt worden. Dieses jüngere Haus hat vom Kinzigtäler Haus die große Form, das steinerne Untergeschoß mit den Stallungen, die Raumeinteilung und das Dachgerüst mit liegenden Stühlen, Firstbaum und die hängenden Rafen übernommen. Im Gegensatz zu seinem Vorbild ist es jedoch zweigeschossig und hat einen Giebel, der mit seiner starken Übersetzung noch an den "Trippel" des Kinzigtäler Hauses erinnert. Die Wände bestehen aus Fachwerk mit Flechtwerk-Lehmfüllungen. Das Fachwerk ist nach Ortenauer Art gestaltet. Der erste Stock hat eine bescheidene, der zweite Stock eine reich gegliederte Wandaufteilung (Abb. 16). Auf den Höhen zwischen dem Kinzig- und dem Elztal und um den Hünersedel tritt eine andere Hausform auf, welche die Siedler aus dem Breisgau, in dem sich das alte Firstsäulenhaus weit länger halten konnte als in der Ortenau, mitgebracht haben. Auf diesen Hochflächen ist das Firstsäulenhaus, das in der früh- und mittelgotischen Zeit noch allgemein üblich gewesen ist, zu der bemerkenswerten Größe mit zwei Wandsäulen und drei "Hochsäulen", wie der Schwarzwälder sagt, in einem Binder weiterentwickelt worden (Abb. 17).
Haus- und Dachwerk sind bei dieser Hausart noch in mittelalterlicher Weise eine Baueinheit, die auch hier, wie die Hausinschriften aussagen, an einem Tage aufgerichtet worden ist. Eine unter städtischem Einfluß malerisch entwickelte Giebelseite, wie sie etwa das Kinzigtäler und das Gutacher Haus aufzeigen, fehlt bei dieser Hausart. Sie besitzt jedoch weiterhin die altertümlichen Vollwalme, das sind die dreieckigen Dachflächen über den Schmalseiten des Hauses. Diese Vollwalme werden erst in der jüngsten Zeit in Halbwalme in der Art des Kinzigtäler Hauses umgestaltet. Die Dachflächen über den Langseiten des Hauses sind weit herabgezogen; auf den Kaltwetterseiten reichen sie bis auf den Boden, wobei die Traufen den Geländebewegungen folgen. Damit verbinden sie das Haus untrennbar mit dem Boden und fügen es wundervoll in das Landschaftsbild ein (Abb. 18).
Das urtümliche Aussehen dieser Hausart und ihre wirklich altertümliche Abzimmerung haben dazu geführt, daß diese Bauten von den Schwarzwäldern - "Heidenhäuser" genannt werden, weil sie von den Heiden erbaut sein sollen, obgleich selbstverständlich jeder Schwarzwälder weiß, daß nicht die Heiden diese Häuser erbaut haben. An der Hochsäule der Tenne hängen bis zur Stunde mumifizierte Ochsen- oder Pferdeköpfe, die Schädel der Zugtiere, die nach der Überlieferung das Holz zum Bau der Häuser beigekarrt haben.
Abb. 18. - Furtwangen-Katzensteig, Schwarzbauernhof, erbaut 1580
Die vom Geist der Vorzeit umwitterten Hochsäulenbinder unterteilen das Haus quer zum First in einen zweiraum breiten Wohnteil und in einen Wirtschaftsteil (Abb. 15 b). Der Wohnteil enthält im Erdgeschoß die Stube und die Küche und darüber im Obergeschoß die Schlaf- und die Rauchkammer. Im Wirtschaftsteil liegen zu ebener Erde die Tenne und der Stall mit dem Futtergang. Darüber befinden sich über der Eingangsseite des Hauses einige Kammern für die Mägde und Knechte; das restliche Obergeschoß enthält die "Heukreuze", welche die Heuvorräte aufnehmen. Das Dachgeschoß umfaßt einen großen Boden, den Wirtschaftsraum des Hofes und eine Brücke, auf der die Heuwagen nach den darunterliegenden Heukreuzen entladen werden. In den Dachraum führt eine Hocheinfahrt (Abb. 17).
Bei den älteren Bauten, den "Heidenhäusern", liegt der Wohnteil immer am Hang; die Stube ist nach Westen oder nach Süden gerichtet. Diese Anordnung läßt diese Häuser geduckt und schwer, aber auch warm und heimelig erscheinen. Sie gibt der Schwarzwälder Kulturlandschaft ein besonderes Gepräge.
Im 17. Jahrhundert ist einmal das Haus unter dem Dach so gedreht worden, daß bei den Häusern, die von diesem Zeitpunkt an gebaut worden sind, der Wohnteil zum Tal und der Wirtschaftsteil nunmehr gegen die Berglehne liegen. Zum andern sind mancherorts die Häuser quer zur Fallinie des Hanges gestellt worden. Hierbei ist aus der Längseinfahrt eine Quereinfahrt geworden, die eines kleinen Dachausbaues, einer "Wiederkehr", bedarf.
Die "Heidenhäuser" sind ganz aus Holz errichtet. Die Wände bestehen aus Bohlen, die, unter sich gefälzt oder genutet, in die Rillen der Wandsäulen eingelassen sind. Die Dächer sind mit Stroh oder mit Schindeln gedeckt gewesen. Heute treten an die Stelle dieser herkömmlichen Deckungsstoffe Kunstschieferplatten und Ziegel.
Abb. 19 - Gutach, Vogtsbauernhof. Erbaut 1573
Im Gutachtal und weiter nach Osten findet sich eine dritte Form von Schwarzwaldhaus, das Gutacher Haus (Abb. 19). Mit seinem Fachwerkkern in der Mitte der Schauseite ist es vielleicht das malerischste Haus des Schwarzwaldes, das durch seine Schönheit den Ruhm der Schwarzwälder Häuser begründet hat. Dieses Haus zeigt eindringlich, wie die Territorialherrschaft u. U. eine Hausart mitgestaltet. Seine Form verdankt das Gutacher Haus zum größten Teil den baupolizeilichen Bestimmungen eines verordnungsfreudigen Landesherrn. Die "Neue Bauordnung des Fürstenthums Württemberg vom 1. März 1568" hat verlangt, daß die Küche und die darüber liegende Kammer mit dem Rauchfang aus Gründen der Feuersicherheit in die Mitte des Hauses gelegt und deren Wände mit Mauerwerk ausgeriegelt werden müssen. Die übrigen Wände bestehen wie bei den Schwarzwaldhäusern aus Holz. Die gleiche Verordnung empfiehlt eine Dachdeckung mit Lehmstroh, deren unterste Strohlage dicht mit Lehm gestrichen wird. Diese Lehmstrohdächer haben sich in der Praxis bewährt, denn im Gutachtal und von ihm ausgehend im mittleren Kinzigtal sind bis vor wenigen Jahren noch sehr viel Strohdächer zu finden gewesen. Im Innern ist das Hausgerüst mit Hochsäulen in der Art der Schwarzwälder "Heidenhäuser", mit denen es die Zweigeschossigkeit teilt, oder mit den liegenden Stühlen des Kinzigtäler Hauses abgezimmert.
Alle Schwarzwälder Häuser werden begleitet von einer Reihe kleinerer Gebäude, wie Leibgeding- und Berghäuschen, Speicher, Mühlen und Schöpfe, mit denen sie zusammen den Hof bilden. Diese Höfe sind die Mittelpunkte in sich geschlossener Wirtschaftskreise gewesen. Ihre Einzelbauten sind dem Hauptgebäude des Hofes nachgestaltet. Daher haben die Kleinbauten der Kinzigtäler Höfe "Nußbühnen", Halbwalme und Stelzungen, während sie in den Bereichen des Gutacher Hauses und der "Heidenhäuser" das Halbgeschoß, den Halbwalm und ein steinernes Untergeschoß nicht besitzen.
Dieses Neben- und Miteinander sehr unterschiedlicher Hausformen in einem Gebiet wie die Ortenau ist selten und daher bemerkenswert. Es ist ein eindruckvolles Zeugnis für die bewegte Geschichte dieses Gaues und die Buntheit seiner nicht minder lebhaft gestalteten Landschaft.
Anmerkungen:
1.) Walter, Michael - Die Besiedlung der Ortenau in geschichtlicher Zeit - Die Ortenau 1929, 16. Heft 1929. ▲
2.) Neben dem Pfettendach wird am Oberrhein seit dem Ausgang des Mittelalters bei den bäuerlichen Bauten noch eine Mischform zwischen Pfetten- und Sparrendach verwendet (Abb. 4, 6). Beim Sparrendach sperren sich die Sparren wie die gespreizten Schenkel eines Zirkels auf einen Dachbalken, der über die Hausbreite gelegt ist. Die zwei Sparren und der Balken bilden ein unverschiebbares Dreieck. Die Dachlast wird bei dieser Gerüstart auf die Außenwände des Hauses übertragen. Das Sparrendach ist in Norddeutschland beheimatet.
Rafen und Sparren sind also zwei verschiedene Konstruktionselemente. Die Rafen hingen und die Sparren stehen. Leider werden diese Unterschiede von den heutigen Bauleuten nicht mehr sprachlich ausgedrückt. Heute werden alle Dachhölzer Sparren genannt. Nur im Schwarzwald, in der Schweiz und in Bayern werden von den älteren Zimmerleuten noch sachlich die Rafen von den Sparren unterschieden. ▲
3.) Schilli, Hermann, Das oberrheinische (mittelbadische) Kniestockhaus. "Badische Heimat", 1 / 1957. ▲
4.) Walter, Michael, Die Besiedlung der Ortenau in geschichtlicher Zeit. "Die Ortenau". Mitteilungen des Historischen Vereins für Mittelbaden. 16 / 1929. ▲
5.) Langenbeck, Fritz, Ortsnamenprobleme unter Berücksichtigung oberrheinischer Verhältnisse. "Die Ortenau", 33 / 1953. Langenbeck, Fritz, Die Entstehung der -heim-Ortsnamen im südbadischen Oberrheintal. "Badische Heimat", 1 / 1957. Langenbeck, Fritz, Die tung- und hurst-Namen im Oberrheinland. "Alemannisches Jahrbuch" 1958. Schauenburg, Lahr. ▲
6.) Wenn die Wohnung, der Stall und die Scheuer unter einem Dach zusammengezogen werden, was auch gelegentlich vorkommt, dann entsteht ein Wohnstallspeicherhaus. ▲
Verzeichnis der Schriften, die sich mit den Häusern der Ortenau befassen:
Gruber, Otto, Deutsche Bauern- und Ackerbürgerhäuser. G. Braun, Karlsruhe 1926.
Schilli, Hermann, Bauernhäuser der Ortenau. "Die Ortenau", 23. Heft 1936.
Das Heidenhaus. "Die Ortenau", 24. Heft 1937.
Die Verteilung der Hausarten in der Ortenau. "Die Ortenau", 27. Heft 1940. Sinnbilder, Hauszeichen und verwandte Symbole in unserer badischen Heimat. "Mein Heimatland", Heft 2 / 1941. Landesverein Badische Heimat.
Ländliche Haus- und Hofformen im alemannischen Gebiet Badens. "Badische Heimat", Heft 3 / 4 1951.
Das Schwarzwaldhaus. Kohlhammer-Verlag. Stuttgart 1953.
Das mittelbadische Kniestockhaus in neuer historischer Sicht? "So weit der Turmberg grüßt", Beiträge zur Kulturgeschichte, Heimatgeschichte und Volkskunde. Karlsruhe. 8 / 1955.
Das oberrheinische (mittelbadische) Kniestockhaus. "Badische Heimat", 1/1955.
Wohn- und Werkbauten in Glashütten des nördlichen Schwarzwaldes. "Alemannisches Jahrbuch 1958."
Moritz Schauenburg, Lahr. Das Bauernhaus in Ried und Tal. Lahr. "Geroldsecker Land", 1 / 1958 / 59.