Max Wingenroth


Max Wingenroth Kunstdenkmaeler des Kreises OffenburgMax Wingenroth stammte aus einer großbürgerlichen Mannheimer Familie, sein Elternhaus war das Palais Bretzenheim.

Lebensdaten:
1878–1890 Vorschule bis 1881, dann Gymnasium in Mannheim
1890–1891 zwei Semester Medizinstudium an der Albert-Ludwig-Universität Freiburg
1891–1893 Studium der Kunstgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München
1893–1894 Wintersemester in Freiburg: Kunstgeschichte u. Französisch - 1894 Sommersemester Universität in Wien
1894–1896 Studium an der Universität Heidelberg zur bis Promotion bei Henry Thode (? IV 294) zum Dr. phil.: "Die Jugendwerke des Benozzo Gozzoli"
1895–1896 Einjährig-Freiwilliger beim Badischen Grenadierregiment Kaiser Wilhelm I. Nr. 110, danach Assistent am Germanischen Museum Nürnberg
1901–1909 Direktionsassistent an den Vereinigten Sammlungen in Karlsruhe
1909–1922 Konservator der Städtischen Sammlungen in Freiburg
1909 Gründungsmitglied der Badischen Heimat, 1914 Zweiter Vorsitzender u. Schriftleiter
1921 Weichenstellung zur Vereinigung d. städtischen Sammlungen mit den Beständen des Freiburger Diözesanmuseums, Beginn d. Umbauarbeiten des lange geplanten Augustinermuseums dessen Eröffnung 1923 er aufgrund seines frühen Todes nicht mehr erlebte.

Biographie Max Wingenroth - Renate Liessem-Breinlinger (Autor) - Aus: Badische Biographien NF 6 (2011), S. 431 - 433

Das Mannheimer Palais Bretzenheim war Wingenroths Heimat, ein Baudenkmal, dessen Geschichte der Kunsthistoriker später erforscht und beschrieben hat. Von 1842 bis 1899 war es im Besitz seiner Vorfahren mütterlicherseits. Urgroßvater Conrad Rutsch hatte es von den Bretzenheim-Erben erworben; Wingenroths Großmutter Alexandrine Eisenhardt, geboren 1826 in St. Petersburg, wo Rutsch als Kaufmann zu Vermögen gekommen war, führte hier ein großes Haus, in dem vor 1848 die Liberalen Mannheims verkehrten; der Schwager Friedrich Hecker stand im Mittelpunkt. Wie er begaben sich Wingenroths Großeltern nach der fehlgeschlagenen Revolution nach Amerika, die Großmutter kehrte jedoch 1866 wieder nach Mannheim in ihr Elternhaus zurück. Wingenroth erinnert sich an herrliche Spielräume im großen Hof und den Sälen und an die Gastlichkeit der Großmutter. Im zweistöckigen großen Saal habe er später sein Studienquartier aufgeschlagen. 1899 verkaufte die Familie das Anwesen an die Rheinische Hypothekenbank. "In den späten Ausklängen der großen Renaissancekunst aufgewachsen […] bin ich Kunsthistoriker geworden" (Verschaffelt, S. 6). Joseph Sauer, auch Kunsthistoriker und liberaler kath. Geistlicher, bestätigt im Nekrolog für den vor der Vollendung seines 50. Lebensjahres völlig unerwartet an einer Lungenentzündung Verstorbenen, dass "die alte Kurpfälzer Herrlichkeit" (S. 72) mit ihrer großartigen Hinterlassenschaft Wingenroth nachhaltig geprägt habe. Als wegweisend für seine geistige Entwicklung nennt er die Professoren Henry Thode in Heidelberg und Franz Xaver Kraus (1840 - 1901) in Freiburg. Es mag verblüffen, dass Wingenroth als Kunsthistoriker von Rang, der erklärtermaßen in seinem Fachgebiet europäisch dachte, sich mit Leib und Seele dem Heimatgedanken verschrieb und als der eigentliche Gründer der Badischen Heimat gilt.

Nach Promotion und Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger, also privilegiert mit privatem finanziellem Engagement, strebte Wingenroth den Museumsdienst an. Sein großes Vorbild war Wilhelm von Bode (1845 - 1929) in Berlin, der von 1889 bis 1914 auch in Straßburg tätig war. Wingenroth bewarb sich erfolgreich am Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg, dem größten kulturhistorischen Museum Deutschlands, und sammelte erste Erfahrungen. 1901 kehrte er nach Baden zurück auf die Stelle des Direktionsassistenten an den Großherzoglichen Sammlungen in Karlsruhe. Er arbeitete an der Seite des Geheimen Hofrats Ernst Wagner, der auch den Karlsruher Kunstverein leitete. Zu Wingenroths Aufgaben gehörte die Mitarbeit an der Inventarisierung der Kunstdenkmäler des Großherzogtums Baden, den heute noch geschätzten anspruchsvoll gestalteten Bänden, die jeweils einen Landkreis abdecken. Sein Lehrer F. X. Kraus, der Kurator für die kirchlichen Denkmäler im Großherzogtum Baden, war eine tragende Säule des Projekts. Die Arbeit lag Wingenroth; so konnte er sein treffsicheres Urteil als Kunsthistoriker beweisen, sich als Organisator bewähren, Mitstreiter mit Sach- und Ortskenntnis aufspüren, Fotografen und Architekten für technisch perfekte Bild-Dokumentation gewinnen und zugleich viel unterwegs sein, was ihm nicht Last, sondern Freude war. Zwei Bände hat er unter eigenem Namen herausgegeben: 1904 Freiburg-Land und 1908 Offenburg. Für Baden-Baden veröffentlichte er seine Untersuchungen über das Schloss.

Es mag der Wunsch nach selbständiger oder dauerhafter Arbeit gewesen sein, der Wingenroth veranlasste, als Museumsleiter nach Freiburg zu gehen. Bei der Bewerbung hatte er sich gegen zahlreiche ebenfalls qualizierte Konkurrenten, auch aus Nürnberg, durchgesetzt. In Sauers Wahrnehmung war Freiburg für Wingenroth ein Abstieg, "an größere Verhältnisse gewöhnt […] und für solche durch seine ganze geistige Struktur und sein Temperament auch allein prädestiniert" (S. 72): Die Sammlungen unausgewogen, verstreut untergebracht, Spar-Ära bei der Stadt nach den großen Ausgaben für das Stadttheater, Enttäuschungen und Hindernisse, jahrelanger Kampf um einen eigenen Museumsbau, der erst kurz nach seinem Tod schließlich fertig wurde, im ehemaligen Augustinerkloster, das im 19. Jh. bis 1910 das Stadtarchiv beherbergt hatte. Auf der Plusseite vermerkt Sauer die Wingenroth anvertrauten Schätze, die bis heute den Stolz der Sammlung ausmachen: mittelalterliche Kunst vom Oberrhein aus der Hinterlassenschaft der Dominikanerinnen von Adelhausen sowie der hochrangigen Sammlung des Engländers William B. Clarke. Zwei markante Zukäufe sind Wingenroth gelungen, trotz des Sparkurses der Stadt: die Madonna mit dem schlafenden Kind von Hans Baldung Grien und die Flügel des Passionsaltars, eines Spitzenwerkes des sog. Hausbuchmeisters, Attraktion für Kunsttouristen und Gewandkundler. Regelmäßige Gehaltsaufbesserungen zeigen, dass die Stadt Freiburg Wingenroths Arbeit schätzte. Aber erst 1913 wurde seine Stelle aus dem Verantwortungsbereich des Stadtarchivars herausgenommen; beider Verhältnis war wohl nicht ganz spannungsfrei. Ein Indiz hierfür mag des Stadtarchivars Aversion gegen die Badische Heimat sein, vor allem gegen deren Gründungsvorsitzenden Professor Friedrich Pfaff (1855 - 1917), die in den Akten zu H. Flamm zutage tritt. Der konfessionelle Gegensatz: der eine Katholik aus dem bad. Unterland, Wingenroth Protestant, war dagegen eher unproblematisch. Sauer attestiert Wingenroth "weitreichendes Verständnis für den Katholizismus", "um nicht zu sagen warme Anerkennung der Kirche".

Gelegentlich habe Wingenroth an eine akademische Tätigkeit gedacht, die ihm aber versagt blieb. Im Engagement für die Badische Heimat, dessen Spuren ab 1913 in der Vereinsgeschichte unübersehbar sind, bot sich Wingenroth eine Möglichkeit, dem idealistischen Ziel von Heimatschutz und Denkmalpflege zu dienen und zugleich der Enge zu entkommen, Kontakte mit Menschen im ganzen Land zu knüpfen, Mitglieder zu werben, Ortsgruppen zu gründen und Vorträge zu halten. Nachhaltige Verdienste erwarb er sich durch die Neuordnung und niveauvolle Gestaltung der Zeitschriften des Vereins.

Wingenroth, der temperamentvolle Kurpfälzer, sei ein rascher unermüdlicher Arbeiter gewesen, der sich aber gut auf den schweren alemannischen Boden einstellen konnte. Eugen Fischer (BWB III 78), der I. Vorsitzende der Badischen Heimat von 1913 bis 1929, dessen Stellvertreter Wingenroth seit 1914 war, sieht in ihm den eigentlichen Neubegründer des Vereins. Mit Begeisterung und suggestiver Kraft habe er zum Mitgliederstand von über 8.000 Personen beigetragen. Fischer ruft ihn als frohen Gesellschafter und köstlichen Plauderer in Erinnerung: "Er konnte mit Hoch und Nieder verkehren" (Mein Heimatland 1922, S. 51 - 53); der etwas differenziertere Beobachter Sauer ergänzt: Er war "im Herzen Aristokrat".

Wingenroths Lebenswerk blieb unfertig, vielleicht auch die Persönlichkeit insgesamt. In Fragen der Politik hatte er bis an sein Lebensende keine klare Orientierung gefunden. 1915 äußerte er sich in übersteigert nationalistischen Tönen (Mein Heimatland 1915, S. 36 - 60), bald darauf fiel ihm ein, dass Kunst international sei (Mein Heimatland 1916, S. 8). 1918 scheint er sich kurzfristig für das revolutionäre Geschehen begeistert zu haben, "das Heckerblut seines Großonkels" habe durchgeschlagen, meint Sauer (S. 73). Bald habe Wingenroth sich jedoch enttäuscht und abgeschreckt von der Bewegung abgekehrt. Durch den frühen Tod mag Wingenroth einiges erspart geblieben sein: Als Mann der Kunst wäre er, der den Impressionismus begrüßte, als Mittel Neues zu sagen (Mein Heimatland 1916, S. 8), die modernste Kunst aber ablehnte, wohl vorübergehend ins Abseits geraten.

Auf der Todesanzeige in der "Freiburger Zeitung" unterschreibt übrigens die Tochter Alexandra in der russischen Kurzform als Sascha, wie sich auch Wingenroths Schwester nannte, die mit dem Volkskundler und Gründer des Deutschen Volksliedarchivs John Meier verheiratet war und wie die Familie des Bruders im Freiburger Stadtteil Wiehre wohnte. Diese Namenstradition geht auf die in St. Petersburg geborene Großmutter zurück, die "grande dame" im Palais Bretzenheim, deren Persönlichkeit und aristokratischen Hintergrund, Mutter Rutsch war eine geborene von Düren, auch Wingenroth lebenslang nostalgisch verehrt hatte.

Quellen:

UA Freiburg B 44 / 127 / 1011;
StadtA Freiburg C3, 106 / 2, 116 / 3, 237 / 1, 242 / 3, D. Sm. 1 / 2, 3 / 8, 28 / 1a, 45 / 1a u. Meldekartei;
Auskünfte von Maria Schüly, Augustinermuseum Freiburg vom November 2010.

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