Das Longinuskreuz am Hippenseppenhof im Freilichtmuseum Gutach / Schwarzwald von Hermann Schilli - Badische Heimat 53 / 1973, S. 128 / 130


Im Sommer 1972 hat der Hippenseppenhof im Freilichtmuseum "Vogtsbauernhof" ein Longinuskreuz erhalten.

Das Longinuskreuz am Hippenseppenhof im Freilichtmuseum Gutach / Schwarzwald.
Das Longinuskreuz am Hippenseppenhof
im Freilichtmuseum Gutach / Schwarzwald
Dieses weicht von den üblichen Darstellungen des Gekreuzigten in vielen Dingen erheblich ab. Es zeigt auf einem Ausleger einen Soldaten hoch zu Roß mit aufrecht gehaltener Lanze, und rund um den Gekreuzigten sind 23 Gegenstände angeordnet, die sich auf die Passionsgeschichte beziehen und dem Beschauer das Leiden Christi vergegenwärtigen sollen (Abbildung). So stehen links auf dem Querbalken das Säckchen des Judas mit den 30 Silberlingen, dann das Salbgefäß, die Waschschüssel mit dem Wasserkrug als Hinweis auf die Waschung und Salbung des Leichnams und rechts die Symbole für das Abendmahl.

Am rechten Ende des Querbalkens finden wir die Hand Gottes, die das Passionsgeschehen segnet. Unter den Händen des Gekreuzigten halten Engel Kelche, um das Blut aus den Wundmalen aufzufangen. Links und rechts vom senkrechten Balken sind die gegenständlich nachgebildeten Marterwerkzeuge angebracht. Die langstielige Blume unter der Stange mit dem Essigschwamm, deren Bedeutung zunächst unklar ist, ist der Ysopstab, an dem, nach Johannesevangelium, der Essigschwamm befestigt war, der aber nach dem zweiten Buch Moses, 12 / 22 auch als Streichquaste für das Blut des Passahlammes verwendet wurde.

Kreuzesdarstellungen mit den Marterwerkzeugen sind sehr beliebt gewesen und daher häufig in unserer Landschaft zu sehen. Das Besondere an unserm Kreuz ist jedoch die Gestalt des reitenden Lanzenträgers, dessen Name Longinus von dem griechischen lonche, die Lanze, abgeleitet wird. Normalerweise wird Longinus gezeigt, wie er, am Kreuze stehend, Christus in die Seite sticht. Unser Longinus sitzt aber auf einem schreitenden Pferd und hält die Lanze in Achtung bezeugender Weise senkrecht.

Jesus ist tot, denn seine rechte Seite ist bereits geöffnet. Vielleicht müssen wir daher den Reiter mit jenem Hauptmann in Verbindung bringen, der, nach dem Evangelium des Markus, dem Kreuz gegenübersteht und nach dem Tod Jesu den Glauben findet. Ein Theologe erachtet diese Vermutung für zutreffend, da, nach seiner Meinung, der tiefsitzende Helm unseres Longinus ausdrücken soll, daß er noch nicht "steht".

Diese Longinuskreuze finden sich vornehmlich in der alten Kameralherrschaft Triberg. Es war daher unser Bestreben, ein solches an dem Hippenseppenhof des Freilichtmuseums, der in der alten Herrschaft Triberg stand, anzubringen. Hierzu bot sich ein Longinuskreuz aus der nicht allzu weiten Umgebung an.

So ernst Gegenstand und Art der Darstellung auch sind, so heiter spielte sich der Versuch zur Erwerbung des Kreuzes ab. Zu diesem Zweck suchte ich seinen Besitzer auf. Leider mußte ich feststellen, daß das Kreuz seit meinem letzten Besuch sehr gelitten hatte. Es war in einem verwahrlosten Zustand. Der Corpus war stark verwittert, der Reiter und die Engel lagen beschädigt im Speicher, und die Marterwerkzeuge waren zum Teil morsch.

Angesichts dieses Befundes fragte ich den Bauern, was er mit dem Kreuz vorhabe, wie er die weitere Vernichtung aufhalten wolle.

Er antwortete: "Des versägi nägschdens."

Ich bat ihn hierauf, das Kreuz doch in das Freilichtmuseum zu geben, und gleich kam die erwartete Antwort: "Wa biedener?"

Ich bot ihm ein neues Kruzifix mit einem Christus in Lebensgröße und dreihundert Mark Handgeld. Darauf der Bauer: "No kennenern ha, awer, here ämol, zerscht mues des Kriz usgweiht were."

Ich streckte ihm die Hand entgegen zum Zeichen, daß das Geschäft abgeschlossen sei, und versprach ihm, für die Ausweihung zu sorgen. Darauf schlug er ein.

Nachdem ich die Ausweihung in die Wege geleitet hatte, besuchte ich den Bauern wieder und berichtete ihm von dem Erfolg meiner Bemühungen. Aber jetzt kamen ihm neue Bedenken, und es entwickelte sich folgendes Zwiegespräch in Offenburger und in der Mundart des Bauern:

"Here ämol, i kan doch ner de heilig Longinus in des evangelisch Guedach nab lau?"

"Loset Ihr mol, de Longinus isch gar kei Heilige."

"Was sage Ihr, de heilig Longinus isch gar kei Heilige? Sin Ihr au so e Neimodische? Di sin jo verruckt, die Heilige abzschaffe. Denke an d’heilig Agath(1), an d heilig Kätter(2), an de Wendel(4), an de Saudoni(4), nei, die schbinne, i blieb bi minem alde Glauwe."

Und mit erhobender Stimme fortfahrend: "De heilig Longinus mit de Lanze schtach dem Christus in de Ranze, d’Lanze war lang u breit, in Ewigkeit Dreifaltigkeit. Des han i im Religionsunterricht g’lehrt u dobi bliewi."

Ich respektierte sofort seinen Glauben und antwortete: "Loser ämol, de heilig Longinus kommt in Gutach in ä ganz katholische Umgebung. Er kummt an de Hippeseppehof, un an dem un sinnere Kapell find r alli Heilige, de heilig Agath, de heilig Wendel, de Saudoni, de heilig Kätter un vieli anderi."

"Isch des de Hippeseppehof usm Katzeschteig? Den kenn i. Maa, wenn des wohr isch, wa Ihr sage, no kennener de heilig Longinus ha. Awer i will mi in Guedach devo iberzeige, i wurr bi de erschde Glegeheit nabfahre."

Kurze Zeit darauf besuchte unser Bauer tatsächlich das Freilichtmuseum. Ich fuhr daraufhin, des Erwerbs sicher, mit Herrn Bildhauermeister Kühn von Hornberg und einem meiner Mitarbeiter auf den Hof; denn wir wollten gleich die wesentlichen Stücke mitnehmen, bevor dem Bauern neue Einwände kämen. Der Bauer begrüßte uns auch sehr freundlich und:

"S’isch wohr, Maa, wa Ihr gseit hen. Ihr kenne de heilig Longinus ha, awer wa biedener?"

"Ja, mir hen doch usgmacht, Ihr bikumme ä Kriz un dreihundert Mark Handgeld. Hier hab i dr Herr Kühn, Bildhauermeischter in Hornberg, mitbrocht, damit ’r Eiri Winsch wege dem Kriiz heert."

"Jo, des isch mr viel z’wenig. Onder dreidausend Mark goht er mer net vum Hof. Wissener, i loss de heilig Longinus herrichte un verkaufn deno."

"Ja, was glauwe Ihr, was des Herrichte koschdet? Herr Kühn, was meine Sie dezu?"

"Nun, zweidaused Mark were nit lange."

"Sell schbielt kei Roll, s’Denkmolamt zahlt’s."

"Lose Ihr mol. Wenn Ihr de heilig Longinus herrichte un widder am Hof abringe len, dann b’sorg ich Eich e Zuschuß vum Denkmolamt, der awer höchschdens e Drittel der Koschde usmacht, un wenn’r de heilig Longinus verkaufe, denn miessener de Zuschuß z’ruckzahle."

"Au letz, awer wa biedener?"

"Ich blieb bi minem Angebot. Ä Kriz un dreihundert Mark Handgeld. Des isch mi letschdes Wort."

"Iwerleges Eich, no schwätze mr no mol driwer."

Wir "schwätzten" nicht mehr darüber. Die Kosten waren mir zu hoch, zumal das Kreuz doch sehr mitgenommen und außerdem stark verwurmt war. Wir erreichten aber später, daß wir das Kreuz mit seinen dreiundzwanzig Beigaben holen durften, so daß Herr Kühn eine originalgetreue Kopie anfertigen konnte. Und diese Kopie ziert heute den "katholischen" Hippenseppenhof im Freilichtmuseum. Es kommt schließlich mehr auf die Konzeption an als auf den vergänglichen Werkstoff.

1.) Agatha, 5. Februar, im Schwarzwald als Hüterin des Herdfeuer verehrt.
2.) Katharina, 25. November, gilt als die mächtigste Fürbitterin unter den Vierzehn Nothelfern.
3.) Wendelinus, 20. Oktober, wird besonders in Mittelbaden als Schützer des Viehs verehrt. (Sein Standbild am Lorenzhof im Freilichtmuseum.)
4.) Antonius der Eremit, 17. Januar, nach seinem Attribut, einem Schweinchen, hierzulande "Sautoni" genannt. Helfer bei Krankheiten von Mensch und Vieh, besonders beim Rotlauf der Schweine.

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