Das Schwarzwaldhaus von Hermann Schilli, Freiburg mit Aufnahmen des Verfassers


Badische Heimat 1960 / 3 - S. 259 / 273

Das wichtigste und schönste Element des Schwarzwaldes ist das Haus. Es gehört untrennbar zu dem Begriff "Schwarzwald". Photographiert man ein paar Tannen auf den grünen Weidbergen, vielleicht noch einige Kühe dazu, so könnte das Bild auch in jedem deutschen Mittelgebirge aufgenommen sein. Belebt man die Photographie aber zufällig oder absichtlich durch ein Haus, einen Schwarzwälder Hof mit gewaltigem Walmdach, einem Speicher und einer Mühle, womöglich einem Kapellchen, dann gibt es weder für den Einheimischen noch für den flüchtigen Sommergast den geringsten Zweifel: dieses Bild ist typisch schwarzwälderisch, denn nur das Haus verleiht dieser Landschaft jene heimeligen Reize, die sie für den Fremden zu einem beliebten Reiseland und für den Schwarzwälder so recht zur Heimat machen.

Abbildung(en) 1


Der Schwarzwald steckt voller Merkwürdigkeiten, und den aufmerksamen Wanderer erwarten hier besondere Überraschungen. Er entdeckt einen kulturellen Reichtum, der seinen sinnfälligsten Ausdruck in vielgestaltigen Hausformen findet, die sich aus der Natur und der Geschichte der Schwarzwaldlandschaften entwickelt haben. Dabei wird es dem Betrachter sehr schwerfallen, von einer Hausart zu sagen, sie sei die schönste. In jeder finden gleichzeitig die Vergangenheit und die Gegenwart sowie die Seele der Landschaft und der Geist der Erbauer ihre Bekundung. Sie alle haben an den Häusern mitgeformt, denn die Entstehung einer Hausform ist ein vielschichtiger Vorgang. Dieses Geschehen ist noch nicht abgeschlossen. Ein Haus befindet sich in ständiger Umgestaltung, die sich in unseren Tagen, im Gegensatz zu früheren Zeiten, in geradezu beängstigend schnellen und traditionslosen Bahnen vollzieht.

Abbildung(en) 2


Bei der Betrachtung der Schwarzwälder Verhältnisse ist des weiteren zu beachten, daß der Schwarzwald erst vom Ende des 12. Jahrhunderts ab von Siedlern erschlossen worden ist, die aus dem Breisgau, der Ortenau und aus den östlichen Gäulandschaften kamen. Die Kolonisten aus dem Breisgau und aus den östlichen Randgebieten haben das Firstsäulenhaus, das zu Beginn der Rodung des Schwarzwaldes noch unbestritten in diesen Landstrichen üblich gewesen ist, mitgebracht und zu der stattlichen Größe und Form weiterentwickelt, die bis in die Gegenwart überliefert worden ist. Das Wissen um diese alte Form ist bei den Schwarzwäldern lebendig geblieben; sie erzählen, diese Hausart sei von den Heiden erbaut worden, und nennen sie "Heidenhaus". Selbstverständlich wissen die Schwarzwälder, daß diese Häuser nicht von den Heiden erbaut wurden, wenn auch der Volksmund das schlechthin zu behaupten scheint. Sie wollen vielmehr mit dieser Bezeichnung das ehrwürdige Alter und die Eigenart dieser Bauweise, die tatsächlich in die Erschließungszeiten des Waldes zurückreicht, zum Ausdruck bringen (Abb. Heidenhäuser, Zartener- und Schauinslandhaus).

Abb.3 Furtwangen-Schützenbach, Sägen-Mathishof
Abb.3 Furtwangen-Schützenbach, Sägen-Mathishof

In der Ortenau waren um 1200 zwei Hausformen üblich. Im Bereich der alten Rheinübergänge zwischen Selz und Gerstheim, nördlich und südlich von Straßburg, wurden Kniestockhäuser erstellt(1). Im Vorhügelland und in Straßburg selbst herrschte, wie überall am Oberrhein, mit Ausnahme der Vorfelder der oben genannten Brückenköpfe, das noch ältere Firstsäulenhaus vor. Jedoch wurde um diese Zeit, von Straßburg ausgehend, bereits damit begonnen, die Firstsäulenbauweise durch die Rahmenzimmerung zu ersetzen, die die mächtigen Firstsäulen entbehren konnte und damit ein leichteres Aufrichten der Häuser ermöglichte. Die Kniestockbauweise und die Rahmenzimmerung waren damals neu. Sie wurden von den Siedlern aus der Ortenau in ihrer neuen Heimat, im Wald, zu einer noch nicht dagewesenen Zimmerungsweise vereinigt, die den hier herrschenden Verhältnissen angepaßt war. Entsprechend dem Verbreitungsgebiet dieses Typus - es ist ein Typ, denn er verkörpert mit seinem Hausgerüst einen neuen Baugedanken - hat der Verfasser diese Hausart "Kinzigtäler Haus" genannt (Abb. 1, 2, 5).

Abb. 4 Gütenbach, unterer Gschenzhof
Abb. 4 Gütenbach, unterer Gschenzhof

Am Ostrand des Schwarzwaldes, in dem ehemaligen Herzogtum Württemberg, hat dieser straff regierte Staat durch seine bauund feuerpolizeilichen Bestimmungen im 16. Jahrhundert noch zur Schaffung einer dritten Form beigetragen. Dabei entstand das "Gutacher Haus", so benannt nach dem Tal, durch das dieses Haus schlechthin als das "Schwarzwaldhaus" bekannt geworden ist (Abb. 1, 2, 6).

Abb. 5 Oberharmersbach-Holderbach, Rübenmichelhof
Abb. 5 Oberharmersbach-Holderbach, Rübenmichelhof

Im südlichen Schwarzwald sind es die freundnachbarlichen Beziehungen zur Eidgenossenschaft gewesen, die hier das mittelalterliche Firstsäulenhaus unerheblich umgestaltet haben, ohne aber das urtümliche Gefüge zu verändern. Dabei sind am Südabfall des Schwarzwaldes das Hotzenhaus, zu dem wir ein Ebenbild in dem Aargauer Strohhaus finden, und das Schauinslandhaus mit einer Entsprechung im Luzerner Mittelland entstanden (Abb. 1, 2, 7, 8). Es darf hier daran erinnert werden, daß Teile des heutigen Aargaues mit dem Hauensteiner Land, dem Hotzenwald, wie wir heute sagen, eine vorderösterreichische Verwaltungseinheit bildeten und daß das Verbreitungsgebiet des Schauinslandhauses in den Zeiten der schweizerischen Religions- und Bauernfehden sowie nach dem Dreißigjährigen Krieg ein beliebtes Auswanderungsziel für die Schweizer gewesen ist.

Die einstige territoriale Aufsplitterung des Schwarzwaldes hat ferner die Verschiedenheit des Rechts und damit die Ungleichheit der Erbsitten bedingt. Diese und das kulturelle Streben der Bauern im Verein mit den Gegebenheiten der Naturräume haben neben den aufgeführten fünf Grundformen eine Reihe von Misch- und Übergangsformen entstehen lassen, deren Schönheit nichts anderes ist als höchste Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit, praktischer Verstand und künstlerische Phantasie in natürlicher Einfachheit, mit einem Wort: Die letzte ausgereifte Frucht der Landesnatur (Abb. 9).

Abb.6 Gutach, Vogtsbauernhof
Abb.6 Gutach, Vogtsbauernhof

Die Übersicht über die Hausarten des Schwarzwaldes wäre unvollständig, würden wir nicht noch der Kleinformen in den Behausungen für die Altbauern, Handwerker, Waldgewerbler, Waldarbeiter und Taglöhner, soweit es solche in früheren Zeiten gegeben hat, gedenken. Nach dem Vorbild des "Heidenhauses" und des Kinzigtäler Hauses sind in deren Bereichen Kleinhäuser geschaffen worden, die an das Lebkuchenhäuschen von Hänsel und Gretel erinnern. Die Kleinform des Hotzenhauses dürfte heute fast restlos aus dem Landschaftsbild verschwunden sein. Es war ebenfalls die getreue Wiedergabe des Mutterhauses, nur in bescheideneren Maßverhältnissen. Im Einzugsgebiet der Wiese wurde die Großform des hier beheimateten Schauinslandhauses beibehalten. Jedoch wurde dieses Haus, entsprechend seinen neuen Aufgaben, als Haus eines Arbeiter-Viehzüchters, in ein Mehrparteienhaus umgewandelt, das das große Dach aber bei oberflächlicher Betrachtung noch als Bauernhaus erscheinen läßt. Das Gutacher Haus ist ebenfalls für die nicht- und kleinbäuerliche Bevölkerung in ein Doppelhaus umgestaltet worden. Dieses Doppelwohnhaus mit der Küche in der Mitte der Walmseite, wie bei seinem Muster, ist von den Uhrmachern, die etwa von 1730 ab in dem sozialen Aufbau der Bevölkerung des mittleren Schwarzwaldes erscheinen, bevorzugt worden.


Abb. 7 Segeten, Haus Nr. 22
Abb. 7 Segeten, Haus Nr. 22
Abb. 8 Hofsgrund, Schniederlehof
Abb. 8 Hofsgrund, Schniederlehof

Hier sollen nicht die Hausarten in ihren Einzelheiten beschrieben, sondern lediglich die Gemeinsamkeiten aller Schwarzwälder Bauernhäuser und einige hervorstechende Formmerkmale und Besonderheiten hervorgehoben werden(2). Die Unterschiede, die durch die Landschaftsgeschichte, die Wirtschaftsbedingungen und die Nachbarschaft anderer Haustypen bedingt sind, sollen nur angedeutet werden(3).

Jedes Schwarzwaldhaus steht wie ein Edelsitz vereinzelt inmitten der eigenen Feldflur, damit sein Besitzer die Vorteile dieser Lage, wie kurze Betriebswege und eine vom Nachbarn ungehemmte Entfaltung und Bewirtschaftung ausnützen kann. Dabei ist der Bauplatz nach praktischen und betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten ausgesucht. Das Haus liegt zumeist etwas unterhalb des Quellhorizonts, an der Grenze zwischen dem talwärts gelegenen Wiesland und den oberhalb sich anschließenden Wechsel- und Weidefeldern. Dieser Kulturenscheide folgt auch der Weg, unterhalb dessen die Häuser in unregelmäßigen Abständen aufgereiht erscheinen. Die Häuser selbst mit ihren imponierenden Walmen - so werden die dreieckigen Dachflächen über den Schmalseiten genannt - lagern sich bald nahe der Talsohle, bald lugen sie vom Berghang zwischen Eschen, Ebereschen und Sommerlinden halbversteckt hervor. Sehr oft ducken sich die Gebäude in eine Bodenfalte, wobei die Dachtraufen unmerklich dem Boden folgen und das Haus untrennbar mit der Erde verbinden, so daß es wie ein Stück Natur erscheint. Bei den älteren "Heidenhäusern", dem Kinzigtäler und dem Gutacher Haus laufen die Firste mit den Fallinien der Hänge parallel. Die "Heidenhäuser", die niedriger gebaut sind als die übrigen Schwarzwaldhäuser, erscheinen hierdurch geduckt, schwer und dem Boden verhaftet, aber auch warm und heimelig.

Andere Arten von Häusern ziehen eine freie Stellung auf einem Bühl oder auf einer Talschulter vor; wieder andere kuscheln sich querfirstig an den Hang. Immer aber vermag der Bauer mit dem hochbeladenen Heuwagen über eine Erdrampe hinweg in den Dachraum des Hauses einzufahren (Abb. 10). Bei allen Schwarzwälder Häusern bieten die großen schindel- oder strohgedeckten Dachflächen mit ihren tiefen Schatten, das reiche Sprossenwerk der sich in der Sonne spiegelnden Fenster, die mächtigen Hölzer im Zusammenwirken mit der sichtbaren kraftvollen Konstruktion einen prächtigen Anblick, den man nicht so leicht vergißt.

Abb. 9 Gutach, Bachhof
Abb. 9 Gutach, Bachhof

Zu einem Hof gehört das Hauptgebäude mit Wohnung, Stallung und Scheuer unter demselben Dach, ferner oft noch ein Speicher, ein Back- oder Brennhäuschen, eine Mühle, eine Viehhütte oder Berghäusle, schließlich eine Säge und eine Kapelle. Das Ganze umfaßt, zusammen mit dem grünen Wies- und dem buntstreifigen Feld-Grasland inmitten dunkler Wälder, alles bildhaft, was als schwarzwälderisch gelten darf. Es ist das wohldurchdachte Werk des stolzen, selbstbewußten Schwarzwaldbauern, Äcker, Wiesen, Weide und Wald in Rufweite - "Wun und Wayd, Trib und Tratt", wie es so schön in den alten Güterverzeichnissen heißt -, gehören dem "Lebsitzer", dem Lehensbesitzer, d. h. dem Bauern. Sein ausgeprägter Sinn für persönliche Unabhängigkeit und seine Empfindlichkeit gegen alle Einmischungen von außen lassen ihn nicht einmal zu den Handwerkern gehen; diese kommen vielmehr zu ihm auf die "Stör", unter ihnen auch der Spannmeister, wie der Zimmermann noch heute vereinzelt genannt wird.

Kommt dieser zum Bauern, dann wird für beide besonders gedeckt und aufgetragen. Bei einem "Herrenessen" wird das Bauvorhaben durchgesprochen und durchgerechnet. In der Folge entsteht des Bauern Haus, seine Welt, und es wird mit seiner einfachen und klaren Form so recht das Gehäuse seines Wesens; es spiegelt die Art des Einzelhofbauern. Dieses Haus ist mehr als nur irgendein Unterschlupf gegen die Unbilden der Witterung und mehr als eine zufällige Ansammlung von Räumen zur Verrichtung einer wirtschaftlichen Tätigkeit. Grübelnd, sinnend, rechnend und formend hat der Schwarzwälder Bauer mit dem Zimmermann zusammen ein Holzkunstwerk, ein "Holzwesen", wie man im Schwarzwald sagt, geschaffen, ein Kunstwerk ebenso außen in den wohlabgestimmten Maßverhältnissen des gesamten Bauwerkes mit dem Milchhäusle auf der "Bruck", wie in den schönen Architekturmotiven des Fenstererkers und des Laubenganges und im Innern mit der warmen, geräumigen Stube mit der gemütlichen "Kunst" und dem diametral gegenüberliegenden besinnlichen "Herrgottswinkel", dem Stegenkasten und der zumeist kassettierten Stubendecke über dem Sohlbalken sowie dem kühn aufgerichteten, vom Geist der Vorzeit umwitterten Hausgerüst.

Abb. 10 Hocheinfahrt
Abb. 10 Hocheinfahrt

Dabei sind das Ganze und die Einzelheiten wohl durchdacht, einfach und zweckmäßig geformt. Man betrachte daraufhin nur einmal die Türen. In ihre Bretter sind versetzt Holznägel mit liebevoll geformen Köpfen schräg eingeschlagen. Auf diese Weise werden die Dielen dauernd in Spannung gehalten und das gefürchtete Werfen der Bretter verhindert. Oder wie sinnvoll und zugleich wirtschaftlich ist die Ständen-Bohlenbauweise der Wände aus den Eigenschaften des Holzes und den Notwendigkeiten des Zusammenbaues heraus gestaltet. Gerade die Wände muten uns in ihrer zeit- und schmucklosen Form besonders wohlgestaltet an. Sie verleihen der äußeren Erscheinung aller Schwarzwaldhäuser eine gewisse Wucht und geben dem Besucher das wohltuende Gefühl der Bodenständigkeit und des Heimatlichen, ja des Geborgenseins hinter diesen Wänden.

Alles in allem ist jedes echte Schwarzwaldhaus ein wahres Meisterwerk des Holzbaues von künstlerischer Klarheit und vollständiger Harmonie, sowohl in der äußeren Form wie im inneren Wesen. Der Betrachter spürt, daß dieses Haus seine Gestalt nicht nur den technischen Fertigkeiten, sondern darüber hinaus dem guten Formgefühl des Handwerkers verdankt. Eine fast ans Wunderbare grenzende Beobachtungsgabe und ein liebevolles Eingehen auf die Wuchs- und Arbeitseigenschaften des Holzes haben die Schwarzwälder Zimmerleute zu Meistern der Holzbearbeitung reifen lassen. Dabei ist alles, was sie schufen, ungekünstelt und schlicht.

Abb. 11 Wildtal / Freiburg Weilerhof
Abb. 11 Wildtal / Freiburg Weilerhof

Über einem auf Pfosten gelagerten Schwellenkranz sind mächtige Säulen und Bohlen in gotischer, ja in alteuropäischer Bautechnik zum Hausgerüst zusammengefügt, das dann, mit den Wänden und der Dachdeckung umhüllt, das imponierende Bild des Schwarzwaldhauses ergibt.

Abweichend von dieser alten Bauweise ist das Kinzigtäler Haus gezimmert (Abb. 1, 2, 5). Bei diesem Haus sind nur noch die Wände in mittelalterlicher Art gefügt. Das Innere zeigt, wie schon angedeutet, eine für das 15. Jahrhundert sehr moderne Konstruktion. Auch der Laie wird von der neuen Bauweise beeindruckt, die sich in dem großen hallenartigen Dachraum des Kinzigtäler Hauses zeigt, dessen ausgewogenes Spiel von Last und Kraft mit wenigen und einfachen Mitteln durch einen werkgerechten, überschaubaren Zusammenbau gemeistert wird.

Eine weitere Ausnahme macht das Hotzenhaus (Abb. 1, 2, 7). Die Abweichung ist jedoch nur äußerlich, da das Holzhaus von einem Steinmantel umgeben ist und dessen typische Schwarzwälder Art so dem Beschauer zunächst verborgen bleibt. Die Stube kommt auf diese Weise nicht an die Außenwand zu liegen, und das Haus entbehrt daher des schönen Fenstererkers, der sonst allen Schwarzwaldhäusern eigen ist (Abb. 1, 2, 7).

Abb. 12 Fischerbach- Butzenberg, Haus Schmalz
Abb. 12 Fischerbach- Butzenberg, Haus Schmalz

Des weiteren weichen das äußere Bild und der innere Aufbau des Hauses im Einzugsbereich der Wiese, wenn auch geringfügig, von denen der "Heidenhäuser" ab. Die Gründe hierfür sind bereits oben herausgestellt worden. Diese Form, die sich in eindrucksvoller Weise auf und an den Hängen des Schauinslands dem Wanderer darbietet, ist in das Schrifttum unter dem Namen "Schauinslandhaus" eingegangen (Abb. 1, 2, 8). Es ist leicht an der querfirstigen Lage zum Hang, an dem Eingang auf der Walmseite des Hauses und an den großen Dachvorsprüngen über den Hauseingängen zu erkennen.

Abb. 13 Oberharmersbach, Mühlstein
Abb. 13 Oberharmersbach, Mühlstein

Gemäß der herben Landesnatur, die mit ihren reichen Niederschlägen und ihren kargen Böden den Wäldlern nur ein hartes Leben gewähren kann, und entsprechend dem verschlossenen, mißtrauischen Sinn des abseits lebenden Einzelhofbauern, ist der Schmuck der Schwarzwaldhäuser bescheiden. Er beschränkt sich auf die gelegentliche Formung der Büge sowie auf Inschriften, Segenssprüche, christliche und vorchristliche Heilszeichen auf den Türstürzen, Eckpfosten und Bügen. Er bezeugt jedoch die vorhin gestreifte Gesinnung sowie das sich hieraus ergebende Selbstgefühl und verrät zugleich etwas von der Vorstellungswelt der Schwarzwälder. Denn der Hausschmuck soll nicht nur zieren, er soll vor allem dem Haus und seinen Bewohnern Segen bringen und Unheil abwehren. Hierher gehören auch die geheimnisvollen, in alte kultische Regionen zurückreichenden Ritzzeichen auf den Toren und Wänden der Tennen, die Menschen mit Sinn und Gefühl für Magie in ihren Bann schlagen.

Abb. 14 a (links) Oberharmersbach Holdersbach, Rübenmichelhof Abb. 14 b (rechts) Schonach, Bachhof (Dold - Baptistenhof )
Abb. 14 a (links) Oberharmersbach Holdersbach, Rübenmichelhof
Abb. 14 b (rechts) Schonach, Bachhof (Dold - Baptistenhof )

Neben den Ritzzeichen, Drei-, Fünf-, Sechs-, Sieben-, Acht- und Zwölfspitze, die alle Kreuze mit Zacken darstellen, den "Teufels"- und "Hexenknoten", ist das Satorquadrat, das bereits im ersten christlichen Jahrhundert auftritt, ebenfalls als magisches Mittel bis in das letzte Jahrhundert hinein im Schwarzwald üblich gewesen (Abb. 11, 12).

Liest man diese rätselhafte Zauberformel von links oben nach rechts und nach unten, von rechts unten nach links und nach oben, so ergibt sich immer SATOR. Liest man dieses Wort rückwärts, dann erhält man ROTAS. Das Wort AREPO in der zweiten Zeile(4) rückwärts ergibt OPERA und OPERA in der zweitletzten Linie wiederum in um gekehrter Richtung gelesen AREPO. Das Wort TENET aber in den Mittelachsen des magischen Quadrates liest sich vor- und rückwärts, ab- und aufwärts gleich; die beiden TENET bilden das christliche Heilszeichen das Kreuz, um das sich die andern Buchstaben gruppieren.

Auch die mumifizierten Ochsen- und Pferdeschädel, die an den Tennhochsäulen hängen und die noch heute Krankheiten und Seuchen vom Hause fernhalten sollen, gehören in diesen Zusammenhang.

Eine nüchterne Bedeutung haben dagegen die Hausmarken der Kinzigtäler Häuser, die den Ritzzeichen sehr ähneln (Abb. 13). Sie sind von den Kinzigtälern Bauern als Siegelzeichen benutzt, am Haus als Besitzzeichen angebracht worden und kennzeichnen noch heute die Ackergeräte und die gefällten Baumstämme ihres Eigentümers.

Abb. 14 c Kirnbach-Wolfach, Aberlehof
Abb. 14 c Kirnbach-Wolfach, Aberlehof

Als Beispiel diene die Platte mit dem Namen der Bauersleute vom Mühlstein in Oberharmersbach um 1774, die vielen Lesern seit Hansjakobs Erzählung: "Der Vogt auf Mühlstein" lieb und vertraut ist (Abb. 13). Die Tafel nennt uns oben die Besitzer, unten zeigt sie einen Fünfspitz, wohl deren Eigentumszeichen, sowie das Jahr, in dem dieses Haus umgebaut wurde. Derartige Platten sind im ganzen Einzugsgebiet der mittleren und oberen Kinzig bei Neu- und Umbauten sehr häufig angebracht worden (Abb. 15 b). Die Form des Hofzeichens setzt jedoch den Betrachter einen Augenblick in Zweifel. Der Fünfspitz könnte ebensogut eine magische Bedeutung haben. An jedem anderen Schwarzwaldhaus außerhalb des Verbreitungsgebietes des Kinzigtäler Hauses angebracht, wäre er ein Abwehrzeichen gegen das "Schrättele", das böse Etwas, das u.a. Alpdrücken hervorruft. Ja, im übrigen Schwarzwald sind diese Zeichen und das auf der Abbildung 11 gezeigte Symbol die am häufigsten verwendeten Ritzzauber.

Im Bereich des Kinzigtäler Hauses sind die Ritzzeichen indessen nicht üblich gewesen; hier treten an deren Stelle Fratzen, die das "Schrecksle" abhalten sollen (Abb. 15 a). Diese Schreckköpfe sind ursprünglich ein Schmuckelement der Renaissance, das aber hier unzweifelhaft zu einem Abwehrzeichen geworden ist. In der Barockzeit mit ihrer Daseinsfreude übernehmen Engelköpfe diese Aufgabe (Abb. 15 b).

Abb. 14 d Oberharmersbach, Geismannhof
Abb. 14 d Oberharmersbach, Geismannhof

Der Verfasser möchte daher annehmen, daß wir bei dem Fünfspitz auf der Tafel am Mühlstein ein Hofzeichen vor uns haben. Dafür spricht schon die Art der Aufbringung dieses Zeichens, die noch häufig im Kinzig-, Wolf- und Renchtal zu beobachten |ist. Ferner wurden früher in der "Badischen Heimat" die Unterschriften einer Bittschrift von 53 Bauern des Gerichts Oppenau aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts veröffentlicht, in der 31 Bittsteller mit ihrem Handzeichen, alle leicht zu zeichnende Linienzusammenstellungen nach der Art unseres Beispiels, unterschrieben haben(5). Nun hat aber Anton Muser, der "VogtsToni" Hansjakobs, bei seiner Verehelichung 1759, die 15 Jahre vor der Anbringung der gezeigten Tafel an seinem Hofe liegt, im Heiratsregister in Zell a. H. mit einem lateinischen Kreuz unterschrieben. Das will gleichwohl nicht viel besagen. Vielleicht war dem Pfarrer, wahrscheinlich einem Pater des Klosters Gengenbach, der Gebrauch der Hauszeichen nicht bekannt, zumal das Harmersbachtal am westlichen Rande des Verbreitungsgebietes der Besitzzeichen liegt. Er ließ daher die Eheleute mit einem Kreuz und einem Malzeichen unterschreiben, wie das in einer Zeit weithin üblich war, die vom Schreiben schon häufig Gebrauch machte, obgleich noch große Kreise des Volkes des Lesens und Schreibens unkundig waren(6). Endlich sei darauf hingewiesen, daß die christlichen Segenszeichen und die heidnischen, wie der Sechsstern und das Wenderad etwa, die an christlichen Kultbauten ebenfalls verwendet werden, an leicht sichtbaren Plätzen am Hause angebracht sind, während für die Ritzzeichen weniger auffallende Stellen bevorzugt werden. Als Christ bedient man sich ihrer mit einem etwas schlechten Gewissen, aber man will heute so wenig wie gestern darauf verzichten.

Der Leser wird sich wundern, daß diese hintergründigen Überlegungen in der Vorstellungswelt der Schwarzwälder einen derart breiten Raum einnehmen, daß sie an seinem Haus einen eindrucksvollen Niederschlag finden konnten. Wir erkennen hierin einen charakteristischen Zug des Wäldlers. Sein Haus mit all den Merkwürdigkeiten weist ihn als technischen Erfinder und Sinnierer aus. Er ist "Sektengründer, Bibelforscher und Gottsucher, der von Zauber und Segen weiß, von der schwarzen und weißen Magie, von Runen und Truden, bösen und guten Naturgeistern", wie der unvergessene Hermann Eris Busse einmal geschrieben har(7).

Des weiteren finden sich über den Türen und an den Eckquadern sowie auf den Bügen der Kinzigtäler Häuser Sechssterne und Wenderäder (Abb. 14 a), ferner die Initialen J-H-S (Jesus-Heiland-Seligmacher) und M (Maria) (Abb. 14 c, d). Aber auch der andere Zierat, wie die geformten Büge und die Laubenbrüstung, ist nicht zwecklos Angefügtes, sondern schmuckvolle Anordnung des technisch Notwendigen. Die beschrifteren Büge und die Innentüren waren zum Teil freundnachbarliche Geschenke, die am Tage der Aufrichtung des Hauses übergeben wurden, wie in der alten Kameralherrschaft Triberg festgestellt werden konnte.

Unzweifelhaft gehören die Schwarzwälder Bauernhäuser zu den eindrucksvollsten bäuerlichen Bauten des ganzen deutschen Sprachgebietes. Sie nehmen mit ihren mittelalterlichen Hausgerüsten in der Reihe der deutschen Hausformen eine Schlüsselstellung ein. Neben den ehrwürdigen Hallenhäusern des deutschen Nordwestens und den malerischen Einbauten Bayerns gilt uns das Schwarzwaldhaus als ein vollendeter Brennpunkt der bäuerlichen Welt und als anerkannte Erscheinung des deutschen Bauernhauses schlechthin. Längst sind diese vom Alter gedunkelten großen Häuser zum Inbegriff der Schwarzwaldlandschaft und ihres Waldbauerntums geworden. Sie sind Denkmäler bester bäuerlicher Baukultur im wahrsten Sinne des Wortes.

1.) Schilli H., Das oberrheinische (mittelbadische) Kniestockhaus. "Badische Heimat" 1957, Heft 1.  
2.) Schilli H., Ländliche Haus- und Hofformen im alemannischen Gebiet Badens. "Badische Heimat" 1951, Heft 3 / 4.  
3.) Schilli H., Das Schwarzwaldhaus. W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1953.  
4.) Der Zimmermann, dem nur die magische Wirkung dieser Formel bekannt gewesen ist, nicht aber deren Inhalt, hat unrichtig AREBO eingeschnitten.  
5.) Schilli H., Sinnbilder, Hauszeichen und verwandte Symbole in unserer badischen Heimat. "Badische Heimat" 1941, Heft 2.  
6.) Hier danke ich Herrn Oberlehrer Erwin Küderle in Oberharmersbach für seine Unterstützung bei dem Versuch, das Rätsel zu lösen.  
7.) Deutsche Volkskunst / Band XII: Baden. Verlag Böhlau, Weimar.  

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