Ein reiches alamannisches Frauengrab aus Mahlberg in der südlichen Ortenau von G. Fingerlin
Sieht man einmal ab von der römischen Zeit, in der sich entlang der wichtigen Fernstraßen Herbergen, Gutshöfe und Siedlungen aufreihen, läßt sich bis heute die Ortenau noch nicht als fundreiche Landschaft bezeichnen. Lange hat man die großen Lücken im Siedlungsbild dieses Raumes mit den besonderen Schwierigkeiten erklärt, denen sich hier der Mensch früherer Zeiten gegenüber sah: bei der Suche nach einem geeigneten Wohnplatz wie bei der Schaffung und Sicherung seiner Lebensgrundlagen.
Tatsächlich erscheinen die natürlichen Voraussetzungen in diesem Teil der Rheinebene, etwa zwischen Ettenheim im Süden und Bühl im Norden, für eine dichte und gleichmäßige Besiedlung wenig günstig. Gute Ackerböden finden sich nur in einem schmalen Streifen längs des Gebirgsrandes und in der Vorbergzone (Löß), außerhalb der Überschwemmungsgebiete zahlreicher, vom Schwarzwald zum Rhein führender Bach- und Flußläufe (Elz, Schutter, Kinzig). Zwischen diesen Wasseradern, die das Land in zahlreiche Kleinräume aufteilen, war die Anlage von Siedlungen nur an erhöhten Stellen möglich, während sich in den immer wieder überfluteten Niederungen Mooswälder und Riede ausbreiteten.
So erschien es dem Karlsruher Prähistoriker Friedrich Garscha, der sich 1935 mit der Frühgeschichte der Ortenau beschäftigt hat, ganz natürlich, daß ein "aus den Bodenfunden gewonnenes Bild von der alamannischen Kultur ... sehr ärmlich anmutet". Dabei wies er allerdings auch auf den ungenügenden Stand der Erforschung hin, den wir heute, mehr als vier Jahrzehnte später, als hauptsächlichen Grund für unsere noch immer mangelhafte Kenntnis dieser Gegend ansehen müssen. "Freilich", so fuhr F. Garscha in seinen Betrachtungen fort, "sind keine Schätze zu erwarten, wie dies an anderen Stellen der Fall sein kann, wo der Handel reichen Ertrag abgeworfen hat (Basler Rheinknie)." "Reiche Grundherren" waren nach seiner Einschätzung ebensowenig zu erwarten wie "Großkaufleute", die Kultur der hier siedelnden Alamannen "bewegte sich deshalb in den Grenzen eines bäuerlichen und handwerklichen Güterstandes".
Abb.1: Mahlberg (Ortenaukreis), Frauengrab von 1974 im Gewann "Hinter den Höfen". Schmuck aus Edelmetall, teilweise mit roten Steineinlagen. Natürliche Größe
Beobachtungen und Ausgrabungen vor allem der letzten zwei Jahrzehnte haben zwar die Zahl der frühgeschichtlichen Fundstellen aus dem 5. - 8. nachchristlichen Jahrhundert nicht gerade spektakulär vergrößert, aber doch Erkenntnisse geliefert, die das damals entworfene Bild grundlegend verändern. Neben der bäuerlichen Bevölkerung sind adlige Familien in unser Blickfeld getreten, die ihre verstorbenen Angehörigen tatsächlich mit "Schätzen" ausgestattet haben, mit kostbaren Gewändern und erlesenem Schmuck, den äußeren Abzeichen ihrer sozialen Stellung. Vielleicht waren sie tatsächlich in diesem von wichtigen Römerstraßen durchzogenen "Durchgangsland" nicht in erster Linie Großgrundbesitzer, sondern hatten eher Aufgaben der Verkehrssicherung wahrzunehmen, neben anderen Funktionen einer politisch führenden Schicht.
Abb.2: Mahlberg (Ortenaukreis), Frauengrab von 1974 im Gewann "Hinter den Höfen". Funde aus Silber, Bronze (oberste Schnalle) und Bernstein (Perlen). Der Löffel hing zusammen mit einem Messer und einer Spindel vorne am Gürtel herab
Während die seit längerem bekannten Adelsgräber aus der Kirche von Lahr-Burgheim mit einem fränkischen Königshof des späteren 7. Jahrhunderts in Verbindung gebracht werden, führt uns der Fund von Mahlberg zurück in die Zeit alamannischer Eigenständigkeit. Mehr noch: Das Leben der hier um 500 n. Chr. verstorbenen vornehmen Frau fällt in eine Zeitspanne, für die eine starke Ausweitung des alamannischen Siedlungs- und Herrschaftsraumes geschichtlich überliefert ist, eine Expansion, die offenbar von einem selbstbewußten Königtum ausging, das sich auf eine starke adlige Gefolgschaft stützen konnte. Es überrascht daher nicht, daß sich in den auch andernorts gefundenen Gräbern solcher Adelsfamilien ein beträchtlicher materieller Wohlstand widerspiegelt, ja, daß in den Fundstücken sogar Beziehungen zu anderen Räumen und politischen Kräften spürbar werden, die für die alamannische Geschichte dieser letzten Jahrzehnte vor der Unterwerfung durch die Franken bedeutsam waren.
Abb.3: Mahlberg (Ortenaukreis), Frauengrab von 1974 im Gewann "Hinter den Höfen". Silberner Halsring mit Spuren einer spiralförmigen Umwicklung. Durchmesser: 18 cm
Ohne Einschränkung gilt dies für das Mahlberger Frauengrab, zu dessen Inventar zwei goldene Ohrringe mit Steineinlagen und ein ebenfalls steinbesetzter Fingerring zweifellos ostgotischer Herkunft gehören (Abb. 1). Auch der silberne Löffel (Abb. 2) bezeugt die enge Verbindung zu Italien, das in dieser Zeit unter der Herrschaft des Ostgotenkönigs Theoderich stand. Diese vor allem in der Trachtausstattung vornehmer Frauen auftretende Komponente paßt gut zu den engen Beziehungen dieser beiden germanischen Völker, die in einer politisch-militärischen Allianz gegen die Franken gipfelten. Ähnliche Belege kennen wir auch aus den Stammesgebieten der Burgunder und der Thüringer, die von Theoderich durch eine gezielte Heiratspolitik in sein großräumiges Bündnissystem einbezogen wurden.
Die Frau aus Mahlberg allerdings war keine Ostgotin, die zu einer "politischen Heirat" an den Oberrhein kam. Ihre unzweifelhaft alamannische Abstammung zeigt sich in den anderen Elementen ihrer Tracht. Vor allem der große silberne Halsring (Abb. 3) verbindet sie mit hochgestellten Frauen dieses Stammes. Die nächsten Belege einer derart ungewöhnlichen Mode fanden sich in Grabfunden von Kleinhüningen, Basel und Herten im Hochrheintal.
Ebenso erweisen sich die silbernen, teilweise vergoldeten Bügelfibeln (Abb. 1) nach Form- und Mustervergleichen als einheimische Arbeiten. Wenn es bisher keine exakt entsprechenden Gegenstücke gibt, spricht dies für Rang und Vermögen der Auftraggeberin, die es sich leisten konnte, ein speziell angefertigtes, sehr qualitätvolles Fibelpaar zu tragen, wenn sie sich auch der allgemein geltenden Mode anschloß. Dazu gehörten in dieser Generation noch zwei Kleinfibeln, hier in Form springender Pferdchen (Silber, Abb.1). Leider wurde von diesem Paar nur noch ein leicht beschädigtes Exemplar gefunden. Auch der sogenannte "Haarpfeil" zählt in dieser Zeit zu den kennzeichnenden Attributen der alamannischen Frauentracht. Möglicherweise hat die Mahlberger Dame dabei ein lange vererbtes "Familienstück" benützt. Die silberne Nadel mit kleinem Blechanhänger (Abb. 1) zeigt sich jedenfalls abhängig von Vorbildern, die ca. hundert Jahre früher in anderen Gegenden getragen worden sind.
Nicht nur als modische Zutat, eher schon als Standessymbol könnte der massiv silberne Armreif(Abb.2) aufgefaßt werden, der nur in Gräbern vergleichbaren Niveaus vorkommt, jedoch nicht auf ein bestimmtes Gebiet beschränkt ist. Einen solchen Ring trug bezeichnenderweise auch die schon erwähnte Frau aus Kleinhüningen (Basel), die mit Halsring, Ohrringen, Haarpfeil, zwei unterschiedlichen Fibelpaaren und einem steinbesetzten Fingerring eine überraschend gleichartige Schmuckausstattung besaß (Abb. 4). Die Übereinstimmungen gehen sogar noch weiter: In beiden Gräbern fanden sich Perlen an der linken Hand (hier Bernsteinperlen, Abb. 2), an Unterschenkeln und Füßen lagen silberne Beschlägevon Schuh- und Wadenriemen (Abb. 2). Leider kann man hier wie dort den Schnitt der Kleidung nicht mehr beurteilen, doch steht fest, daß sich beide Frauen in ihrem Erscheinungsbild fast "bis aufs Haar" geglichen haben. So läßt sich eine Verbindung herstellen gerade zu der Landschaft am "Basler Rheinknie", für die F. Garscha nach dem damaligen Kenntnisstand noch völlig andere Lebensverhältnisse erschlossen hatte als in der scheinbar ärmlichen Ortenau.
Die herausgehobene Stellung der Frau aus Mahlberg zeigt sich indessen nicht nur in der kostbaren Trachtausstattung. Sorgfältige Untersuchungen und Beobachtungen haben nämlich gezeigt, daß hier kein größerer Ortsfriedhof vorliegt, sondern nur ein einzelnes Grab. Das ist in dieser Zeit nicht ungewöhnlich, bleibt aber auf einen kleinen Kreis beschränkt. Bestimmt liegt darin eine besondere Auszeichnung, etwa wenn eine knappe Generation früher ein Mann von offenbar königlichem Rang einzeln auf einem hoch über das Neckartal aufragenden Berggipfel beigesetzt wird (Ailenberg b. Eßlingen). Zum anderen erkennen wir in solchen Einzelgräbern die "Mobilität" führender alamannischer Familien, die an vielen Orten Grund und Boden besaßen, oft an der Gründung und dem Ausbau dieser Orte beteiligt waren und ihre Familienangehörigen an einem Platz beisetzten, zu dem eine besondere persönliche oder rechtliche Beziehung bestand.
Wie dieser Familienbesitz in Mahlberg aussah, wissen wir nicht. Das Gewann "Hinter den Höfen", auf dem die Grabstätte gefunden wurde, könnte auf einen nahegelegenen Herrenhof hindeuten, doch hat sich dieser Name wahrscheinlich erst in jüngerer Zeit gebildet. Man könnte vielleicht an den nahegelegenen "Mahlberg" selbst als Wohn- und Amtssitz denken, einen Kegel vulkanischen Ursprungs, der nicht allzu hoch, aber doch steil und beherrschend über die Rheinebene aufragt. Auf seinem Plateau, das nachweislich seit dem 13. Jahrhundert, wahrscheinlich aber schon länger eine Burg trägt (das heutige Schloß aus dem 17. Jahrhundert), konnte aber bis jetzt nicht gegraben werden. Trotz der starken Veränderungen und Eingriffe jüngerer Zeit ist es vorstellbar, daß der Berg noch Spuren einer ins frühe Mittelalter zurückreichenden Geschichte aufweist. Vielleicht wäre hier mit dem Spaten die Frage nach dem merowingerzeitlichen Adelssitz zu klären oder auch die Frage nach dem Ort der Gerichtsstätte, die mit dem Namen Mahlberg bezeugt wird (bis 1277 Dingstätte). Vielleicht, um mit einer Frage zu schließen, enthält der heutige Ortsname sogar noch eine Erinnerung an das vornehmste Recht, das der in einem einzelnen reichen Frauengrab faßbaren Adelsfamilie der frühen Merowingerzeit zustand.
Abb.4: Trachtrekonstruktion nach dem archäologischen Befund im Frauengrab 126 von Basel-Kleinhüningen. Nicht eingezeichnet ist eine silberne Riemenzunge von der Waden- oder Schuhgarnitur. Nach R. Christlein, Die Alamannen, Abb. 54