Die Reichsritterschaft der Ortenau von Karl Theodor von Glaubitz - Die Ortenau 1924, S. 66 ff.

Wappen der Reichsritterschaft OrtenauDie Reichsritterschaft ("libera et immediata imperii nobilitas") im Sinne des alten deutschen Staatsrechtes umfaßte den reichsumittelbaren niederen Adel sowie verschiedene nicht zur Reichsstandschaft gelangte freie Herrengeschlechter. Sie besaß zwar kein Sitz- und Stimmrecht auf den Reichs- und Kreistagen, genoß aber bedeutsame Vorrechte insbesondere in gewissem Umfang die Landeshoheit in ihren Besitzungen und bildete seit etwa 1500 in den drei Ritterkreisen in Schwaben, Franken und am Rheinstrom, wozu in der Folge noch der Ritterbezirk im Unterelsaß trat, organisiert einen besonderen Staatskörper innerhalb des heiligen römischen Reiches deutscher Nation.

Die Reichsritterschaft der Ortenau zählte als besonderer Ritterbezirk zum Schwäbischen Ritterkreis. Zu ihrer Entstehung als Ritterkorporatian boten außenpolitische Gründe den Anlaß. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts erwuchs in der zielbewußten burgundischen Großmachtpolitik eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die Selbständigkeit der Territorien am Oberrhein. Dem Ortenau’schen Adel wurde das ihm drohende Schicksal in unzweideutiger Weise vor Augen geführt, als der berüchtigte burgundische Landvogt Peter v. Hagenbach, der rücksichtslose Vollstrecker der Herrschaftspläne Karls des Kühnen, bei einem Streit mit den Schauenburgern, den Friedrich v. Schauenburg ohne vorherige Absage festzunehmen und aufzuhängen drohte. Bei der damaligen Schwäche der Reichsgewalt war vom Reichsoberhaupt keine Hilfe zu erwarten, der einzige Schutz der bedrohten Reichsunmittelbarkeit konnte nur im Zusammenschluß der Bedrohten zur gemeinsamen Abwehr gefunden werden.

Diesen auch anderwärts im Reiche mit Erfolg verwirklichten Gedanken machten sich auch die Ortenauer unmittelbaren Ritter zu Nutze, indem sie an den relativ mächtigsten Territorialherrn der Gegend, den Markgrafen Karl I. v. Baden, Anlehnung suchten. Am "Donnerstag nach St. Jacobstag, des heiligen Zwölf Boten" 1474 wurde zwischen dem Markgrafen, den Schauenburg, Röder-, Neuenstein, Bach, Bock v. Stauffenberg, Widergrün, Stoll, Windeck, Pfau v. Rüppur und Crafft v. Cröschwiler ein Bündnis abgeschlossen, dessen wesentliche Bestimmungen dahingingen:

Von nun an soll zwischen den Mitgliedern des Bundes kein gewalttätiger Zugriff und keine offene Fehde mehr geschehen, keiner soll des anderen Feinde bei sich "hausen, hofen, azen und tränken" oder ihnen sonst "Zuschub" und Förderung tun, sondern alle sind einander zu gegenseitiger Hilfe verbunden wider fremde Gewalt nach Anordnung des Bundeshauptmannes. Der Hauptmann wird alljährlich neu gewählt. Er zieht die Bundesgelder ein, führt Rechnung darüber, verwahrt die Urkunden und Briefschaften, schreibt die Bundestage aus und veranstaltet die Austragsgerichte, im Kriegsfall sorgt er für die Rüstung der Bundesmannschaft. Jeder Ritter hat eine ihm bestimmte Anzahl guter Harnischknechte und Pferde bereit zu halten und auf Mahnung des Hauptmannes entweder persönlich oder durch einen Stellvertreter bei dem Bundesbann zu erscheinen.

Streitigkeiten unter den Bundesgliedern werden durch Austräger "gerichtet, wenn sie nicht gütlich" beigelegt werden. Zum Austrägelgericht erwählt jede Partei einen Beisitzer (Zusätzer), der Markgraf den Obmann. Das Gericht soll binnen Monatsfrist nach erhobener Klage zu Baden, Bühl oder Oberkirch zusammentreten. Um der Räuberei vorzubeugen, war den Mitgliedern verboten, ohne Wissen des Hauptmannes fremde Leute auf ihren Schlössern zu beherbergen.

Zum Bundesbann hatten unter anderen zu stellen:

Bernhard v. Bach 4 Pferde 2 Knechte
Reinhard v. Windeck 2 Pferde l Knecht
Konrad v. Bach 2 Pferd 1 Knecht
Reinhard v. Schauenburg 2 Pferde 1 Knecht
Friedrich v. Schauenburg 3 Pferde 1 Knecht
Melchior v. Schauenburg 2 Pferde l Knecht
Andreas Roeder 3 Pferde 1 Knecht
Egenolf Roeder 3 Pferde 1 Knecht
Antonius Roeder 2 Pferde 1 Knecht
Daniel Roeder 1 Pferd l Knecht
Melchior v. Neuenstein 1 Pferd

Das Bündnis wurde zunächst auf 10 Jahre geschlossen, es ging 1484 zu Ende und wurde nicht mehr erneuert, da der außenpolitische Grund weggefallen war. Mit Karl dem Kühnen vor Nancy versank 1477 die burgundische Großmacht so rasch, wie sie emporgewachsen war, die burgundischen Lande hörten auf, eine selbständige politische Rolle zu spielen. Burgund war fortan nur noch ein Objekt der Politik der Nachbarstaaten und bildete keine Gefahr mehr für die Selbständigkeit der kleinen Territorien am Oberrhein.

Gleichwohl konnte es für die reichsunmittelbaren Edelleute der Ortenau nicht zweifelhaft sein, daß sie ihre Selbständigkeit den mächtigeren Nachbarn gegenüber nur dann würden behaupten können, wenn sie sich selbst eng zusammenschlossen. Ein Ritterbund war für den reichsunmittelbaren Adel eine Lebensnotwendigkeit. Daher schlossen die Roeder, Schauenburg und Neuenstein nach Ablauf des Bündnisses mit dem Markgrafen einen Bund unter den wesentlich gleichen Bedingungen wie früher, dem bald zahlreiche andere Adelsgeschlechter beitraten. Damit war die Ortenauer Reichsritterschaft als Korporation ins Leben getreten. Wenn es dem reichsunmittelbaren Adel der Ortenau gelungen ist, bis zum Untergang des alten Reiches (1806) seine staatsrechtliche Selbständigkeit zu behaupten, so verdankt er es hauptsächlich diesem Bündnis. Günstig für die Bestrebungen der Ritterschaft war allerdings auch der Umstand, daß in der Ortenau kein größerer Territorialherr zu überwiegender Macht gelangte, wie dies z. B. im Breisgau und Oberelsaß das Haus Habsburg erreichte, welches den Adel landsässig zu machen verstand.

Die Grenzen des Ritterbezirks Ortenau wurden im Norden von Murg und Oos, im Osten vom Schwarzwald, im Süden von der Bleich, im Westen vom Rhein im allgemeinen bestimmt. Innerhalb dieser Grenzen lagen die ritterschaftlichen Gebiete vielfach ohne territorialen Zusammenhang zerstreut. Die Verwaltungsorgane der kleinen Ritterrepublik wurde von den immatrikulierten Rittern auf den Ritterkonventen gewählt. Sie bestanden zuletzt aus einem präsidierenden Direktorialrat (früher auch Ritterhauptmann oder Präsident genannt), 4 Ritterräten und Ausschüssen und 2 Vizeausschüssen oder Zugeordneten. Die immatrikulierten Ritter teilte man in Realisten, d. h. solche, welche unmittelbaren Grundbesitz hatten, von dem Rittersteuern zu zahlen waren, und Personalisten, welche keinen Grundbesitz besassen. Letztere hatten kein Stimmrecht auf den Ritterkonventen und waren nicht in die Direktorialstellen wählbar. Unter den Realisten bildeten die Propriisten, d. h. zwar Sitz- und Stimmrecht auf den Ritterkonventen, wurden aber gewöhnlich nicht ins Direktorium gewählt Ritterkonvente (Rittertage) fanden statt:

in Offenburg 1491 (Ritterhauptmann Hans Roeder) 1494, 1495, 1496, 1497, 1498, 1499 (unter Daniel Roeder), zu Oberkirch 1500 (unter Hans v. Neuenstein), zu Offenburg 1548 (Hans v. Neuenstein), zu Offenburg und Ichenheim 1551, 1559 (unter Samson v. Stein), zu Oberkirch und Bühl 1562, 1564, 1565, zu Offenburg und Altenheim (unter Reinhard Rohard v. Neuenstein), zu Offenburg, Oberkirch, Altenheim und Straßburg (1590 - 1599 unter Hans Reinhard v. Schauenburg und Philibert v. Stein sowie Hans Peter v. Fürdenheim), zu Offenburg, Oberkirch, Durlach Und Straßburg 1611 - 1662 (unter Hans Peter v. Fürdenheim, Franz Roeder von Diersburg und Rudolf v. Neuenstein), zu Oberkirch 1663 (unter Friedrich v. Stein). Schließlich bildete das "Ritterhaus" in Offenburg (jetzt Landgerichtsgebäude) den Schauplatz der staatlichen Betätigung der Ortenauter Reichsritter. Die ritterschaftliche Kanzlei befand sich zuletzt in Kehl.

Bei der Ortenauer Reichsritterschaft waren im Laufe der mehr als 3 Jahrhunderte ihres Bestehens zahlreiche Familien immatrikuliert. Der Personalbestand wechselte vielfach. Ohne ein vollständiges Verzeichnis geben zu wollen, seien im Folgenden einige dieser Familien unter Beifügung des Immatrikulationsjahres angeführt, wobei zu beachten ist, daß in den verschiedenen Quellen die Jahreszahlen nicht immer übereinstimmen:

blueCircle Böcklin (1551), Oberkirch (1580),
blueCircle Wurmser 1609),
blueCircle Bodeck (1625),
blueCircle Zorn v. Bulach (1629),
blueCircle Knebel (1653),
blueCircle Glaubitz (1660), Rathsamhausen (1698),
blueCircle Waldner (1722),
blueCircle Dangun (1727),
blueCircle Franckenstein (1731), Berckheim (1751),
blueCircle Blittersdorf (1786),
blueCircle Ichtersheim (1786),
blueCircle Neveu (1786),
blueCircle Türckheim (1790),
blueCircle Ritz (1790),
blueCircle Vogt v. Hunoltstein (1795).

Bei diesem Verzeichnis fällt die große Zahl der Familien elsäßischen Ursprunges auf. Tatsächlich bestand eine enge Verbindung des ortenauischen Reichsritterbezirkes mit dem Unterelsäßischen, welche auch die Zeit überdauerte, da die Reichsritterschaft des Unterelsaßes unter französische Oberhoheit gelangte. Das Gebiet der Reichsritterschaft des Unterelsaßes ist tatsächlich nie in dem mehr centralistisch regierten französischen Königreich aufgegangen, sondern hat seine Sonderstellung bewahrt und durch die Lettres Patentes du Roi portant Confirmation des Droits et privilèges du Corps de la Noblesse immédiate de la Basse Alsace du mois de Mai 1799 die Anerkennung einer Rechtsstellung erlangt, welche derjenigen der deutschen Reichsritter ähnlich war. Von den Ortenauer Reichsrittern waren bei der unterelsäßischen Reichsritterschaft u. a. immatrikuliert die Berckheim, Berstett, Bodeck, Boecklin, Glaubitz, Ichtersheim, Neuenstein, Roeder, Rathsamhausen, Schauenburg Wurmser, Zorn.

Wegen ihres Besitzes auf beiden Rheinseiten behauptete ein französisches Witzwort, die Reichsritter besäßen "à cheval sur le Rhin". Durch die Verbindung der ortenauer Ritterschaft mit der elsäßischen erklärt sich auch das Auftreten zahlreicher Reichsritter in hervorragenden Offiziersstellen der im Elsaß garnisonierenden deutschen Regimenter des königlich französischen Heeres (Royal Alsace, Allemande. Deux Ponts et.). Hier begegnen wir wiederum den Namen Berckheim, Glaubitz, Roeder, Schauenburg u. a. -

Nicht ganz mit Unrecht hat man der deutschen Ritterschaft den Vorwurf gemacht, sie habe durch ihre strenge Absonderung vom reichsstädtischen Patriziat ihren politischen und finanziellen Niedergang teilweise selbst verschuldet. Richtig ist, dass der seiner Herkunft nach dem unmittelbaren Landadel ebenbürtige Stadtadel seine aus dem Lande ansäßigen Standesgenossen in politischer und wirtschaftlicher Beziehung im allgemeinen überflügelt hat. Die Reichsstädte erlangten Reichsstandschaft, was dem reichsritterlichen Verband nie gelungen ist, und in finanzieller Beziehung konnte sich der Landadel mit dem kapitalkräftigen Stadtadel vielfach nicht vergleichen. Dadurch, daß die Ritterschaft sich vom Patriziat abschloß, namentlich das conubium mit dem Patriziat nicht gerne sah, schädigte sie einesteils ihren politischen Einfluß, andererseits beraubte sie sich des zur Bewirtschaftung des ländlichen Grundbesitzes nötigen Kapitals, was den politischen und wirtschaftlichen Niedergang der Reichsritter insbesondere dann in gefährliche Nähe rückte, als der politisch-finanziell wichtigste Faktor für die Erhaltung der ritterschaftlichen Machtstellung der durch strenge Ahnenproben der katholischen Ritterschaft gesicherte ausschließliche Zutritt zu den rheinischen Domstiftern mit der Säkularisation in Wegfall kam.

Die Ortenauer Reichsritterschaft trifft obiger Vorwurf nicht, ihr war die strenge Absonderung vom Patriziat nicht in gleichem Maße bekannt wie z. B. der rheinischen. Für die Ortenauer Ritter kam naturgemäß die Verbindung mit dem Patriziat der freien Stadt Straßburg in Betracht. Erleichtert wurde diese Verbindung durch die Eigenart der Stadtverfassung, welche innerhalb der ratsfähigen Geschlechter zwischen dem adeligen Patriziat und dem aus den Zünften hervorgegangenen bürgerlichen Patriziat unterschied und jeder dieser beiden Klassen besondere Magistratswürden vorbehielt. Wir finden in der Ortenauer Reichsritterschaft Familien, welche aus dem alten Straßburger Stadtadel hervorgegangen sind, so die Türkheim, Wurmser, Zorn. Viele Ortenauer Familien fanden auch Aufnahme in das Straßburger Patriziat und stiegen zur höchsten städtischen Würde, dem Stadtmeisteramt, auf, so die Berckheim, Glaubitz, Neuenstein.

Nachdem die französische Revolution durch die Aufhebung des unterelsäßischen Ritterbezirkes der Ortenauer Reichsritterschaft schweren Verlust gebracht hatte, ging mit dem Untergang des heil. römischen Reiches deutscher Nation (1806) auch die Ortenauer Reichsritterschaft zu Grabe. Als selbständiger Staat war die kleine territorial unzusammenhängende Ritterrepublik nicht lebensfähig, nur durch den Schutz der Reichsgewalt hatte sie gegen die übermächtigen Nachbarn ihre Selbständigkeit behaupten können. Mit der Abdankung Kaiser Franz II. fiel der letzte Rückhalt. Wie anderwärts wurde auch die Ortenauer Reichsritterschaft mediatisiert. Durch landesherrliche Verrordnung vom 25. Nov. 1806, die Einteilung der nunmehr unter Großherzoglich Badische Hoheit gehörigen Ritterorte betr., wurde der Ritterbezirk Ortenau der Provinz der "Markgrafschaft" zugeteilt. Den Rittern blieben nach Maßgabe der badischen Grundherrlichkeitsverfassung noch einige politische Rechte, welche in der Folge teils durch Verzicht teils durch die Zeitverhältnisse beseitigt wurden.

An die Ortenauer Reichsritterschaft erinnert noch das ehemalige Ritterhaus, jetzt Landgerichtsgebäude in Offenburg und die Ritterstraße daselbst. Von den vormals immatrikuliert gewesenen Familien sind heute noch in der Ortenau begütert die Berckheim, Böcklin, Franckenstein, Gayling, Glaubitz, Neveu, Roeder, Schauenburg, Türckheim, Waldner, Zorn von Bulach.

Quellen: Archivalien des Badischen Generallandesarchivs in Karlsruhe und des Glaubitz’schen Familienarchivs in Rittersbach.

Druckwerke: Das Wappenwerk des Freiherrn von Neuenstein und die Druckschrift des Freiherrn Roeder von Diersburg über die Reichsritterschaft der Ortenau.
Kerner, Allgemeines positives Staats Landrecht der unmittelbaren freyen Reichsritterschaft, Lemgo 1786;
Schweden, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte, Leipzig 1907;
Roth von Schreckenstein, Geschichte der freien Reichsritterschaft. Freiburg 1886;
Klüber, Akten des Wiener Kongresses, Erlangen 1819;
Müller, Le Magisrat de la ville de Strasbourg, Straßburg 1862;
Lehr, L'Alsace Notte, Paris 1870:
Glockner, Badisches Verfassungsrecht, Karlsruhe 1905;
Des heiligen Römischen Reichs Genealogischer und Schematischer Calender für 1802, Frankfurt 1810.


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