Die Anfänge der Stadt Zell am Harmersbach von Wolfgang Mössinger, die Ortenau 1983, S. 69 ff.


I. Vorbemerkung

zellObwohl das Schrifttum über die Anfänge der Stadt Zell am Harmersbach gerade in den letzten Jahren und Jahrzehnten erheblich zugenommen hat, bleiben doch noch einige Fragen im Dunkeln. Grund dafür ist das spärliche Quellenmaterial, hervorgerufen durch die verschiedenen Brände des Zeller Stadtarchivs im 16. und 17. Jahrhundert(1). Durch gründliches Quellenstudium können jedoch Erkenntnisse gewonnen werden, die zwar keine endgültigen Antworten liefern, aber dennoch wesentliche Fragen mit großer Wahrscheinlichkeit beantworten können.

Die weitaus meisten Schriften versuchten bisher, den exakten Zeitpunkt der Stadtwerdung zu fixieren meist mit dem Ziel, bestimmten Gründungsfeiern historisch-wissenschaftliche Grundlagen zu verleihen(2). Bei der bestehenden Quellenlage ist dies ein sinnloses Unterfangen. So müssen wir uns damit begnügen, näherungsweise vorzugehen und dabei das Quellenmaterial von 1139 - 1366, unter besonderer Berücksichtigung der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, zu Rate zu ziehen. Damit tragen wir zudem dem Umstand Rechnung, daß die Stadtwerdung kein Akt eines Tages, sondern Abschluß einer Entwicklung darstellt(3).

Zur Eingrenzung des mittelalterlichen Begriffs "Stadt" wird bier die Definition von Schirmer zu Grunde gelegt: "Unter Stadt versteht man einen mit Marktrecht, Immunität und politischer Selbstverwaltung ausgestatteten Ort, der sich von den offenen Märkten durch die Ummauerung unterscheidet."(4)

II. Quellenlage und Forschungsstand

Zell liegt in einem Seitental des Kinzigtales, welches schon seit den Römern als West-Ost-Verbindung Bedeutung hatte(5), durchbricht es doch als einziges den Schwarzwald in voller Breite(6). In etwa einer Stunde Fußmarsch von diesem wichtigen Verkehrsweg entfernt, an der Einmündung des Nordrach- in das Harmersbachtal breitet sich die Stadt Zell aus in einer Talgabellage, in deren Mitte sich ein flacher Ausläufer eines Bergrückens befindet, der sich um etwa 10 m vom Talboden abhebt(7). Diese leichte Erhöhung bildete den Kernraum der Besiedlung, deren Ursprung weder durch historische Quellen noch durch Funde geklärt werden konnte. Auch die Patroziniumsforschung hat lediglich zu Vermutungen geführt(8).

Der einfache Name "Zell" als Bezeichnung für einen klösterlichen Außenposten könnte darauf schließen lassen, daß die so benannte "Zelle" die erste ihrer Art in dieser Gegend, vielleicht sogar für das Mutterkloster insgesamt war(9). Dies würde eine erste Ansiedlung Ende des 8., Anfang des 9. Jahrhunderts bedeuten, da der Ausgangspunkt der Besiedlung, das Kloster Gengenbach, im 8. Jahrhundert gegründet wurde(10).

Urkundlich erwähnt wird Zell erstmals im Jahr 1139, als es gemeinsam mit anderen Besitzungen des Klosters in einer Bestätigung Papst Innozenz' II. aufgeführt wird(11). Die Echtheit einer Urkunde Bischof Heinrichs II. von Straßburg von 1206(12), die dem Kloster das Recht gibt, in Zell, Harmersbach und Griesheim den Pfarrer zu setzen, bleibt zwar umstritten, jedoch vorwiegend was die Erwähnung Griesheims angeht(13). Spätestens 1220 war jedoch in Zell ein "Pleban", der wegen seiner Einkünfte (Zehnten, Allmende, usw.) im Streit mit dem Kloster lag(14). Dieser Streit war nur ein Ausschnitt der Auseinandersetzungen zwischen dem Kloster und den Ministerialen, aus deren Reihen das Kloster die Pfarrer berief(15). Erst 1261 einigten sich der Pleban Berthold und der Abt über die Einkünfte des Zeller Pfarrers(16). Die Kirche des Pfarrers befand sich auf dem Bergrücken; um sie herum siedelten Eigenleute des Klosters und Bauern, die ein Dorf bildeten mit dem 1297(17) erstmals erwähnten Klosterhof neben der Kirche als Mittelpunkt.

Die Ansicht, daß Zell in der Zeit des Interregnums Stadt geworden ist(18) und sich von der Herrschaft des Klosters lossagte, ist unwahrscheinlich, steht ihr doch eine Besitzurkunde des Klosters aus dem Jahre 1287(19) entgegen: "Jus patronatus et quicquid iuris habetis in aeclesiis villarum seu vallium Steinach Zella Harmersbach Norderah Reichembach - curias iurisdictiones temporales et quicquid iuris dictionis nec non in illis et vallibus quae Entersbach Biberach Bürach - vulgariter nuncupantur." "Wir haben das Herrenrecht (= Recht zur Einsetzung des Pfarrers) und jedwedes Recht in den Kirchen der Dörfer und Täler Steinach, Zell, Harmersbach, Nordrach, Reichenbach - ebenso die geistliche Rechtsprechung und jedwede Rechtsprechung in den Tälern, die gemeinhin Entersbach, Biberach Bürach genannt werden."

Zwar kennen wir Beispiele aus anderen Städten, die 100 Jahre nach ihrer Gründung noch "villa" genannt wurden(20), jedoch weist Grimm überzeugend nach, daß Zell vor 1324 nicht Stadt gewesen sein kann(21).

Unstrittig Stadt ist Zell seit 1330; "Wir Ludwig cet. verjehen cet. daz wir den bescheiden lawten dem rat und den burgern ze Zelle die besundern genad getan haben, also daz si einnemen den zol und daz ungelt in derselben stat von unserer Frawen tag als si ze himel fuer vier gantzew jar und sullen auch daz selb gelt an ir staat verpawen. ( ... )."(22)

Aus dieser Urkunde läßt sich auch erkennen, daß eine weitere Voraussetzung der städtischen Existenz gerade im Begriff war, Gestalt anzunehmen: der Bau der Stadtmauer, der vor 1362 beendet gewesen ist(23). Die Rechte des Klosters über die Stadt Gengenbach wurden 1331(24) auch auf Zell ausgedehnt.

In den folgenden Jahrzehnten hören wir von Zell meist im Zusammenhang mit Verpfändungen des gesamten kaiserlichen Besitzes in der Ortenau, einschließlich der Städte Gengenbach, Offenburg und Zell, ohne daß der jeweilige Pfandherr die Rechte der Städte angetastet hätte. Lediglich der Straßburger Bischof versuchte 1358(25) die Städte unter seine Gerichtsbarkeit zu stellen, was ihm zunächst auch gelang. Der Abt Lambert von Burn, Abt von Gengenbach und gleichzeitig Bischof von Speyer sowie Vertrauter Kaiser Karls IV., erreichte jedoch 1365 / 1366(26) für die drei Städte weitergehende Freiheiten: der endgültige Beginn der reichsstädtischen Existenz der Stadt Zell.

III. Topographische und wirtschaftliche Aspekte der Stadtgründung

Aus diesem nüchternen Quellenmaterial geht natürlich nicht hervor, aus welchen Gründen das Kloster Gengenbach gerade an der Einmündung des Nordrach- in das Harmersbachtal eine Stadt gegründet hat.

Zehe(27) hat in einer Arbeit über die Städte des Schwarzwaldes nachgewiesen, daß die meisten Städte dieser Region als befestigte Märkte gegründet wurden. Gerade am Beispiel Zells dürfte dies unstrittig der Fall sein.

Die Bedeutung des Harmersbachtals als Durchgangstal ist zu gering zu veranschlagen, als daß die Möglichkeit bestünde, die Gründung Zells als Sicherung eines wichtigen Verkehrsweges oder als Durchgangsstation zu interpretieren. Auch die Theorie des Stadt gewordenen Dorfes ist für Zell nicht möglich; dagegen sprechen nämlich zwei Tatsachen: erstens steht die Pfarrkirche außerhalb der mittelalterlichen Stadtbefestigung und zweitens läßt der heute noch ovale Grundriß der mittelalterlichen Stadt auf eine bewußte Gründung schließen(28).

Aufschlußreiche Erkenntnisse liefern geographische und topographische Arbeiten(29). Sie weisen nach, daß der Harmersbach und die Nordrach bis ins vorige Jahrhundert hinein einen stets wechselnden Lauf genommen und somit den Talboden des öfteren in eine Sumpflandschaft verwandelt haben. Dies dürfte auch der Grund dafür gewesen sein, warum schon die ersten Mönche ihre Kirche etwas erhöht auf dem Ausläufer eines Bergrückens erbauten, von wo aus sie außerdem die beiden Täler gut überblicken konnten. Um diese Kirche herum (die heutige Pfarrkirche steht in etwa an derselben Stelle) entwickelte sich ein Dorf, von dem heute keine Spuren mehr zu sehen sind(30). Das Gelände unterhalb des Dorfes bot sich für eine Stadtgründung deshalb an, weil der Harmersbach sich dort, geologisch bedingt, ein tieferes Bachbett gegraben hat und nicht so schnell über die Ufer trat. Um die Talstraße herum, jedoch noch in einem sicheren Abstand von ca. 100 m vom Bach entfernt, wurde nun die Stadt erbaut. Lediglich die Talstraße und die von ihr im rechten Winkel auf der Höhe des Rathauses abzweigende Straße zur Pfarrkirche waren mit Sicherheit schon bei der Gründung vorhanden(31). Daß Zell hauptsächlich der Befriedigung des lokalen Marktverkehrs diente, wird durch den im Verhältnis zur Größe der Stadt ausgedehnten "Marktplatz" deutlich, der sich zwischen dem Rathaus und dem heute noch vorhandenen "Storchenturm", dem größten der vier Stadttürme, erstreckte. Das heute dort befindliche Kanzleigebäude wurde erst im 18. Jahrhundert errichtet(32).

Warum das verkehrsgünstiger gelegene Biberach im Kinzigtal nicht Ort einer Stadtgründung wurde, läßt sich nur erschließen. Drei Gründe könnten ausschlaggebend gewesen sein:

Das Kinzigtal war durch Hochwasser noch gefährdeter als das Harmersbachtal.

Das Kloster wollte nur wenige Kilometer talaufwärts keine Konkurrenz zu "seiner" Stadt Gengenbach aufkommen lassen.

Biberach lag zu weit weg von den Bauernhöfen im oberen Harmersbach-, Entersbach- und Nordrachtal, so daß der eigentliche Zweck der Stadtgründung verfehlt worden wäre(33).

Tatsächlich waren die Bauern in diesen Tälern Hauptnutznießer des neu gegründeten Marktes, ersparten sie sich doch nun die weiten Anfahrtswege zu den bisherigen Marktstädten Haslach (im fürstenbergischen Besitz) und Gengenbach. Der Wochenmarkt und die vier Jahrmärkte weisen denn auch auf die hervorragende Stellung des Marktrechts in der Stadtrechtsverleihung hin(34).

IV. Politische Absichten der Gründer

Nach dieser Klärung der wirtschaftlichen, geographischen und lokalpolitischen Bedingungen der Stadtgründung bleibt die Frage noch offen, ob der oder die Stadtgründer weitergehende Interessen zu wecken oder zu sichern versuchten. Hierzu muß die bewegte Geschichte der ehemaligen Grafschaft Ortenau und des Klosters Gengenbach im 13. und 14. Jahrhundert berücksichtigt werden(35).

Das mit reichem Grundbesitz ausgestattete Kloster Gengenbach wurde 1007 dem Bistum Bamberg zugeteilt, das wiederum die Zähringer mit der Schirmvogtei und Hochgerichtsbarkeit beauftragte. Die Zähringer waren zu dieser Zeit auch Herren über die alte Grafschaft Mortenau, später Ortenau genannt. Nach dem Tod Bertolds V., dem Aussterben der Zähringer, entbrannte ein Streit um das Besitztum. Die kirchlichen Lehen fielen an Bamberg zurück, das Reichsgut wurde vom Kaiser eingezogen, der auch 1225 mit dem Klosterbesitz belehnt wurde. Damit war das Kloster reichsunmittelbar geworden. Diese Reichsunmittelbarkeit ging im Interregnum verloren, als der Straßburgische Bischof Heinrich von Stahleck die Ortenau samt Kloster Gengenbach in seinen Besitz brachte. Rudolf von Habsburg zog 1274 die Reichsgüter wieder ein, und 1275 entzog er auch das Kloster der Gerichtsbarkeit der Ortenauer Vögte und Schultheißen: die erneute Reichsunmittelbarkeit des Klosters Gengenbach und seines Besitzes, darunter die Stadt Gengenbach.

Wie wir schon zuvor gesehen haben, war Zell zu dieser Zeit ein Dorf des Reichsklosters Gengenbach, seit 1297 mit einem Klosterhof, einem Außenposten des Klosters, ausgestattet. Es erhebt sich nun die Frage, ob das Kloster Gengenbach mit der Gründung einer weiteren Stadt in seinem Einflußbereich mehr als nur lokale wirtschaftliche Interessen verfolgte. Das Kloster, Grundherr in Zell, war trotz seiner privilegierten reichsunmittelbaren Stellung ständigen Expansionsbestrebungen des Straßburger Bischofs ausgesetzt(36), der seine rechtsrheinischen Besitztümer zu vergrößern versuchte. Auch die Ortenau, unter anderem die Reichsstadt Offenburg, mußten sich ihm erwehren(37).

In den Auseinandersetzungen um die Macht im Reich hielt sich der damalige Straßburger Bischof Johann I. zu Friedrich dem Schönen, Gegenspieler und später Mitregent Kaiser Ludwigs. Es ist nun denkbar(38), daß Ludwig das Reichskloster Gengenbach wirtschaftlich stärken und politisch dem Reich sichern wollte, indem er eine weitere, nunmehr dem Reich unmittelbar zugehörende Stadt gründen wollte. Zweifellos waren die jungen Städte Gengenbach und Zell in dieser Zeit wirtschaftlich aufstrebend und brachten sowohl ihrem Grundherrn, dem Kloster, als auch ihrem "Landesherrn", dem Kaiser, einiges ein, so daß dieser das ortenauische Reichsgut samt den drei Reichsstädten schon bald nach der Gründung Zells verpfändete(39); schließlich landete es beim Bischof Berthold von Straßburg, wodurch nun die Gefahr akut wurde, daß die Straßburger Bischöfe ihren alten Traum, Herr über die Ortenau zu sein, verwirklichen können.

Tatsächlich gelang es Berthold 1358(40), ein Privileg Karls IV. zu erreichen, das ihm die Gerichtshoheit über die Städte verschaffte. Hier nun erhielten diese Hilfe des schon erwähnten Lambert von Burn, der 1366 ein weitergehendes kaiserliches Privileg erreichen konnte. Daß er damit auch Rechte der Abtei in den Städten Gengenbach und Zell aufgab, ließ ihn in der Geschichtsschreibung als selbstlosen Förderer des Städtebürgertums erscheinen(41). Andererseits jedoch war eine reichsstädtische Stellung der Städte auch dem Kloster weitaus nützlicher als eine landsstädtische unter dem Straßburger Bischof, behielt doch das Kloster somit, zumindest vorläufig, die beherrschende wirtschaftliche Stellung in einem mit kleinen und kleinsten Territorien übersäten Gebiet und sah sich nicht einem territorial geschlossenen Herrschaftsgebiet der Straßburger Bischöfe gegenüber.

V. Die Verfassung der neuen Stadt

"so hat der abt reht in der stat zu Gengenbach ze setzende einen schultheissen, einen meier über das wasser (Aufseher und Verwalter der Nutzung des Wassers, einschl. Fischfang), einen zinsmeister (Steuereinnehmer), einen bannwarten (Aufseher über die Allmendnutzung) und einen messner, die sullent ouch keinen dienst tun dem gerichte . . ., diese selben ambaht soll ein abt von Gengenbach ouch setzen zu Celle in der stat, als es von alter her reht und gewonlich ist gewesen."(42)

Dies ist in Kurzform das "Gengenbacher Recht", mit dem Kaiser Ludwig 1331 die neu gegründete Stadt ausstattete. Es verleiht dem Abt des Klosters das Recht, fünf Beamte, darunter den Schultheißen zu ernennen. Was Gengenbach angeht, so bedeutete dieser Spruch eine Erneuerung und Ausweitung einer Urkunde von 1275.

Insbesondere das Recht, den Schultheißen zu benennen, sicherte dem Abt seinen Einfluß in der Stadt, war dieser zumindest in der Anfangszeit der Reichsstadt Gerichtsherr und oberster Verwaltungsbeamter zugleich. Erst später war der städtische Rat mit den beiden Stättmeistern oberstes beschließendes Verwaltungsorgan, der Schultheiß lediglich Vorsitzender des Rats in Gerichtsangelegenheiten(43). Ein Vorschlagsrecht für das Schultheißenamt erkämpfte sich der Rat erst im 17. Jahrhundert(44). Somit nahm der "Reichsschultheiß", wie er offiziell genannt wird, eine vermittelnde Stellung zwischen dem Rat und dem Kloster als "Lehnsherr" ein; in der Anfangszeit der Stadt sicherlich mehr dem Kloster verpflichtet, da die städtische Ratsversammlung noch nicht die patrizische Abgeschlossenheit und materielle Unabhängigkeit besaß wie in den späteren Jahrhunderten(45).

Als Eigentümer des Grund und Bodens, auf dem die Stadt gebaut wurde, nahm der Abt hervorragende Rechte an der Allmendnutzung, am Jagd- und Fischereirecht sowie an der Holznutzung wahr, die später häufiger Anlaß von Rechtsstreitigkeiten waren(46). Dem klösterlichen Dinggericht unterstand die Stadt in allen Fällen, in denen Streitigkeiten über die Nutzung des Bodens und des Wassers zu entscheiden waren(47). Ansonsten konnte die Stadt nur vor dem Reichskammergericht belangt werden. Bürger der Stadt waren nur dem "ehrsamben Rat" untergeben, der auch die Todesstrafe verhängen und ohne Einspruchsrecht des Beschuldigten auch selbst durchführen konnte(48).

Überhaupt stellte diese Gerichtshoheit des Rates ein Kernstück der Stadtrechte dar; so ist es nicht verwunderlich, daß alle Pfandherren, denen die Ortenauer Reichsstädte vom Kaiser verpfändet wurden, dieses Recht immer wieder neu anerkennen mußten. Als 1358 der damalige Pfandherr, Bischof Berthold von Straßburg, genau dieses Recht durch ein Privileg Kaiser Karl IV. brach und die Zeller somit vor sein Gericht ziehen konnten, war damit der Bestand der Reichsstadt gefährdet. Das von Lambert von Burn 1366 erreichte gegenteilige Privileg stellte denn auch die Gerichtshoheit an die Spitze(49).

Zur wirtschaftlichen und politischen Stärkung der kleinen Reichsstadt erhielt Zell noch die Landstäbe Nordrach, Biberach und Entersbach, während das Tal Harmersbach, bedingt durch einen anderen Pfandherrn, sich zum selbständigen Reichstal Harmersbach entwickelte(50).

Die Bewohner der Reichsstadt waren mit ganz unterschiediichen Rechtsstellungen ausgestattet(51).

Zunächst die Bürger in der Stadt und in der "Wacht", d.h. aus den Ansiedlungen unmittelbar vor den Toren der Stadt. In der damaligen Zeit waren dies v. a. wohl die Bewohner des alten Dorfes, soweit sie nicht dem Kloster unmittelbar zugehörten. Es kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, daß die Bürger in den ersten Jahrzehnten der Stadt fast ausschließlich von der Landwirtschaft lebten. Da ein beträchtlicher Teil der neuen Bürger sich aus nicht erbberechtigten Bauernkindern aus der Umgebung rekrutierte(52), werden diese Ackerbürger versucht haben, die vorhandene Fläche rings um die Stadt landwirtschaftlich zu nutzen. In diese Zeit fällt ein weiterer Höhepunkt der Rodungstätigkeit. Götz(53) kommt in seiner Arbeit zum Schluß, daß zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert der Höhepunkt der landwirtschaftlichen Nutzung der Flächen im Harmersbach- und Nordrachtal erreicht war.

Zu diesen Ackerbürgern mögen sich schon früh Handwerker gesellt haben, denn schon die ersten Auseinandersetzungen mit dem benachbarten Reichstal Harmersbach drehten sich um das Recht der Harmersbacher auf eigene Handwerker. Diese wurden ihnen aber erst im 16. Jahrhundert zugestanden(54). Diese Ackerbürger und Handwerker waren die Träger der Verwaltung und Verteidigung der Reichsstadt. Nur sie hatten Zugang zu den Ämtern, v. a. zum Rat und sie unterstanden in Straf- und Zivilgerichtssachen dem Rat als zuständigem Gericht; auch waren sie zum Dienst in der Bürgerwehr (siehe Th. Kopp "Die Zeller Schützen") verpflichtet. Sie waren an der Allmendnutzung beteiligt, gemeinsam mit dem Kloster und dessen Leuten; in Streitigkeiten darüber entschied jedoch noch bis ins 15. Jahrhundert hinein das klösterliche Dinggericht(55).

Damit ist schon ein weiterer Teil der Bewohner angesprochen: die Eigenleute des Klosters, darunter die vom Abt eingesetzten Beamten und die Verwalter des Klosterhofes und deren Gesinde. Sie unterstanden in nichts der städtischen Gerichtsbarkeit und waren zunächst auch steuerfrei(56).

Die Bewohner der Landstäbe waren fast ausschließlich abhängige Bauern, die keinen Zugang zu öffentlichen Ämtern in der Stadt hatten. Lediglich zu Aufgaben in den Stäben wurden sie vom Rat herangezogen. Auch hatten sie der Stadt gegenüber Frohnden zu leisten. Von der Allmendnutzung waren sie ausgeschlossen. Erst nach einem Aufstand in Nordrach hatten sie das Recht, sich als "Junger Rat" an der städtischen Politik zu beteiligen, wenngleich auch nur sehr beschränkt(57).

Wir sahen, daß das Jahr 1366 den Abschluß einer Entwicklung Zells vom klösterlichen Dorf zur Stadt "in des Reiches Schutz und Schirm" darstellte, gleichzeitig aber die zahlreichen verwickelten Rechts- und Grenzstreitigkeiten bereits begründete(58), entstanden doch auf Grund fehlender landesherrlicher Autoritäten zahlreiche kleine und kleinste Territorien auf engsten Raum, wobei jedes über seine Rechte eifersüchtig wachte.

Literaturverzeichnis:

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E. Zehe, Die Städte des Schwarzwaldes. (Diss.). Erlangen 1930.

Anmerkungen:

1.) Darüber berichtet Johann Meyerhoffen im Stadtbuch von 1682. Von diesem Stadtbuch sind lediglich zwei Exemplare vorhanden, eines im GLA und eines im Zeller Stadtarchiv.  
2.) Alois Siegel, Hermann Schneider-Strittmatter, Siebenhundertjahrfeier der Reichsstadt Zell (Festschrift). Zell a. H. 1957.  
3.) Thomas Kopp, Wann wurde Zell Reichsstadt?, in: Schwarzwälder Post v. 27.2.70.  
4.) Rudolf Schirmer: Die städtischen Siedlungen des Obermaingebietes und des Fichtelgebirges. (Diss.) Erlangen 1930.  
5.) Godehard Grimm, Geschichte der Stadt Zell a. H., in: Badische Heimat, 1969, 49. J., Heft 4, S. 413 ff.
Dieter Kauss, Die mittelalterliche Pfarrorganisation in der Ortenau, Freiburg 1970, S. 78.  
6.) Edith Zehe, Die Städte des Schwarzwalds, (Diss.). Erlangen 1930.  
7.) Godehard Grimm, Zell am Harmersbach. Versuch einer Stadttopographie mit dem Schwerpunkt auf der Bevölkerung und Wirtschaft des neunzehnten und zwanzigsien Jahrhunderts, Zell a. H., 1970.  
8.) Kauss, a. a. O., s. 133; Siegel, Schneider-Strittmatter, a. a. O. S. 43.  
9.) G. Grimm, Geschichte ... S. 416.  
10.) Zum Kloster Gengenbach: Reinhard End, Das Benediktinerkloster in Gengenbach, in: Wolfgang Müller (Hrsg.), Die Klöster der Ortenau. Die Ortenau 58. / 1978, S. 215 - 242.
Karlleopold Hitzfeld, Die wirtschaftlichen Grundlagen der Abtei Gengenbach, in: Die Ortenau 38. / 1958, S. 50 - 69.
Hansmartin Schwarzmaier, Die Klöster der Ortenau und ihre Konvente in karolingischer Zeit, in: ZGO 119 / 1971.  
11.) Wirtembergisches Urkundenbuch Bd. I. Stuttgart 1849, S. 7 - 9.  
12.) Albert Krieger, Zell, in: Topographisches Wörterbuch des Großherzogtums Baden, Bd. II. Heidelberg 1905.  
13.) Regesten der Bischöfe von Straßburg. Bd. II. Innsbruck 1928. S. 4.  
14.) G. Grimm, Geschichte ... S. 416.
Heinrich Veit, Verfassung und Verwaltung der Reichsstadt Zell, (Diss.) Freiburg 1923, S. 9 sowie Anmerkung 14.  
15.) Veit, a. a. O., S. 8 - 9.  
16.) Veit, a. a. O., S. 11.  
17.) GLA, Selektion der Kais. und Kön, Urk. 122; Veit, a. a. O., Anm. 17.  
18.) So: Franz Disch, Chronik der Stadt Zell, Lahr 1937.  
19.) Lünig, Reichsarchiv, Spicil, eccl. III: S. 289 ff., zitiert bei Veit S. 12.  
20.) Grimm nennt als Beispiel Freiburg.  
21.) Grimm, Geschichte ... "S. 418 - 419".  
22.) MG LL IV. Bd. 6, Nr. 848.  
23.) Ludwig Heizmann, Zell und dessen Hoheitsgebiete in der Geschichte, Offenburg 1923. S. 12 / 13; Veit, a. a. O., S. 28.  
24.) GLA, Selektion der Kais. und Kön. Urk. 158; Veit, a. a. O., S. 24.  
25.) Veit, a. a. O., S. 55 ff.  
26.) Böhmer-Huber, Regesten Nr. 4283 (Urkunde Zell beireffend).  
27.) Zehe, Die Städte des Schwarzwaldes. (Diss.). Erlangen 1930.  
28.) Diese Argumentation wird von Veit begründet und von Grimm fortgeführt. Stadttopographie, S. 143.  
29.) Grimm, Stadttopographie, a. a. O. sowie Albert Götz, Untersuchungen über die bäuerliche Siedlung und Wirtschaft in den Tälern der Wolf, des Harmersbaches und der Nordrach. (Diss). Freiburg, 1956.  
30.) Dennoch ist sich die Forschung hierüber einig: Grimm, Veit und Hitzfeld kommen zu diesem Schluß.  
3l.) Grimm, Stadttopographie ... S. 28 ff., Veit, a. a. O., S. 26.  
32.) Disch, Chronik ..., S. 283 ff.  
33.) Grimm, Geschichte ..., S. 421 - 422.  
34.) Grimm, Stadttopographie ..., S. 22.  
35.) Grundlegende Arbeit hierzu: E. Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes und der angrenzenden Landschaften. Straßburg 1892.  
36.) Grimm, Geschichte ..., S. 419.  
37.) Veit, a. a. O. S. 14 ff.  
38.) Diese denkbare Möglichkeit nimmt Grimm als sicher an. Geschichte ..., S. 419.  
39.) Über die Verpfändungen: Veit, a. a. O., S. 53 ff. - Grimm: "Geschichte ...," S. 422 - 423. Gothein, Wirtschaftsgeschichte S. 228 ff.  
40.) W. Anm. 25.  
41.) Näheres zu Lambert: W. Müller (Hrsg.), Die Klöster der Ortenau, in: Die Ortenau 58. / 1978. S. 223 - 225.  
42.) W. Anm. 4.  
43.) Veit, a. a. O., S. 118 ff. - Disch, Chronik, S. 9.  
44.) Disch, Chronik, S. 289.  
45.) Disch, Chronik, S. 13 - 17. - Veit, a. a. O, S. 104 - 111.  
46.) Disch, Chronik, S. 113 ff. - Veit, a. a. O., S. 154 ff.  
47.) Veit, a. a. O., S. 38 - 39.  
48.) Veit, a. a. O., S. 111 - 118, - Disch, Chronik, S. 20 - 40.  
49.) Die Urkunde ist abgedruckt in der Schrift: "Beschreibung der in der Reichs-Stadt Zell a. / H. den 11. Decembris 1760 entstandenen Empörung und Aufruhr, auch Untersuchung der Ursachen, welche die Aufrührer vorschützen", Straßburg, 1761.  
50.) Zum Reichstal Harmersbach vgl. E. Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes ..., S. 220 ff.  
51.) Disch, Chronik S. 41 - 45; - Veit, Verfassung und Verwaltung ..., S. 136 - 145.  
52.) Grimm, Stadttopographie ...; S. 9.  
53.) Götz, Untersuchungen ..., S. 37 ff. u. S. 114 ff.  
54.) Disch, Chronik, S. 46 u. S. 328.  
55.) W. Anm. 47.  
56.) Veit, a. a. O., S. 37.  
57.) Disch, Chronik, S. 17.  
58.) Das Stadtbuch von 1682 bringt eine Fülle von Abmachungen zwischen Zell u. seinen Nachbarn, um solche Konflikte zu vermeiden. Vgl. außerdem Disch im Kapitel "Zell und seine Nachbarn" S. 315 - 358.  

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