Geschichte der Herrschaft Hohengeroldseck


Geschichte der Herrschaft Hohengeroldseck (aus Landesarchiv BW - Bestand 10911)

Die 1819 von Baden erworbene Herrschaft Hohengeroldseck bzw. "Grafschaft Geroldseck" ist in ihrem territorialen Bestand im wesentlichen das Herrschaftsgebiet der Herren von Geroldseck zu Hohengeroldseck, wie es bis zum Tod des letzten Herrn von Hohengeroldseck 1634 bestanden hat. Es setzte sich zusammen vor allem aus den zum Schloss Hohengeroldseck gehörigen Vogteien Schönberg und Prinzbach, aus den Vogteien Seelbach mit Steinbach und Kuhbach, Schuttertal, aus dem halben Stab zu Reichenbach und dem Schloss Dautenstein. 1277 war der Besitz des Hauses Geroldseck in die obere (Hohengeroldseck) und die untere Herrschaft (Lahr-Mahlberg) geteilt worden. Die untere Herrschaft mit den Herrschaftsmittelpunkten in Lahr und Mahlberg blieb bis zum Aussterben der Linie Geroldseck-Lahr 1426 in deren Besitz. Über eine Erbtochter kam sie an die Grafen von Moers-Saarwerden, die jedoch die eine Hälfte 1442 an Markgraf Jakob von Baden veräußerten. Von den Moers-Saarwerden kam die verbliebene Hälfte an die Grafen von Nassau. Die Herrschaft blieb jedoch bis 1629 formal ungeteilt. Damals erhielt das katholische Haus Baden-Baden, dem bei der Teilung Badens 1535 der Anteil an der unteren Herrschaft zugefallen war, die Herrschaft Mahlberg, das protestantische Haus Nassau(-Saarbrücken) hingegen die Herrschaft Lahr. 1803 fiel auch der nassauische Teil an Baden.

Herrschaftsgebiete der Herren von Hohengeroldseck - Entwurf und Zeichnung Walter Rauen - Geroldsecker Land, Heft 16 - 1974 - Friedrich Facius
Herrschaftsgebiete der Herren von Hohengeroldseck - Entwurf und Zeichnung Walter Rauen - Geroldsecker Land, Heft 16 - 1974 - Friedrich Facius

Die Akten Lahr-Mahlberg in Abt. 117 bestehen einerseits aus dem baden-badischen, baden-durlachischen (1594 - 1622 Inhaber des baden-badischen Anteils, 1659 - 1727 Inhaber des nassauischen Anteils) und badischen Schriftgut, andererseits aus den aus Idstein extradierten nassauischen Archivalien. Die Urkunden Lahr- Mahlberg in Abt. 27 umfassen auch die in baden-durlachischen Besitz gelangten Urkunden hohengeroldseckischer Provenienz. Die Linie Hohengeroldseck nannte sich seit 1524 "Herren von Hohengeroldseck und Sulz", um den Anspruch auf die Güter der um 1480 ausgestorbenen Linie Geroldseck-Sulz (vgl. den Bestand A 169 Herren von Geroldseck im Hauptstaatsarchiv Stuttgart) auch im Titel geltend zu machen. Das Schloss Hohengeroldseck befand sich mit den Vogteien Schönberg und Prinzbach 1486 bis 1504 in kurpfälzischer Hand. Dieser Teil der Herrschaft wurde 1526 dem Haus Österreich zu Lehen aufgetragen. Nach dem Tod Jakobs von Hohengeroldseck 1634 fiel der allodiale Teil der Herrschaft zunächst an seine Tochter Anna Maria Gräfin von Solms. Da sich Adam Philipp von Cronberg eine Anwartschaft auf die Reichs- und österreichischen Lehen der Herrschaft hatte sichern können, entzog Österreich 1635 der nunmehr verwitweten Erbtochter die gesamte Herrschaft. Anna Marias Versuche, eine Trennung der Lehen von den Eigengütern herbeizuführen, schlugen fehl. Nach ihrem Tod 1649 verfocht ihr - seit 1644 - zweiter Gemahl und Alleinerbe Markgraf Friedrich V. von Baden-Durlach die Ansprüche auf das Hohengeroldsecker Allod weiter. Von 1650, dem Datum seiner Mündigkeit, bis zu seinem Tod 1692, regierte Graf Kraft Adolf Otto von Cronberg über Hohengeroldseck. Nachdem Baden-Durlach durch weitgespannte diplomatische Aktivitäten keinen Schritt weitergekommen war und dies, obwohl die Hohengeroldsecker Sache 1648 in das Instrument des Westfälischen Friedens Eingang gefunden hatte, nahm Baden-Durlach nach dem Tod des Cronbergers 1692 die Herrschaft in Besitz. Doch bereits 1697 wurde der Markgraf auf Betreiben von Reichsfreiherr Carl Caspar von der Leyen, dessen Familie seit 1677 eine Anwartschaft auf Hohengeroldseck innehatte, mit Waffengewalt wieder vertrieben.

Die Leyen erhielten aufgrund des Besitzes von Hohengeroldseck den Reichsgrafenstand und blieben bis 1813 hier souverän. 1806 bildete das Territorium aus sieben Dörfern mit kaum 4.500 Einwohnern den kleinsten Mitgliedsstaat des Rheinbundes. 1815 wurde Hohengeroldseck für Österreich in Besitz genommen, 1819 wurde es von Baden erworben. Bis sie 1831 im badischen Amt Lahr aufging, blieb die Grafschaft Hohengeroldseck als "Provisorisches Amt Hohengeroldseck" mit Seelbach als Verwaltungssitz bestehen.


Karl List: Der Aufstieg der Herren von Geroldseck im Zuge staufischer Politik (Geroldsecker Land, Heft 11 - 1968/69) Seiten 10 - 18


Die Hand der Bischöfe von Straßburg lag seit karolingischer Zeit auf der Ortenau, besonders auf dem Raum zwischen den Klöstern Schuttern und Ettenheimmünster, für die Orte Dinglingen, Burgheim, Kippenheim. Die römischen Plätze Kippenheim und Burgheim waren ebenso durch einen direkten Weg verbunden, wie beide Orte mit dem römischen Dinglingen. Dort, wo der alte Heerweg von Kippenheim kommend die Niederung des unteren Schuttertales kreuzt, finden wir in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts die Wasserburg Lahr. Um die Jahrtausendwende sitzt überall noch der alemannische Adel auf seinen Höfen. Erst im 11. Jahrhundert beginnt in größerem Umfang der Burgenbau, der aber dem freien Adel nur zugestanden wird, sofern er Lehensträger des Königs oder eines weltlichen oder geistlichen Fürsten ist. Der Vogt Hermann von Burgheim, der im Jahre 1035 die alte Kirche in Burgheim wiederherstellte, ist ein Lehensmann des Bischofs von Straßburg, ob er ein Geroldsecker ist, bleibt ungewiß - Geschlechternamen gab es noch kaum. Doch schon drei Jahrzehnte später tritt ein Walter von Geroldsegga als Zeuge einer Schenkung Bertholds von Staufenberg an das erneuerte Kloster Hirsau auf. Er ist wohl der erste urkundlich genannte des ortenauischen Geschlechts, auch sogleich mit dem Leitnamen Walter. Hundert Jahre später (1144, 1161, 1165) erfahren wir von einem Konrad von Geroldseck, der als straßburgischer Canonicus und Chorbischof auf der bischöflichen Merburg (bei Schutterwald) haust. Hier zeigt sich schon die enge Beziehung unseres Edelgeschlechts zum Straßburger Bistum. Die Geroldsecker haben längst ihre Burg auf dem Rauhkasten, der damals wohl Geroldseck hieß. In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts baut ein Zweig der Familie eine Burg auf einem Kegel im Diersburger Tal; sie nennen sich die Herren von Tiersberg. Über die Ortenau aber gebieten die Herzöge von Zähringen und wer nicht zu ihren Vasallen zählt, steht hier im Schatten.

Am 18. Februar 1218 starb der letzte Herzog von Zähringen, Berthold V. Das politische Gefüge der Ortenau kommt ins Wanken, denn der Herzog hatte keine männlichen Erben. Was von den zähringischen Gütern in der Ortenau Eigenbesitz war, was ursprünglich Kronlehen oder Lehen geistlicher Territorialherren - der Bischöfe von Bamberg und Straßburg - entstammte, das ließ sich wohl schon damals kaum noch entwirren. Für die Staufer, zwischen deren angestammten Grundherrschaften in Schwaben und im Elsaß die Ortenau bisher als lästiger Sperriegel lag, war jetzt die Stunde gekommen, die seit je erstrebten Brücken zwischen den staufischen Stammländern zu schlagen. Friedrich II. von Hohenstaufen - damals noch König - legte sofort die Hand auf die Ortenau. Aber nicht nur die Reichs- und Kirchenlehen nahm Friedrich zurück an die Krone, auch die Grafschaftsrechte in der Ortenau behielt er selbst.

Friedrich II. war sich wohl bewußt, daß er mit seinen Eingriffen zwar altem Lehensrecht folgte, indem er die Kronlehen zurücknahm, doch waren seit langem überall aus Lehensverhältnissen quasi Besitzverhältnisse geworden, und die Erben der Zähringer mußten Friedrichs Vorgehen als tiefe Kränkung und bitteres Unrecht empfinden, zumal ihnen nicht nur solche Erbvogteien wie die über St. Georgen und das Kloster Tennenbach genommen wurden, sondern auch zähringische Allodien. Den Herzögen von Teck kaufte Friedrich ihre Erbansprüche ab, die Erbansprüche des Grafen Egeno von Urach, der mit Agnes, der Schwester des verstorbenen Herzogs von Zähringen, vermählt war, wies er zurück und versagte ihm auch die Herzogswürde. Noch während Friedrich in Deutschland weilte, kam es zur offenen Fehde der Uracher Grafen gegen den großen Staufer. Wie begegnete Friedrich dieser Feindschaft?

Noch im November des Jahres 1218 ordnet der künftige Kaiser persönlich die politische Verwaltung der Ortenau. Auf Schloß Mahlberg versammelt er die Herren der Ortenau um sich. Da ist der Markgraf von Baden, der wegen der Bergrechte mit den Urachern im Streit liegt, außer diesem sind kleinere Dynasten anwesend, Edelfreie und ehemalige zähringische Ministeriale. Zu den kleinen Dynasten zählt Heinrich von Geroldseck, der Herr der Burg über dem Kinzig- und Schuttertal. Als freier Edelmann war der Geroldsecker Herr seiner Entschlüsse und seiner politischen Entscheidungen. Ihm ging es um die Mehrung seines Hauses. Konnte er seine Chancen bei den Erben der Zähringer finden? Die Geroldsecker hatten zweihundert Jahre im Schatten der Zähringer gelebt; ein Aufstieg war ihnen bis dahin nicht möglich gewesen. Rückendeckung hatten sie wohl nur beim Bischof von Straßburg gefunden, der Verbündete östlich des Rheins brauchte. Die Geroldsecker konnten sich in dieser Novemberstunde auf Schloß Mahlberg nicht neutral verhalten. Es hieße auch, die Königsmacht mit all dem Glanz, den sie ihrer Gefolgschaft verlieh, verkennen und eine große Zukunft verscherzen. Zweifellos brauchte in jener Stunde der Kaiser - der mit seinen Plänen schon in Italien weilte - in Deutschland treue und potente Gefolgsmänner; Heinrich von Geroldseck aber brauchte Ausdehnungsmöglichkeiten und Rechtstitel. Das konnte nur die Krone bieten, und nach Lage der Dinge war es nur auf Kosten der Zähringer zu erreichen.

Trotz seiner Feindseligkeiten nimmt Friedrich II. den Grafen Egeno im Sommer 1219 wieder in Gnaden an und gibt im Vertrag vom 6. September 1219 einiges zurück, anderes stellt er in Aussicht, aber alle Güter und Vogteien, die vom Reich zu Lehen waren, bleiben in der Hand des Staufers, auch die Stadt Villingen. So wundert es nicht, daß schon im Sommer 1220 der Graf von Urach - diesmal im Bündnis mit dem Grafen Theobald von der Champagne - gegen den Staufer zu Felde zieht. Friedrich ist bereits auf dem Wege nach Italien. Die Führung der deutschen Lande hat er in die Hand seines Sohnes gelegt, den er zuvor zum deutschen König - Heinrich VII. - krönen ließ. Ein Bruder des Grafen Egeno V., der als päpstlicher Legat für Deutschland weite Beziehungen hat, Konrad von Urach, vermittelt zwischen dem Kaiser und dem streitbaren Grafen Egeno im Jahre 1224. Der Kaiser hat nun auch dem Bischof Eckbert von Bamberg für 4.000 Mark Silber die einst zähringischen Lehen abgekauft. Die Vogtei über Schuttern hat er längst den Geroldseckern, den Herren von Tiersberg übergeben. Die Abtei wehrte sich zwar dagegen, und erst im Jahre 1235 wurden die Differenzen zwischen dem Kloster und ihren Vögten geschlichtet. Des Staufers Absicht war ohne Zweifel, den Uracher Grafen mit seinen Ansprüchen auf das zähringische Erbe zu isolieren; so darf man annehmen, daß er aus diesem Grunde den Bischof Berthold von Straßburg mit ehemals zähringischen Krön- und Kirchenlehen in der Ortenau belehnte. Worum es sich im einzelnen handelt, wissen wir nicht, aber wir finden den Bischof später im Raume Lahr begütert. Egeno V. zieht wiederum zu Felde. Er erhebt Ansprüche auf das Nimburger Erbe, das der Kaiser auch dem Bischof überließ. Gemeinsam mit dem Grafen von Pfirt, der wegen des Dagsburger Erbes mit dem Bischof im Streit liegt und unter Billigung König Heinrichs stellt sich der Uracher zum Kampf. Die bischöflichen Truppen schlagen jedoch die Verbündeten am 8. Juni 1228 in der Schlacht bei Blodelsheim. Auf des Bischofs Seite kämpft Graf Albrecht von Habsburg, der Schultheiß von Rufach, vermutlich aber auch Markgraf Hermann von Baden und die Geroldsecker. Die Parteigängerschaft des Markgrafen ergibt sich aus dem Streit mit dem Uracher wegen der Bergrechte; die Herren von Geroldseck dürften kaum neutral geblieben sein, weil ein Sieg des Grafen Egeno das politische Gefüge der Ortenau erneut ins Wanken gebracht hätte. Walter I. von Geroldseck ist zu dieser Zeit etwa 23 Jahre alt; ob Heinrich der Alte noch lebt, ist unbekannt. Urkundlich haben wir keine Hinweise auf eine Teilnahme der Geroldsecker an diesen Händeln - das Geroldsecker Archiv ist früh verloren gegangen - aber die politische Tatkraft eines Walter I. wußte jederzeit die Interessen des Hauses Geroldseck wahrzunehmen und bei Blodelsheim standen diese Interessen auf dem Spiel; zudem gehörte zum umstrittenen Nimburger Erbe wohl auch die Vogtei über das Kloster Schuttern, welches unter Abt Fridgerus (1162 - 1187) durch den Vogt und späteren Kreuzfahrer Berthold von Nimburg ebenso bedroht wurde, wie später Abt Heinrich I. (1215 - 1240) durch die neuen Vögte (Theobald von Geroldseck). Die Mitwirkung der Geroldsecker bei dieser Auseinandersetzung ist aber allein schon dadurch gesichert, daß sie die Ortenau nach Süden absicherten - mit ihrer Wasserburg in Lahr. Die Entstehungszeit dieser Burg lag bisher im Dunkeln, urkundlich wissen wir von ihr erst seit 1250. Eine Untersuchung der noch vorhandenen Teile dieser einst mächtigen Burg, die der Verfasser vornahm, führte zu nachstehenden Aufschlüssen.

An der Wasserburg Lahr haben etwa achtzig Steinmetzen gearbeitet. Da ihre Zeichen über den ganzen Bau verteilt gefunden wurden, ist die Burg in einem Zuge und schnell erbaut. Die Zeichen und auch die architektonischen Stilelemente weisen in die Zeit zwischen 1220 und 1235. Eine große Anzahl der gefundenen Steinmetzzeichen findet sich an staufischen und bischöflich-straßburgischen Bauten. Die außergewöhnlich große Zahl von Steinmetzen läßt daher auf die Beteiligung staufischer und bischöflicher Bauhüttenleute schließen. Im gesamten Oberrheingebiet gibt es keine Burg, die mit so vielen Bauleuten nach einem einheitlichen Plan und vermutlich in so kurzer Zeit errichtet wurde. Der Aufwand zu diesem Bau muß außerordentlich gewesen sein, entspricht doch der Zahl der Steinmetzen eine ebensolche der Maurer und Steinbruchleute. Es muß in Frage gestellt werden, ob die Herren von Geroldseck in dem in Betracht kommenden kurzen Zeitraum allein diese Leistung vollbringen konnten. Entscheidend aber ist, daß sie ohne des Kaisers Zustimmung in der Ortenau - zwischen den staufischen Burgen Mahlberg und Ortenberg - keine Burg bauen konnten. Von 1220 bis 1240 erfolgen von neuem zahlreiche staufische Burgenbauten und Städtegründungen im Elsaß. Die staufische Verwaltungsorganisation erfährt durch den Schultheißen Wolfhelm von Hagenau einen großartigen Ausbau (H. Büttner). Dieser Ausbau erstreckt sich auch auf die Ortenau, wo Wolfhelm auch die Stadt Offenburg befestigte. "In den damals entstandenen Burgen wuchs mit den Rittern und Ministerialen - den eigentlichen Stützen der Hohenstaufen - eine selbstbewußte Schicht empor. Ihre Söhne und Enkel bauen mit dem Zusammenbruch der staufischen Macht ihre Vormachtstellung in der Ortenau auf" (H. D. Siebert). Der genannte Wolfhelm (Wölflin) war des Kaisers "Generalbauinspektor"; während seiner Wirksamkeit wurde die Wasserfeste Lahr erbaut.

Die Burg Lahr war nach den Begriffen der damaligen Zeit höchst modern. In ihrer Grundkonzeption nimmt sie viele Burgen vorweg, die Friedrich II. später bauen ließ. So spricht die Regelmäßigkeit der Anlage und der Einsatz staufischer Bauhüttenleute für eine persönliche Anteilnahme des Kaisers ebenso, wie sein politisches Interesse an dieser Feste, die ja im staufischen Machtbereich entstand. Betrachten wir noch die militärische Bedeutung der auf dem Straßenkreuz Oberehnheim - Villingen, Freiburg - Offenburg liegenden Burg, so leuchtet ein, daß sie ein Stein im politischen Spiel des Staufers war. Aber auch der Bischof von Straßburg mußte an der Burg interessiert sein, zumal er nach Erhalt der königlichen Lehen in der Ortenau wieder festen Fuß gefaßt hatte. Der Kaiser und der Bischof standen hier gegen die Grafen von Urach-Freiburg, und die Herren von Geroldseck standen auf ihrer Seite. Das bedeutet: in ihrem Dienst. Der Kaiser und auch der Bischof blickten vom Elsaß auf die Ortenau; die Burg in Lahr und das Schloß Mahlberg wären isoliert gewesen, hätte nicht ein geschützter Rheinübergang die Verbindung gesichert. Es war die Reichsfeste Schwanau. Auch sie finden wir später in der Hand der Geroldsecker, die sie aber weder dem Staufer, noch dem Bischof genommen haben können. Diese königliche Zoll- und Straßenburg hatten sie nur als adelige Burgmänner nach den jahrzehntelangen Wirren in ihren Besitz überführen können. Auch in Schwanau standen die Geroldsecker im Auftrag und im Dienst eines militärischen Systems. Mit großem politischem Geschick muß Walter I. von Geroldseck verstanden haben durch die Spannungen, die zwischen den Staufern und dem Bischof in Straßburg zeitweilig bestanden, nicht zu Schaden zu kommen. In der Schlacht bei Blodelsheim lag schon die Sympathie König Heinrichs bei dem Grafen von Urach, doch die sich mehrenden Differenzen zwischen König Heinrich und seinem kaiserlichen Vater Friedrich II. neutralisierten die Gefahr, die für die Geroldsecker aus der Freundschaft des Königs zu Egeno V. von Urach-Freiburg entstehen konnte. Graf Egeno ist in den Jahren nach 1230 ein eifriger Parteigänger des Königs geworden, er ist häufig im königlichen Hoflager und muß König Heinrich in seinem Widerstand gegen des Kaisers Warnungen gestärkt haben. Viele Urkunden des Königs sind von Egeno mitbezeugt, noch im Jahre 1234 gibt König Heinrich dem Grafen von Urach-Freiburg alle Rechte an den Flüssen Rench, Wiese, Brieg, Kinzig (bis Gengenbach), Mühlenbach, Elzach, Dreisam, Breg und Donau (bis Immendingen) mit allen Bergrechten zu Lehen. Die Schutter ist aber nicht dabei, hier hatte der Geroldsecker die Bergrechte, und er konnte sie nur von Friedrich II. oder dessen staufischen Vorgängern haben. Im Frühjahr 1235 kommt es zur offenen Auflehnung König Heinrichs gegen seinen kaiserlichen Vater. Friedrich II. eilt, vom Markgrafen von Baden gewarnt, über die Alpen; der Aufstand bricht zusammen. Der unglückliche König Heinrich wird in italienischen Festungen jahrelang gefangen gehalten und stürzt sich 1242 auf einem Ritt durch das Gebirge mit seinem Pferd in den Abgrund. Die Anhänger des Königs trifft des Kaisers Zorn. Auf dem Hoftag in Mainz im August 1235 wird den Beihelfern des Aufstandes doppelter Schadenersatz auferlegt und der Reichs- und Kirchenbann wird über sie ausgesprochen. Noch nach des Königs Bußgang zum Kaiser hatte Graf Egeno auf seiner Burg Hohenurach Widerstand geleistet.

Wiederum erfahren wir nichts von der Rolle, die in dieser Staatsangelegenheit die Herren von Geroldseck spielten. Doch ein glücklicher Umstand gibt uns einen Hinweis: in diesen Tagen des Gerichts ist Walter I. im Gefolge des Kaisers. Auf der Rückreise nach Hagenau, vom Hoftag zu Mainz kommend, wird in Worms - etwa am 27. August - ein Rast- und Gerichtstag eingelegt. Verhandelt wird eine Klage des Klosters Gengenbach, vor allem gegen den königlichen Schultheißen Konrad von Offenburg. Dieser war in den Aufstand König Heinrichs verwickelt und kommt in der Folge elend ums Leben. Auf Seiten Gengenbachs stehen die Bischöfe von Straßburg und Bamberg und die Herren von Tiersberg-Geroldseck! Ein Bericht zählt die vornehmen Zeugen auf. Nach dem Wormser Kanoniker Heinrich von Leiningen werden als erste die "nobilis viris Walthero et Burchardo de Geroltsecke" genannt, ihnen folgen "domino Eberharde de Nürenberg, magistro Conrado et magistro Eberhardo clericis et capellanis nostris, Bertramno de Offenburg, Walthero qui dicitur Stollo de Genginbach et aliis quam pluribus". Daß es sich bei den genannten Geroldseckern nicht um Angehörige des Geschlechtes gleichen Namens vom Wasichen handelt, zeigt nicht nur der Leitname Walter; es sind auch - mit Ausnahme des Herrn Eberhard von Nürnberg aus dem Gefolge des Kaisers - alles Leute aus der Ortenau, was nur natürlich ist. Die Geroldsecker-Tiersberger sind also "kaiserlich"; nach Lage der Dinge handelt es sich um Walter I., der hier erstmals genannt wird. Nach einem mehrmonatigen Aufenthalt in Hagenau verließ der Kaiser im Sommer des Jahres 1236 Deutschland. Das deutsche Königtum blieb entscheidend geschwächt zurück; die Macht der Territorialfürsten war nicht mehr zu brechen. Auch des großen Kaisers Stern sank, als der Papst ihn im Jahre 1245 mit dem Kirchenbann belegte. In den deutschen Gauen wehrt sich jeder Dynast auf eigene Faust gegen Übergriffe Mächtigerer, sofern er nicht selbst die Gunst der Stunde wahrnimmt. Auch die unversöhnten Söhne des Grafen Egeno - der schon 1236 in der Verbannung starb - Heinrich von Fürstenberg und Konrad von Freiburg, mußten ihre Stunde gekommen sehen. Das Erbe der Staufer liegt dem Zugriff der Gegner offen, wie einst das zähringische Erbe. Doch in Straßburg hat ein kriegstüchtiger Bischof - Heinrich von Stahleck - das Regiment angetreten; er kommt den Erben der Zähringer zuvor. Im Bündnis mit Walter I. von Geroldseck nimmt er das untere Kinzigtal bis Haslach. Der Geroldsecker hat den Rücken frei, er zerstört die zähringische Ministerialenburg Lützelhard und besetzt im Vorgriff die Reichsfeste Mahlberg. Der Graf von Freiburg schlägt zurück. Graf Konrad hatte dem Straßburger Bischof vorübergehend die Stadt Ettenheim nehmen können; 1250 überfällt er die Burg Lahr und nimmt darin Walter I. mit seinem Sohn Hermann gefangen. Was sich für den Geroldsecker eigentlich zur Katastrophe hätte auswachsen müssen, hat seltsamerweise keine Folgen. Graf Konrad von Freiburg gibt Walter I. wieder frei und dieser bleibt auch im Besitz des Schlosses Mahlberg! Der Reichsschultheiß Walter von Mahlberg hütet weiterhin das Schloß - für den Herrn von Geroldseck, der mit seiner Gemahlin noch Jahre später darin urkundet. Diese Ergebnislosigkeit der kämpferischen Bemühungen des Freiburger Grafen ist nur auf dem Hintergrund der politischen Beziehungen des Geroldsecker verständlich. Walter I. zweiter Sohn ist im Alter von 19 Jahren schon Domprobst beim Straßburger Bischof; dieser gehört - wie der Graf von Freiburg - zur päpstlichen Partei, doch hat er den längeren Arm.

Irgendwann haben sich die Freiburger doch gerächt. "Als man zalt hat nach Christi Geburt Dausendt und acht jar sind die Herren von Gerolzeck am mächtigsten gewesen. Haben die von Friburg mit ihrem Anhang die Stadt Brintzpach, so unter Gerolzecke gelegen, auf den Charfreitag geplündert und zerstört. Auf solches ist ein Krieg erwachsen - der Herrschaft von Gerolzeck erster Unfall." Was ist in dieser Nachricht aus der Chronik der Geroldsecker richtig? Falsch ist natürlich die Jahresangabe; im Jahre 1008 gab es weder die Burg Geroldseck, noch eine Stadt Prinzbach, beide sind frühestens nach 1245 entstanden, die Stadt Prinzbach um 1257. In diesem Jahre wurde viel Silber gefunden, was den Bau des Städtleins erst ermöglichte. Da die größte Niederlage des Hauses Geroldseck in der Schlacht bei Hausbergen im Jahre 1262 erfolgte, müßte der erste "Unfall" vordem geschehen sein. Wahrscheinlicher ist aber, daß Prinzbach erst um das Jahr 1308 überfallen wurde, denn nun verschwindet die Stadt aus den Urkunden, während noch 1262 ein Bürger der Stadt dem Bischof Walter in Straßburg 230 Mark Silber leiht.

Eine letzte Beziehung der Geroldsecker zu den Staufern erschließt sich uns aus dem Kaufvertrag, den Walter I. im Jahre 1265 mit dem jungen Konradin von Hohenstaufen schloß. Wir wissen, daß der Geroldsecker im faktischen Besitz des Schlosses Mahlberg war, wenn er auch kaum einen gültigen Rechtsanspruch darauf hatte. Durch unangreifbare Rechtstitel unsichere Besitztümer zu sichern, dafür war jetzt die Zeit gekommen. Die Staufer besaßen nicht mehr die Macht, ihre Rechtsansprüche überall durchzusetzen; die Fiktion, einen Vogt in Mahlberg zu haben, mußte ihnen genügen. Nun aber "kaufte" der Herr von Geroldseck das Schloß von dem jungen sizilischen König, der sich anschickte, ein Reich zu erobern und dabei das Leben verlor. Walter I. nennt den Enkel des großen Friedrich II. seinen Herrn und bittet um Bestätigung seines Lehens: "also daß er mirs lihet ze rechteme Lehene -".

Das ist nicht nur eine höfliche Form; es verrät auch die einst echte Beziehung des Geroldseckers zu seinem Lehensherrn, wenngleich das Lehensverhältnis längst ohne praktische Bedeutung gewesen sein wird. Als Walter I. von Geroldseck 1245 staufische Güter an sich nahm, hatte er kaum minderes Recht dazu, als andere Herren. Waren die Herren von Geroldseck aber in ihren Burgen in Lahr und Schwanau mit königlicher Zustimmung und in königlichem Dienst, so durften sie sich auch in dem angemaßten Besitz Mahlberg als Hüter des staufischen Erbes fühlen. Nach ihrer Niederlage bei Hausbergen 1262 wird ihnen Mahlberg nicht genommen. Selbst als König nimmt Rudolf I. das Schloß nicht an die Krone zurück und gibt es auch nicht seinem Verbündeten von 1262, dem Grafen von Freiburg. Und erneut bestätigt Kaiser Heinrich VII. im Jahre 1312 den Geroldseckern Schloß Mahlberg als "Reichslehen". Aus all dem wird deutlich, daß die Herren von Geroldseck mit den Staufern zur Territorialherrschaft gekommen sind - nicht gegen sie, wie die Geschehnisse des Jahres 1245 leicht glauben lassen. Denn des Bischofs und des Geroldseckers Gegner waren damals nicht die Staufer, sondern die Erben der Zähringer. Mit dieser Erkenntnis wird ein Schatten von der Person Walter I. genommen, der der größte unter den Geroldseckern war.

Geroldseck unter den Herren von Cronberg und von der Leyen und das Ende der Herrschaft von Oskar Kohler - Die Ortenau 1963, S. 72 ff.


Der Übergang der Herrschaft Geroldseck an das Haus Cronberg

Nach dem Tode Jakobs, des letzten Geroldseckers im Mannesstamm, und nach der gewaltsamen Vertreibung seiner Tochter Anna Maria aus ihren Gütern war der Weg frei zur Übernahme des Lehens durch die Familie Cronberg, der es schon seit Jahren zugesagt war. Denn bereits 1620, als nach menschlichem Ermessen der bald sechzigjährige Graf Jakob keinen männlichen Erben mehr erwarten konnte, war die Anwartschaft auf das Lehen Geroldseck dem Adam Philipp von Cronberg durch kaiserlichen Erlaß zugesprochen worden. Solche Zusagen von Lehen an adelige Herren wurden vom Kaiser gewöhnlich für "besondere Verdienste" gegeben. Die Beziehungen der Herren zum kaiserlichen Hof waren alt und traditionell gefestigt. Sie gehen zurück auf die Zeit Maximilians I. Später stand Hartmann von Cronberg den Kaisern Maximilian II. und Rudolf II. als Großhofmeister nahe, und unter Kaiser Mathias wurde Adam Philipp von Cronberg in den Reichsfreiherrenstand erhoben. Die 1620 gegebene Zusage auf das Lehen Geroldseck wurde ihm 1630 neu bestätigt, und die Bestimmung wurde hinzugefügt, daß mit der Übernahme von Geroldseck der neue Herr den Grafentitel führen und das Geroldsecker Wappen annehmen solle.

Das Geschlecht derer von Cronberg stammte aus dem Taunus. Durch die Heirat eines Philipp von Cronberg mit Catharina von Bach hatte es in der Ortenau Fuß gefaßt und war hier zu ansehnlichem Landbesitz gekommen. Doch handelte es sich dabei vorwiegend um Streubesitz, aber mit dem Erwerb des Geroldsecker Ländchens war die Möglichkeit zum Ausbau eines geschlossenen Gebiets gegeben, zumal damit die Aussicht auf die Herrschaft Mahlberg mit ihren 10 Ortschaften verbunden war. Es läßt sich daher leicht denken, daß von der Familie Cronberg die Auslösung der Lehenszusage mit allem Eifer betrieben wurde. Zunächst aber mußte sie sich in Geduld üben, und als dann der Große Krieg ausbrach und alles ins Unsichere warf, konnte niemand die weitere Entwicklung voraussagen. Fast überraschend rückte dann 1634 mit dem Tode Jakobs von Geroldseck und mit dem Siege der Kaiserlichen über die schwedisch-protestantische Partei (Nördlingen 1634) die Verwirklichung der Lehenszusage in greifbare Nähe. Adam Philipp hatte freilich inzwischen das Zeitliche gesegnet, und seine Witwe Sidonia geborene von Daun, Gräfin von Falkenstein, mußte für ihren noch unmündigen Sohn Kraft Adolf Otto stellvertretend handeln. Diese drängte auf Beschleunigung des Rechtsvorgangs, aber es dauerte immer noch zwei Jahre, bis die Inbesitznahme offiziell erfolgen konnte. Noch lagen Ordnung und Sicherheit darnieder, noch durchstreiften zügellose Landsknechtshaufen die Gegend.

Endlich, 1636, war es soweit, daß die Huldigung erfolgen konnte. Im August dieses Jahres wurden die noch vorhandenen Bauern der Herrschaft, nämlich die aus den Vogteien Prinzbach, Schuttertal, Schönberg, Seelbach, Reichenbach und zum halben Teil von Berghaupten, nach der Burg entboten. Dort, im unteren Vorhof, unter einer Linde, wurde "die Herrschaft Geroldseck mir allen ihren Leuten und Gütern, wie sie der letztverstorbene Lehensinhaber Jakob von Geroldseck innegehabt, genutzt und genossen ... dem Wohlgeborenen Grafen Otto, Herrn zu Cronberg, weiland Herrn Grafen Adam Philippsen zu Cronberg hinterlassenen ehelichen Sohn kraft seiner darauf erlangten Expectanz eingehändigt und übergeben", und zwar durch Friedrich Otto Fabri, kaiserlichen geschworenen Notarius und gräflich Cronbergischen Amtsverweser. Die vormalige Dienerschaft wurde größtenteils entlassen. Im Amt blieben der Wachtmeister (Burgvogt) auf Hohengeroldseck, der Forstmeister und der Jäger, da diese nicht so leicht zu ersetzen waren. Ihnen wurde aufgetragen, ihrer früheren Herrin Anna Maria innerhalb 14 Tagen aufzukündigen. Dann wurden sie auf den neuen Herrn verpflichtet. Damit war der Übergang der Herrschaft Geroldseck an das Haus Cronberg vollzogen, und es blieb abzuwarten, was die Zukunft bringen würde.

Der neue Herr

Um 1650 muß Kraft Otto Adolf für mündig erklärt worden sein und die Regierung selbst übernommen haben. Sein voller Titel lautete jetzt: Graf von und zu Cronberg, Hohengeroldseck und Falkenstein, Herr zu Poritschen, Barbey, Floerchingen und Aberheim. 1653 heiratete er die Gräfin Maria Francisca von Oettingen. Ob das Paar seinen Wohnsitz im Geroldseckischen nahm, ist ungewiß. Sie scheinen sich zunächst auf dem Gut Poritschen in Böhmen aufgehalten zu haben. Das erste Kind kam in Villingen zur Welt; es starb vier Wochen nach der Geburt.

Als Maria Francisca einige Jahre später bei dem Churfürsten Wilhelm, Erzbischof von Mainz, die Scheidungsklage einreichte, ist in dem Schreiben mehrmals von dem "insgemein bekannten ganz furiosen humor" des Grafen die Rede, der sich in Toben, Fluchen und Sakramentieren äußere. Und er hat offenbar seltsam Haus gehalten, der Graf von Cronberg, seiner näheren Umgebung das Leben zur Hölle gemacht und mit allen Nachbarn in Streit gelegen. Was an diesem "furiosen Humor" schuld war: die persönliche Veranlagung, die Zeitumstände, die Mutter, die ihrem Einzigen offenbar jeden Willen ließ, das wird sich heute schwer gegeneinander abwägen lassen. Am besten, man greift zu den äußeren Tatbeständen, die seine Regierungszeit im Geroldsecischen bestimmten, und diese waren freilich alles andere denn erfreulich.

Noch hatte das Ländchen an den Folgen des Krieges zu leiden. Langsam nur waren die Abgaben und Zehntlieferungen wieder in Gang gekommen, viel zu langsam für den ungeduldigen jungen Herrn. Der Wiederaufbau nahm die Kräfte der Menschen in Anspruch. Für den Grafen ging es vor allem darum, einen standesgemäßen Wohnsitz zu schaffen. Noch lag Neuendautenstein, die einst so herrliche Residenz, in Trümmern, Zeugnis einer wilden, zerstörerischen Zeit.

Indessen war es das Nächstliegende, hier anzusetzen und den Wiederaufbau in die Wege zu leiten. Im November 1655 besichtigte der kaiserliche Notar, von Offenburg kommend und begleitet von den Lahrer Zimmerleuten Huber und Lagay (?), die Mauerreste. Ihr Bericht gibt uns ein ungefähres Bild von dem damaligen Zustand der Ruine. Die Umfassungsmauern standen noch, und vor allem war die Frontmauer noch einigermaßen erhalten und "oben herumb, wo es am schwächsten" noch "ganz gut und frisch", Von den sechs welschen oder italienischen Giebeln hatte einer den Brand von 1636 überstanden. Huber schätzte die Kosten für Arbeitslöhne bei der Wiederherstellung auf 3.500 Gulden. Man rechnete mit einem Zuschuß der vorderösterreichischen Regierung in Innsbruck als Lehensherrin in etwa dieser Höhe. Das übrige, vor allem die Kosten für das Baumaterial, würde am Grafen hängenbleiben. Nur langsam ging der Aufbau vonstatten; er brachte sicher mancherlei Ärger für den Bauherrn mit sich.

Noch eine andere Sache war es, die den Grafen gleich von Anfang an nicht zur Ruhe kommen ließ. Es war der zäh und hartnäckig aufrechterhaltene Anspruch Baden-Durlachs auf das Gebiet, in dem sich einzurichten der Graf sich eben anschickte. Die Rechtslage war im Grunde klar. Baden-Durlach berief sich auf das Testament der Anna Maria, der letzten Geroldseckerin, in dem diese ihren zweiten Gemahl, Markgraf Friedrich V. von Baden-Durlach, zum Erben ihrer Güter eingesetzt hatte. Das alte Stammland um Hohengeroldseck war damit nicht gemeint. Es handelte sich um den Komplex, den sich Graf Jakob um Schloß Dautenstein geschaffen hatte und der juristisch gesehen als Allod, als Eigenbesitz, gelten mußte. Die österreichische Regierung aber hatte das ganze Gebiet in Bausch und Bogen als erledigtes Lehen an sich gezogen. Schon Friedrich V. hatte die Angelegenheit im Auftrag seiner Gemahlin auf den Verhandlungstisch von Osnabrück gebracht. Als Sache "De Baronatu Geroldseck" wurde sie dort zu den Akten genommen, dann aber unter der Frage der Zuständigkeit von einer Stelle zur andern verwiesen, vom Friedens-Exekutions-Convent zu Nürnberg an das Reichskammergericht, dann an das schwäbische Kreisausschreibamt, von dort an den kaiserlichen Reichshofsrat, und schließlich blieb sie am vorderösterreichischen Gericht in Freiburg hängen. Die Frage, was als Lehen und was als Allod anzusehen sei, war von den Juristen längst entwirrt worden, und es wäre wohl im Grunde nicht allzu schwer gewesen, zu einer Entscheidung zu kommen. Aber daran war der Gegenpartei nicht gelegen. Im Gegenteil: der Graf wendete alle möglichen Praktiken an, um eine solche Entscheidung zu hintertreiben oder möglichst lange hinauszuschieben. Immer wieder beantragte er Vertagung. War eine Verhandlung anberaumt, dann fehlte sein Bevollmächtigter, war dieser erschienen, dann genügten die ihm mitgegebenen Vollmachten nicht. Die Advokaten aber stellten immerhin ihre Schriftsätze auf, und die Akten häuften sich zu Bergen. 1669 schickte der Markgraf Friedrich VI. seinen Hofmeister Johann Elsner von Löwenstein nach Innsbruck, um durch dessen persönliche Vorsprache bei der vorderösterreichischen Regierung die Sache voranzutreiben. Es wurde nicht viel erreicht, die Verhandlungen gingen in der alten Weise weiter, und man geht wohl nicht fehl, wenn man annimmt, daß Habsburg die Haltung ihres Lehensträgers billigte und insgeheim damit einverstanden war. Ärger und Verdruß brachte die Sache dem Herrn von Cronberg auch so genug. Sie verbrauchte jedenfalls seine Kraft und seine Zeit und hinderte ihn an einer fruchtbaren Arbeit für sein kleines Reich. Amtmann im Geroldseckischen war damals Pistorius von Nidda. Er muß es mit seinem Herrn nicht leicht gehabt haben, andererseits genoß er dessen Vertrauen, denn der Graf überließ ihm über eine lange Amtszeit hin die Durchführung der mannigfachen außenpolitischen Gefechte.

Am schwersten aber hatte es mit dem unruhigen, immer aufgeregten Mann seine Gemahlin. Dem Inhalt der Scheidungsklage nach muß er ihr mit seinem "furiosen Humor" das Leben zur Hölle gemacht haben. Alles, was einer Frau in einer unglücklichen Ehe Böses widerfahren kann, ist darin anzutreffen: Schimpfworte, Mißhandlung, Bedrohung an Leib und Leben {in seinem Zimmer hätten "die fertig gehaltenen Pistolen" gelegen), unterstellter Giftmordversuch (das Gift habe ihm "ein frembder Italiener" verschafft). Der schlimmste Vorwurf aber, der ihm gemacht wird, ist der, daß er durch sein unsinniges Verhalten den Tod der beiden Kinder im Säuglingsalter verschuldet hat. Wenn auch nur ein Teil von dem, was die Scheidungsklage vorbringt, wahr ist, dann scheint die Behauptung glaubhaft, daß die Gräfin an der Seite ihres Gemahls "bald keinen Tag ohne die Vergießung vieler heißer Zähren verbracht hat".

Verwunderlich ist nach all dem, daß der Graf noch ein zweites Mal zum Heiraten kam. Als alternder Mann ehelichte er 1687 die Charlotte von Sayn und Wittgenstein, und diese zweite Frau muß ihn dann überlebt haben. Möglich, daß sich sein furioser Humor mit der Zeit etwas gelegt hat. Ein anderes aber ist sicher: die Zeit des Grafen Kraft Adolph von und zu Cronberg, Herrn zu Geroldseck,zu Poritschen, zu Barbey usw., ist ein wenig erfreuliches Kapitel in der Geroldsecker Geschichte.

Wilder Grenzstreit - Der Flaschenkrieg 1671

Eines der bezeichnendsten Ereignisse der cronbergischen Zeit ist der erbittert durchgeführte Grenzstreit zwischen der Herrschaft Geroldseck und der benachbarten Herrschaft Lahr. Die Beziehungen zwischen den beiden Herrschaften waren in verschiedener Weise belastet. Ein alter Erbschaftssereit, der im 15. Jahrhundert durchgefochten wurde, als Lahr-Malberg, die sogenannte untere Herrschaft, nach Aussterben der Linie Geroldseck-Lahr im Mannesstamme über die Frauenseite an die Grafen von Mörs-Saarwerden kam, gehörte der Vergangenheit an. Doch datieren die Gegensätze bis in diese Zeit zurück. Im Zuge weiterer Verschiebungen befand sich Baden-Durlach als Pfandherr seit 1659 im Besitz der Herrschaft Lahr, und eben dieses Baden-Durlach war, wie wir gesehen haben, der erbitterte Prozeßgegner des Herrn von Cronberg. Es kam der konfessionelle Gegensatz hinzu, indem die obere Herrschaft wieder katholisch geworden, die Herrschaft Lahr aber protestantisch geblieben war. Letzten Endes aber waren es die ungeklärten Grenzverhältnisse an sich, die zwangsläufig immer wieder zu Streitigkeiten führen mußten. Behauptung stand hier gegen Behauptung, und die Rechtsfrage sah so aus:

Lag, von Lahr aus gesehen, die eigene Grenze am sogenannten Gießenbach, oder war der näher bei Lahr auf der Straße von Kuhbach nach Lahr stehende sogenannte Frevelstein als Grenzzeichen anzusehen? Um diesen Frevelstein und die in der Nähe gelegene Sägmühle mit dem Säggäßlein konzentrierte sich nun der Streit der Meinungen. Der Frevelstein war zunächst Markstein der Jurisdiktion (Rechtshoheit). In einem alten Vertrag von 1569 heißt es, "daß der Stein, der auf der Straße bei der Gerbermühle steht, wo man von Lahr aus auf Kuhbach zugeht, und den die Lahrer den Frevelstein nennen, die Rechtsgewalt in Malefiz- und Hochgerichtssachen und dem, was damit zusammenhängt, scheiden soll, und was sich von dem erwähnten Stein gegen Lahr hin zutrüge, das sollen die gemeinsamen Herren von Lahr richten, was aber über den Stein hinaus in Richtung Geroldseck sich zutragen würde, das soll von den Herren von Geroldseck abgestraft und richterlich behandelt werden". An diesem Stein wurden dann die sogenannten Malefikanten ausgeliefert, je nach der Herrschaft, der sie zugehörten, und es lag nahe, ihn als Grenzstein anzusehen. Dahin ging jedenfalls die Geroldsecker Auffassung.

Dem stand nun die Tatsache gegenüber, daß Lahr durch einen Erlaß Kaiser Friedrichs III. aus dem Jahre 1471 ein Wegprivileg auf der Talstraße bis zum sogenannten Gießenbach jenseits Kuhbachs erhalten hatte und dafür zur Instandsetzung dieser Straße bis an den genannten Bach verpflichtet war. Dieser Sachverhalt wurde von seiten Lahrs dahingehend ausgelegt, daß "die Grenze des Lahrischen Territoriums beim Gießenbach liegt". Zur Bekräftigung dieses Anspruchs hatte der Burgheimer Bannwart die Auflage, jeden Morgen bis an den Gießenbach zu gehen und in seinem Wasser die Hände zu waschen, ein etwas eigenartiger Auftrag, sonderlich wenn man annimmt, er habe sich dieses Auftrags bei jedem Wetter entledigen müssen. Nun wollte Geroldseck wohl die Instandsetzungspflicht Lahrs an der Straße bis zum Gießenbach anerkennen, aber auf eine Bestätigung der Grenze im Sinne Lahrs ließ es sich nicht festlegen. Nach geroldseckischer Auffassung verlief die Grenze am Frevelstein und lag die Sägemühle in dessen Nähe "auf undisputierlich geroldseckischem Territorium".

Bezüglich der Rechte auf der Sägemühle und der Verhältnisse dort um 1670 ist folgendes vorauszuschicken. Besitzer der Mühle war damals der Lahrer Landschreiber Johann Georg Rauch. Den Betrieb der Mühle hatte er an einen sogenannten Bestandsmüller oder Mühlarzt verpachtet. Die Geroldsecker Rechte auf der Mühle sahen so aus: Der Müller war gehalten, bei dem fährlichen Ruggericht in Seelbach zu erscheinen. Er hatte an die Herrschaft Geroldseck jährlich drei Batzen zu zahlen und mußte ihr das herrschaftliche Bauholz um den halben Lohn schneiden. Nach Lahr hatte die Mühle als "dem Lahrer Spital zuständig" jährlich 8 Gulden 7 Schilling Bodenzins zu zahlen - was doch wohl auf Lahrer Grundrechte dort hinwies. Den Müller bestellte der jeweilige Besitzer im Einvernehmen mit seiner Herrschaft, für die in Frage stehende Zeit also, wie gesagt, der Landschreiber Johann Georg Rauch. Als aber der Streit zum Ausbruch kam, durfte Rauch nur noch auf Anweisung der Herrschaft handeln und geriet schließlich selbst zwischen die Mahlsteine der beiden Parteien.

Burg Hohengeroldseck in ihrer vollen Ausbildung mit Angabe der Hauptteile. Die 2 Hauptgebäude deuten uns an, daß es eine Mehrfamilienburg war
Burg Hohengeroldseck in ihrer vollen Ausbildung mit Angabe der Hauptteile. Die 2 Hauptgebäude deuten uns an, daß es eine Mehrfamilienburg war. Der stattliche Umfang weist auf die Macht des Geschlechts in seinen Glanzzeiten hin. Auch der Bergkegel war aus Sicherheirsgründen baumfrei. Zeigt noch eine äktere Form der Festungsbaukunst, die also später nicht modernisiert wurde.

Wie der Streit ausgelöst wurde: Im Grunde war doch alles durch das Herkommen geregelt, und auch der Vertrag über den Frevelstein war von beiden Seiten anerkannt. Weshalb also Streit, wenn man alles beim alten beließ? Ja, wenn man alles beim alten beließ! Aber da steckte eines schönen Tages, es war 1671, der Müller auf der Sägmühle einen Maien zum Fenster hinaus. Was ein solcher Maien bedeutete, wußte jeder, Er zeigte an: Hier wird Wein ausgeschenkt. Darüber hätte man sich nur freuen können, denn die Mühle lag so günstig am Weg zwischen den beiden Ortschaften, und ein Glas Wein würde sicher manchem müden Wanderer gut tun. Zum Weinausschenken brauchte man aber eine Konzession, und von wem sie der Sägmüller hatte, blieb nicht lange verborgen: vom Herrn von Cronberg. Wo aber Wein floß, floß auch das Ohmgeld, und wohin dieses floß, war auch leicht zu erraten: in die Kasse des Cronbergers. Auf dem Amt in Lahr schüttelten die Herrn empört die Köpfe, Die Sache mußte dem Markgrafen als dem Landesherrn gemeldet werden, und dieser beauftragte seinen Amtmann in Lahr, Herrn Johann Friedrich von Bödigheim, das Nötige zu veranlassen. Zunächst warnte man den Müller, befahl ihm, den Maien einzuziehen und den Weinausschank einzustellen. Aber der Müller kehrte sich nicht daran. Er berief sich auf seine Geroldsecker Konzession und schenkte ruhig weiter aus. In Lahr glaubte man jetzt andere Saiten aufziehen zu müssen. Man wußte, der Müller kam ab und zu geschäftehalber in die Stadt. Bei einer solchen Gelegenheit griff man ihn auf, setzte ihn in Arrest und ließ ihn dann eidlich versichern, daß er das Weinausschenken einstellen werde. Der Müller schwur den Eid, zog ab nach seiner Mühle und — zapfte ruhig weiter. Jetzt war das Maß voll. "Was untersteht sich dieser pflichtvergessene Gesell!" schrie der Herr von Bödigheim. Er war sich im übrigen klar darüber, daß der Geroldsecker Amtmann hinter dem Ganzen steckte und dem Müller den Rücken steifte. Es war somit Grund genug für ein weiteres Schreiben nach der Carlsburg in Durlach gegeben. Unter dem 23. Mai kam von dort die Antwort, die besagte, man solle sich des Müllers samt seinem Weibe versichern und beide nach Lahr in den Arrest schaffen. So zogen acht "berohrte" Mann nach der Mühle, holten den Müller und seine Frau heraus und schafften sie der Anweisung nach ins Städtchen. Dort legte man den Müller in scharfen Arrest. Seine Frau aber, die mit einem Kind schwanger ging, wurde im Wirtshaus zur Krone untergebracht. Man belästigte sie nicht weiter, sie konnte frei im Städtchen herumgehen und sich auch verköstigen, wie sie wollte. Nicht so der Müller. Er saß bei Wasser und Brot im "Kefich" und erhielt nur einmal am Tag eine warme Suppe. Im Geroldseckischen erzählte man sich bald die schauerlichsten Dinge, wie der arme Müller in Lahr traktiert werde. Er werde so schlimm wie ein Malefikant gehalten, bekomme nichts als Wasser und Brot, und das Wasser stamme aus dem Trog, "worin die alten Weiber ihre Wäsche waschen und das Vieh getränkt wird".

Kein Wunder, daß man im Geroldseckischen zu einem Gegenschlag rüstete. 40 gut bewaffnete Leute zogen unter Führung des Vogts von Seelbach nach der Mühle, hielten sie in aller Form längere Zeit besetzt und ließen, als sie abzogen, mehrere Mann als Wache zurück. In Lahr betrachtere man dies als regelrechten Landfriedensbruch, den man nur mit einer massiven Gegendemonstration beantworten konnte. Dazu wurden nicht weniger als 500 Mann auf die Beine gebracht. Außerdem stießen 24 Soldaten von der Hochburg bei Emmendingen sozusagen als Fachleute zu diesen. Die ganze Heeresmacht rückte nun geschlossen gegen die Mühle. Die Wache dort hatte aber Wind bekommen und sich beizeiten aus dem Staub gemacht. Die Mühle, auf der sich nur noch des Müllers Schwiegermutter und die Kinder befanden, konnte daher kampflos genommen werden. Um aber den Lahrer Herrschaftsanspruch recht eindringlich zu unterstreichen, war eine weitere Demonstration vorgesehen. Mit klingendem Spiel zog die ganze Mannschaft durch Kuhbach hindurch bis an den Gießenbach und von dort wieder die Landstraße zurück bis zum Bannstein. Inzwischen hatte man zwei Geroldsecker Bäuerlein nach Seelbach geschickt und dem Amtmann Pistorius sagen lassen, er solle zum Stein oder nach der Säg kommen. Vielleicht wollte der Lahrer Amtmann vor versammeltem Volk wie ein homerischer Held in einem Streitgespräch den Fall klären. Die beiden Bäuerlein aber kamen unverrichteter Dinge zurück mit dem Bescheid, der Amtmann sei nicht zuhause, und waren im übrigen froh, als man sie wieder laufen ließ. Die Lahrer zogen jetzt wieder nach der Säge. Dort - es klingt wie ein Witz - trank man den ganzen Wein weg, zahlte aber bei des Müllers Schwiegermutter, kehrte dann den Maien um, so daß der Stiel zum Fenster hinausschaute zum Zeichen, daß es jetzt aus sei mit dem Weinausschenken. Dann wurde die Frau mit den Kindern auf einen Wagen geladen, und der Zug ging nach Lahr zurück unter Zurücklassung einer Wache, die die Mühle besetzt hielt.

Damit hatte man den Geroldseckern gründlich die Faust gezeigt. Was aber aus der Mühle weiter werden sollte, wußte niemand zu sagen, Mathis Ihle, der bisherige Beständer, saß ja in Lahr im Gefängnis und kam nicht mehr als Sägmüller in Frage. Man mußte sich also nach einem anderen umschauen. Es fand sich schließlich in Lahr der alte Hans Dietrich Stephan bereit, auf die Säge zu gehen, aber der Mann starb, bevor er seinen gefährlichen Posten antreten konnte. Jetzt besaß der Geroldsecker Amtmann die Kühnheit, den Emersbacher Georg Dold auf die Mühle zu setzen. Diesen aber vertrieben die Lahrer und beorderten vorübergehend den Mahlknecht des verstorbenen Müllers dorthin. Diesem wieder stellten die Geroldsecker nach, so daß er sich nach kurzer Zeit davonmachte. Man glaubte in Lahr dann endlich eine Lösung gefunden zu haben, als sich der Bürger Christian Baumhardt bereit erklärte, auf die Mühle zu gehen, nachdem Landschreiber J. G. Rauch ihn vorgeschlagen hatte. Der Mann war schlecht beraten, als er den Posten annahm. Es dauerte nicht lange, da überfielen die Geroldsecker die Mühle, trieben den Baumhardt unter Stößen und Schlägen durch Kuhbach und Reichenbach und setzten ihn dann bei Wasser und Brot auf Geroldseck fest, bis er sich dazu bequemte, Urfehde zu schwören, d. h. auf den Betrieb der Mühle zu verzichten. Über diesem Hin und Her war auch das Jahr 1672 nahezu vorübergegangen.

Zum Jahresschluß aber sollte das Drama noch um einen weiteren Akt bereichert werden. Eingedenk ihrer Pflicht zur Instandhaltung von Weg und Steg hatten die Lahrer das Steinbrückle in der Nähe der Sägmühle gur und fachmännisch repariert. Es war aber dem Geroldsecker Amtmann berichtet worden, die Lahrer hätten auf den dabei verwendeten Eisenklammern ihr Stadtwappen eingeschlagen. Damit war das Steinbrückle ein Politikum geworden, denn es stand, von Geroldseck aus gesehen, diesseits des Frevelsteins, beanspruchte also mit seinen Wappenzeichen widerrechtlich hier Lahrische Gebietshoheit, und eben darum ging ja im Grunde der ganze Streit. Und schon stand beim Geroldsecker Oberamt eines fest: die neuen Aufbauten müssen verschwinden, sie müssen kurz und klein geschlagen werden. Wie das am besten durchzuführen sei, damit war das Oberamt in den letzten Tagen dieses Jahres vollauf beschäftigt, und wie es durchgeführt wurde, darüber hat der Notar Johann Carl Rieneck aus Offenburg, der als junger Mensch von Amts wegen bei dem Ereignis zugegen war, später aus der Erinnerung einen Bericht zu Protokoll gegeben. So können wir ihm, Rieneck, hier das Wort erteilen, und wir erfahren folgendes: "Am neuen Jahrestag in aller Frühe vor Tag haben alle Jäger und Wildschützen samt einer Anzahl bewehrter Bürger sich in dem Dorf Kuhbach eingefunden. Der Herr Amtmann aber mit mir, Notarius, und Zeugen samt ganz neuen, zu dem Vorhaben besonders per expressum gefertigten Stemmeisen und großen, schweren Schmiedhämmern versehen, desgleichen etliche Maurermeister mit ihrem nötigen Werkzeug, so auch dahin verordnet gewesen, und also gesamter Hauf gegen das Brückle vorgerückt. Hat daselbst oft ermelter Oberamtmann diesen Schmieden und Werkmeistern alles, was die Lahrer an gedachtem Brückle repariert und gemacht, mit aller Gewalt zerreißen und die Steine in das Bächle zu werfen, allen Ernstes befohlen.

Indessen er, Herr Amtmann, mit seinen Wildschützen und bewehrten Bürgern gegen Lahr und bis an den Stein, so mitten in der Lahrer Straß steht, zu Pferd vorgerückt und observiert, was gedachte Lahrer tun möchten, ich Notarius aber, mit wenig Zeugen den Arbeitern, so gedachtes Brückle demoliert, zugesehen und alles, was allda passiert, notiert, welche dann mit ihren Stemmeisen alle Klammern entzwei und, wo sie mit Blei eingegossen, mit großer Gewalt herausgeschlagen und mit sich heimgenommen.

Danach man erfahren und befunden, daß sie, Lahrer, auf allen in die Stein eingegossenen Klammern ihr Stadtwappen eingeschlagen gehabt. Nachdem nun alles, was davon neu gemacht gewesen, ruiniert und in das Bächle geworfen, ist man wieder nach Kuhbach und nach dem Schloß Geroldseck zurückgegangen.

Kaum nach Verfließung einer Stund ist dem Herrn Oberamtmann schon Bericht eingelaufen, daß die Lahrer haufenweis zu Pferd und zu Fuß und bewehrt aus der Stadt heraus bis in das Dorf Kuhbach gesprengt und sich sehr insolent mit Schießen und Bedrohen erwiesen. Da sie aber keine Feind vor sich gefunden, sind ihre Weiber nachkommen, haben ihren hungrigen Männern Vivers (Lebensmittel) und große Flaschen mit Wein zugebracht, daher es bis dato bei ihnen der Flaschenkrieg geheißen und Gesänge davon gesungen wurden. Haben sie bis gegen Abend daselbst gezehrt, danach mit ihren Männern ganz friedlich wieder abgezogen. Ist also solcher Krieg ohne Blutvergießen abgeloffen."

Soweit der Notarius Rieneck. Wir aber können uns unsere eigenen Gedanken über den Vorfall machen und wollen ihn etwas unter kulturgeschichtlicher Sicht betrachten, besonders den Schluß. Zeigt er doch, aus welcher Quelle sich eine Art volkstümlichen Dichtens speiste, teilweise nämlich aus den Spannungen und Reibungen, wie sie das Nebeneinander von kleinen und kleinsten staatlichen Gebilden erzeugte. Hierbei wurde die Kritik hervorgerufen, die Spottlust gereizt; man beutete die Schwächen und das Lächerliche beim andern aus und suchte es in Geschichten und Reimereien darzustellen. Es ist bezeichnend, daß bei aller amtlich ernsthaften Durchführung der Maßnahmen die Komik der Situation beim einfachen Mann durchaus erkannt und auch genossen wird. So beleuchtet dieser Vorfall die Gesamtlage der Kleinstaaten, die im Besitz ihrer Landeshoheit gern nach dem großen Wort, nach der schweren Drohung greifen, es aber wohlweislich vermeiden, die letzten Konsequenzen solcher Drohungen zu ziehen, in der Erkenntnis, daß die Folgen unabsehbar wären.

Burg Geroldseck 1604, noch bewohnt bis 1689, wenn auch nicht von der Herrschaft selbst. 1689 von der französischen Besatzung verbrannt
Burg Geroldseck 1604, noch bewohnt bis 1689, wenn auch nicht von der Herrschaft selbst. 1689 von der französischen Besatzung verbrannt. Rechts die zugehörigen Wirtschaftshöfe.

Zur Situation der Zeit - Hohengeroldseck - Der Tod des Grafen von Cronberg

Die eben geschilderten Ereignisse fallen in die Zeit, als sich die Menschen unserer Gegend von der Misere des Dreißigjährigen Krieges zu erholen begannen, während die Prüfung der folgenden Jahre, der Einfall der französischen Armeen, noch bevorstand. An der Denkweise der Menschen, wir sahen es am Vorausgehenden, hatte das gemeinsame Elend des Dreißigjährigen Krieges wenig geändert; es bleibt weiterhin in der Enge der kleinstaatlichen Grenzen befangen. Es ist auch falsch anzunehmen, daß sich jetzt alle in Sanftmut und Liebe des Friedens erfreut hätten. Zuviel Dunkles und Böses hatten diese Geschlechter gesehen. Starke Lebensgier, verbunden mit einem radikalen Willen zu Selbstbehauptung läßt sich allenthalben feststellen. Die Arbeitslast, die den gemeinen Mann tagtäglich erwartete, gab ihm kaum Zeit zu einer freieren Betätigung. So ist sein Blick auf den Tag und auf das Nächstliegende gerichtet. Aber auf den Feldern reift wieder die Ernte und wird freudig eingebracht. Man darf nicht bloß auf die vorausgegangene Verwüstung des Landes hinweisen, man muß auch bedenken, daß der Boden in unfreiwilliger Brache sich jahrelang ausruhte und daß er nach Beseitigung des Unkrauts und bei einigermaßen günstiger Witterung gute Erträgnisse brachte.

Wild gab es zudem im Überfluß. Der Wiederaufbau und die Erholung des Landes ging zwar langsam, aber auch stetig voran, und es bestand berechtigte Hoffnung, daß sich die Wunden, die der Krieg geschlagen hatte, in absehbarer Zeit schließen würden. Da folgte nach einer Ruhezeit von etwa 25 Jahren erneut eine kriegerische Epoche, und wieder stampfte die Zerstörung durch das Land. Das politisch erstarkte Frankreich drängte nach Osten und pochte mächtig an die Tore des Reiches. Not und Elend kamen aufs neue über die Menschen unserer Gegend. Die Brand-, Plünderungs- und Fluchtjahre lösten sich in rascher Folge ab; 1675, 1677, 1688, 1689, 1690 schrieben ihre Markierungen in die Landschaft. Die Zerstörung der festen Plätze lag im französischen Programm; man wollte verhindern, daß sich an der Westgrenze des Reiches ein Widerstand festsetzen konnte. Systematisch wurde diese Zerstörung durchgeführt. Für unsere Gegend war M. de Chamylli, Statthalter von Straßburg, zuständig. Die Offenburger Stadtmauern, die Tiefburg von Lahr, das Schloß Geroldseck standen unter anderem auf seiner Liste. In Schuttern bangte sogar der Abt um die Einfriedigungsmauern seines Klosters.

Für die Zerstörung von Geroldseck sind lange Zeit verschiedene Daten genannt worden. Die einen gaben 1677, die andern 1689 an. Bei Himmelsbach findet sich 1689 als Jahr der Zerstörung. Er belegt diese Angabe durch einen Hinweis auf den Dekan Lipp, der den letzten Gottesdienst auf Geroldseck vor der Zerstörung gehalten habe. Wir können diesen Vermerk durch einen Tagebucheintrag des Abtes Jakob von Schuttern stützen. Es heißt dort unter dem 15. Januar 1689:

"Hisce diebus urgebatur demolitio arcis Lahrensis et Geroldzeck, ad ultimam debui dare subinde currus, ordinantiam accepi a M. Chamylli." (In diesen Tagen wurde die Zerstörung der Lahrer Burg und der Burg Geroldseck mit Nachdruck gefordert. Zu letzterer mußte ich dann Wagen stellen. Den Befchl erhielt ich von Herrn Chamylli.)(1) Es ist demnach die Zerstörung der Geroldseck in der Woche vor dem 15.1.1689 vollzogen worden. Amtmann Pistorius hatte zuvor die Räumung der Burg durchzuführen. 30 Säcke, die der Abt von Schuttern neben den Wagen noch zur Verfügung stellte, hat dieser zu seinem großen Ärger nie wieder zu sehen bekommen.

So wurden die damaligen Bewohner des Geroldsecker Ländchens, die den Mühlenstreit und den Flaschenkrieg miterlebt harten, auch Zeugen der Zerstörung dieser alten Burg. Sie sahen die Fackel des Brandes hoch über dem Berg stehen.

Ob sie auch der Herr von Cronberg, den die Sache ja am nächsten anging, gesehen hat, ist fraglich. Es ist schwer auszumachen, wo er sich in dieser Zeit aufhielt. Die Heirat mit der Gräfin Charlotte von Sayn und Wittgenstein ist jedenfalls nicht im Geroldseckischen vollzogen worden. Wahrscheinlich hat der Graf das Ländchen, das ihm so viel Ärger eingebracht hatte, damals so weit als möglich gemieden. Frägt man nach dem Ausgang des Mühlenstreits, so ist zu sagen, daß der Mahl- und Sägebetrieb 1673 dort wahrscheinlich ganz geruht hat.

1.) Dr. H. Wiedtemann hat im Altvater, Heimatbeilage zur Lahrer Zeitung, Jahrgang 1951, die Datierung nachgeprüft. Er hat dabei auch den diesbezüglichen Vermerk im Protokollbuch des Landkapitels Lahr als Quelle herausgestellt. Dort heißt es: "Am Feste der Dreikönige (1689) habe ich (Dekan Lipp) auf der Burg Geroldseck, die kurz vorher von den Franzosen in Besitz genommen war, das letzte Sacrum oder Messe gelesen; wenige Tage darnach wurde diese von den Franzosen in Brand gesteckt und zerstört."

Es sagten zwar der Lahrer Klostermüller und sein Bruder zu, die Mühle vorübergehend zu versehen, dann aber überlegten sie die Sache noch einmal und erklärten schließlich, sie wollten doch lieber darauf verzichten. Sie befürchteten, "wo nicht den Tod, so doch ihr Leben lang ein Gedenkzeichen davonzutragen". Was das Reichskammergericht berrifft, so scheint dies eher der Geroldsecker Seite recht gegeben zu haben, da Lahr mit dem gewalttätigen Vorgehen begonnen hatte. Jedenfalls ist es während der ganzen Cronberger Zeit zu keinem rechten Frieden gekommen. Die Nachricht von des Grafen Tod, 1692, werden die Lahrer mit einer gewissen Befriedigung hingenommen haben. Es sieht wie ein Akt ausgleichender Gerechtigkeit aus, daß er ohne Leibeserben starb und so das Lehen, das er teilweise zu Unrecht in Besitz hatte und das er mit aller Gewalt zu halten suchte, einem andern überlassen mußte. Das Geroldsecker Ländchen aber war wieder einmal für den großen Handel auf den Markt geworfen.

Das Baden-Durlacher Zwischenspiel in der Herrschaft Geroldsek und die Aktion des Freiherrn von Neveu

All die Jahre her harte Baden-Durlach unter Berufung auf das Testament der Anna Maria seinen Anspruch auf das Geroldsecker Erbe aufrecht erhalten und durchzusetzen versucht, ohne damit zum Ziele zu kommen. Jetzt, 1692, nach dem Tode des Herrn von Cronberg, schien sich die ganze Streitfrage auf natürliche Weise und wie von selbst zu erledigen. Hatte doch der Cronberger keinen Erben hinterlassen, der Anspruch auf die Herrschaft hätte erheben können. Es galt also, einfach zuzugreifen und vollendete Tatsachen zu schaffen. So setzte sich Baden-Durlach am 31. März dieses Jahres in den Besitz des langersehnten Gebietes. Die Vögte der geroldseckischen Ortschaften mußten dem neuen Herrn - es handelte sich um den Markgrafen Friedrich Magnus (1677 - 1707), den Vater des bekannten Karl Wilhelm -, den Treueid leisten und die Einwohner ihm huldigen. Steuern und Abgaben gingen jetzt an Baden-Durlach, und als äußeres Zeichen des neuen Zustandes erschien an den wichtigsten Amtsgebäuden das Baden-Durlacher Wappen, während neue Beamte in das Schloß Dautenstein Einzug hielten. Um ja auch der Form zu genügen, wurde der vorderösterreichischen Regierung amtlich Mitteilung von der Übernahme des Ländchens gemacht. Alles schien so in bester Ordnung, kein Einspruch von seiten Österreichs war erfolgt, und leichter als man geglaubt hatte, war die Änderung vor sich gegangen.

Aber die Kanzleien zu Innsbruck und Wien hatten das Geroldsecker Ländchen nicht aus den Augen verloren. Man war durchaus auf einen Wechsel in der Belehnung vorbereitet, und längst schon waren die Grafen von der Leyen, ein aus der Moselgegend stammendes Geschlecht, als Nachfolger derer von Cronberg vorgesehen. 1693 erhielt Karl Caspar von der Leyen erneut eine Bestätigung der Lehenszusage auf Geroldseck, aber was konnte das für einen Sinn haben, wenn ein anderer das Lehen eingenommen hatte. Es ist verständlich, daß der Herr von der Leyen die Regelung der Angelegenheit eifrig beim Wiener Hof betrieb. Ob daraufhin Verhandlungen mit Baden-Durlach geführt wurden, ließ sich nicht feststellen. Jedenfalls kam man in Wien und Innsbruck bald zu der Erkenntnis, daß "besagter Markgraf in gutem nit weichen wird", und so entschloß man sich, die Angelegenheit mit Gewalt durch einen Handstreich zu bereinigen.

Die Aufgabe wurde dem Herrn von Neveu übertragen. Ihm wurden 250 Mann des eidgenössischen Regiments samt Offizieren zugewiesen, da man keine "Craissvölker" gegen einen "craissangehörigen" Fürsten einsetzen wollte. Diese Truppe marschierte Anfang April 1697 unter militärischer Führung des Marschall-Lieutenants Herrn von Fürstenberg über den Schwarzwald und stand um den 6. April bei Zell, wo auch Baron von Neveu Quartier bezog. Da noch Franzosen in der Nähe lagen, mußte mit einiger Vorsicht operiert werden. In der Herrschaft Geroldseck konnte es indessen nicht lange verborgen bleiben, daß etwas Ungewöhnliches im Gang war, und so machten sich von der dortigen Verwaltung Hofrat Scheid und Landschreiber Vinther auf den Weg nach Zell. Bereits auf dem Schönberg merkten sie, "was die Glock geschlagen", denn das österreichische Militär stand bereits bei Biberach. Sie konnten nur die Aufforderung entgegennehmen, die Stäbe Reichenbach, Seelbach und Schurtertal dem Herrn von der Leyen gütlich einzuräumen, und kehrten, die kommenden Dinge erwartend, nach Dautenstein zurück.

Über die nun folgende "Occupation der Herrschaft Geroldseck" lassen wir am besten die Akten sprechen und geben auszugsweise den Bericht des Hofrats Scheid vom 9. April d. J., geschrieben in Badenweiler. Er lautet:

"Es ist also er, von Neveu, mit den Truppen endlich in die Herrschaft eingerücket, alle drei Stäbe mit Mannschaft besetzt, von einem in den andern selbsten geritten, Euerer Durchlaucht Jurisdiktionssäulen umhauen, die Wappen abreißen lassen, den Virgilium Rothen in jedem Stab den vorhandenen wenigen Untertanen als den Amtmann vorgestellt und, die er angetroffen, zum Handgelübd namens des von der Leyen genötigt, auch erhaltener Nachricht nach einige aus dem Schuttertal, die sich opponiert, gefangen wegführen, inzwischen das verschlossene Schloß Dautenstein, darin wir gelegen und auf Begehren nit öffnen wollen, mit Gewalt aufhauen lassen, ohnerachtet meines abermaligen Prostestierens gegen diese offenbare Gewalt und harten Zuredens, daß wir in der Güte nit weichen, er endlich am Schloß dero Wappen durch Soldaten abreißen lassen und darauf den Virgilium Rothen, dem ich im Beisein des Herrn von Neveu zu verstehen gegeben, was er noch zu gewärtigen habe, daß er sich gegen einen so vornehmen Fürsten brauchen lasse, die Possession desselben zuletzt eingeräumt und endlich mit der Anzeige, daß, wo wir nicht weichen, man uns mit Gewalt austreiben würde, davongezogen.

Welches alles wir dann, so wir auch schon ettliche hundert Bauern gehabt hätten, denen Soldaten nicht verwehren konnten und es haben geschehen lassen müssen. Und haben wir endlich, weilen man uns bei weiterer Renitenz von seiten des kommandierenden Offiziers Gewalt und Beschimpfung angedroht, ich und Landschreiber Vinther uns noch selbigen Abend nach Lahr aufgemachet. Mithin hat diese Sache einen leidigen Ausgang unsererseits leider durch diese offenbare Vergewaltigung genommen."

Tiefburg Lahr, geringe Reste davon noch vorhanden, 1250 erstmals erwähnt, im Mittelalter am Südrande der ummauerten Stadt, heute inmitten der älteren Stadtteile
Tiefburg Lahr, geringe Reste davon noch vorhanden, 1250 erstmals erwähnt, im Mittelalter am Südrande der ummauerten Stadt, heute inmitten der älteren Stadtteile. Der Schutzteich wurde durch die umgeleitete Schutter gebildet. Im Hintergrund links die Geroldseck. Klischee von Fa. Moritz Schauenburg, Lahr

Was sollte Baden-Durlach unter diesen Umständen tun? Es blieb ihm nichts anderes übrig, als von neuem den fragwürdigen Rechtsweg zu beschreiten, von neuen den Sachverhalt den Gerichten darzulegen und jetzt vor allem darauf hinzuweisen, daß Österreich bei der Inbesitznahme der Herrschaft seinerzeit nicht offiziell widersprochen habe. Die ersten Schreiben dieser Art gingen an den Bischof Marquard Rudolf von Konstanz als den Kreisvorsitzenden, desgleichen an den Herzog Eberhard Ludwig von Württemberg. Es hat aber der neue Prozeß ebensowenig zum Ziele geführt wie der alte. Die Sache schleppte sich hin, und der Bescheid an den Markgrafen lautete, daß alles in dem "jetzigen stato" zu verbleiben habe, bis zum Austrag der Sache. Es war also Geroldseck, nachdem es über fünf Jahre baden-durlachisch gewesen war, jetzt an die Herren von der Leyen gekommen. Diese blieben von 1697 bis 1815, also 118 Jahre, im Besitz des Ländchens. Während dieser Zeit folgten vier regierende Herren einander in der Herrschaft. Es ergibt sich folgende Reihe:

Karl Caspar 1697 - 1739
Friedrich Ferdinand 1739 - 1762
Franz Karl 1762 - 1775
Maria Anna, hinterlassene Witwe des Franz Karl in vormundschaftl. Regierung 1775 - 1790
Philipp Franz 1790 - 1815

Vererbte Grenzprobleme

Getreulich wurden die Geroldsecker Grenzprobleme von einem Besitzer an den andern weitergegeben, und vom Herrn von Cronberg übernahmen sie die Grafen von der Leyen. Ihre Behandlung bleibt im großen ganzen dieselbe. Die von der Leyen entfalteten dabei vielleicht etwas mehr Methode, scheuten sich unter Umständen aber auch nicht, Gewalt gegen Gewalt zu setzen. Neu in diesem Gebiet, mußten sie damit rechnen, daß die Grenznachbarn versuchen würden herauszufinden, wie weit man mit ihnen gehen könne, und so war es wichtig, ihnen gleich am Anfang gebührend entgegenzutreten.

Den ersten größeren Grenzzwischenfall brachte das Jahr 1708. Im Juni dieses Jahres kam die Nachricht nach Neuendautenstein, die Zeller hätten, sozusagen über Nacht, diesseits der Kinzig bei der Brück auf "undisputierlich geroldseckischem Grund und Boden" einen Zollstock aufgerichtet. Wo aber ein solcher Zollstock steht, will man auch Zoll erheben. Das mochten die Zeller drüben auf ihrem Gebiet nach Belieben tun, daß sie aber mit dem Zollstock über die Kinzig herüberkamen, war eine offenkundliche Grenzverletzung.

Die von der Leyensche Verwaltung tat, was bei der hundertfachen Rücksichtnahme, die es zu üben galt, das Gegebene war: sie suchte in den alten Akten nach einem Präzedenzfall, und sie fand ihn auch. Vor über hundert Jahren war unter dem letzten Geroldsecker, dem Grafen Jakob, ein ähnlicher Fall vorgekommen. Damals hatten die Zeller nicht nur einen Zollstock errichtet, sie hatten auch ein Zollhaus dabei gebaut und einen Zöllner hineingesetzt und dies ebenfalls "auf undisputierlich geroldseckischem Grund und Boden". Nun, der Graf hatte ihnen dafür getan. Er hatte in einer überfallartigen Aktion das Zollhaus niederreißen, die Trümmer in die Kinzig werfen und den Zöllner durch die Kinzig zurück ins Zellische jagen lassen. Nach dem Beispiel dieses Vorgehens schickte man jetzt, am 28. Juni, eine Anzahl bewaffneter Knechte zu dem in Frage stehenden Zollstock - solche Unternehmungen führte man wohlweislich meist vor Tagesgrauen aus -, und dann wurde nicht lange gefackelt. Sie rissen den Zollstock heraus, hieben ihn in "Stücker" und warfen die Stücke in die Kinzig, wo sie munter davonschwammen.

Verständlich, daß die Stadt Zell dieses Vorgehen übel vermerkte und mit Gegenmaßnahmen und einem Prozeß drohte. Deshalb hielt man dreiviertel Jahre später zu Seelbach eine amtliche Befragung ab. Es kamen damals, am 16. April 1709, 18 Personen auf der Laube oder Bürgerstube zu Seelbach zusammen, um ihre Aussagen zu machen. Einer der wichtigsten Zeugen war damals der ehemalige Geroldsecker Jäger Georg Wild.

Er gab zu Protokoll: "Er sei achtzig Jahre alt, von Schuttertal gebürtig und sei der Herrschaft Geroldseck Jäger gewesen. Derzeit sei er in Kuhbach wohnhaft. Wie er von alten Leuten in seiner Jugend gehört, gehe die Gerechtigkeit dieser Herrschaft bis mitten in die Kinzig hinein und hätten die Zeller diesseits einiges Recht früher einmal gehabt. Der Grund und Boden, worauf die Zeller den Zollstock gesetzt, sei seiner Herrschaft zuständig. Sie hätten kein Recht da, und es sei niemals ein Zollstock allda gestanden. Geroldseckerseits sei einmal ein Zoll gefordert und auch gegeben worden, aber über der Kinzig, d. h. auf der Zeller Seite, werde der Zoll von diesen gefordert."

Er gibt weiter zu Protokoll, "von alten Männern gehört zu haben, daß bei alten Zeiten, vor anderthalb Jahrhundert und mehr Jahren, gedachte Stadt Zell sich auch unterfangen habe, aber nicht an diesem, jetztmals strittigen Ort, sondern im Reyger Wald genannt, einen Zollstock zu setzen, hatten auch sogar einem Zoller eine Wohnung dabei machen lassen. Der alte Graf von Geroldseck letzten Stammes und Namens aber, als seiner Gerechtsame nachteilig, habe sogleich seine Wildschützen samt einer Anzahl der Untertanen an diesen Ort geschickt, welche nicht allein den durch die Stadt Zell geordneten Zoller hinweg und durch die Kinzig gejagt, sondern auch solchen Zollstock niedergehauen und in die Kinzig geworfen und das Zollhaus auch ganz und gar ruiniert. Von solcher Zeit an hätten die Zeller niemalen sich unterstanden, weiter einen Zollstock auf Geroldsecker Seite zu setzen als vor kurzer Zeit an diesem strittigen Ort, welches aber die Herrschaft auch nicht gestattet, sondern niederhauen und ruinieren lassen.

So habe sich seines Wissens schon vor fünfzig Jahren zugetragen, daß damals gewester Vogt von Schönberg unweit von diesem Ort, wo sie jetzt den Zollstock disputieren, unglücklicherweise in der Kinzig ertrunken. Da hätten alle benachbarten Herrschaften, so jenseits dieses Flusses der Prälat von Gengenbach zusammen mit der Stadt Zell, diesseits aber die gnädige Herrschaft Geroldseck verschiedene Leute verordnet, welche diesen ertrunkenen Körper aufsuchen, um ihr habendes jus territoriale et superioritatis zu manutenieren (ihr Hoheitsrecht geltend zu machen). Und als diese beiderseits, woselbst der tote Körper gelegen, zusammengetroffen, hätten des gnädigen Herrn Prälaten und der Stadt Zell dabei erschienene Deputierte selbst bekennen müssen, daß er der Herrschaft zuständig sei und ihn freiwillig und ohne jede Widerrede hinwegnehmen lassen."

Soweit der Bericht des Jägers Wild. Uns interessiert heute manchmal weniger der Fall an sich, sondern mehr das "Drum und Dran", der Einblick in die Lebensverhältnisse jener Menschen, auf die durch derartige Protokolle bezeichnende Streiflichter fallen. Mit den Zollverhältnissen an der Grenze gegen Zell scheint es dann wieder beim alten geblieben zu sein.

Nicht bereinigt war aber immer noch der Fall Sägemühle-Steinbrückle. Der Prozeß vor dem Reichskammergericht hatte zu keinem Ergebnis geführt und lief in diesen Jahren offenbar immer noch. So wurde auch in dieser Sache eine Befragung durchgeführt. Die Bedeutung, die man ihr zumaß, war dadurch unterstrichen, daß sie im Saal des Schlosses Dautenstein vorgenommen wurde und daß über dreißig Personen dazu aufgerufen waren. Sie fand am 8. April 1715 statt und sollte folgende Fragen klären: Wie weit geht die Geroldsecker Rechtshoheit gegen Lahr zu; welcher Herrschaft ist der Müller dort verpflichtet und untertan; was man noch von den Händeln wegen des Steinbrückleins weiß; wohin pflegt man in beiden Herrschaften die Malefikanten (Übeltäter) zu bringen; wohin gehört seit alters der Kuhbacher Zehnte und wohin ist er all die Jahre her geliefert worden?

Es mag einigermaßen rührend anzusehen gewesen sein, wie sie da anrückten, die Zeugen, beladen mit Erinnerungen an die vergangene Zeit und wohl auch ein wenig darauf bedacht, das hervorzuholen, was der gnädigen Herrschaft am ehesten passen möchte. Aus ihren Antworten sollte sich dann die Wahrheitsfindung ergeben und die rechtschaffende Kraft des Herkommens offenbar werden. Zwei Hundertjährige sind unter den Befragten: Jörg Christ aus Kuhbach - aus ihm war nicht mehr viel herauszuholen, da er völlig taub war. Der andere dagegen, Hans Bruch aus Schuttertal, konnte noch ganz gut Bericht geben.

Wir greifen hier das Protokoll des Lorenz Hunn, Vogt zu Seelbach, heraus, dem folgendes zu entnehmen ist:

"Er, herrschaftlicher Vogt, heiße Lorenz Hunn, sei 38 Jahre alt, zu Seelbach geboren und Vogt daselbst. Die Geroldsecker hohe Jurisdiktion gegen Lahr gehe über ein steinern Brückle zu einem Bannstein, welcher ungefähr 200 Schritt weiter gegen Lahr jenseits des Schutterflusses steht. Und obwohl er noch jung, so habe er solches in der Zeit von seinem Vater gehört und erfahren, weil er lange Zeit bei ihm sich aufgehalten.

Die Sägmühl stehe auf herrschaftlich Geroldsecker Boden wie auch das klein Brückle. Der Sägmüller ist auch der Herrschaft unterworfen und verpflichtet, muß auch jederzeit zum Ruggericht in Seelbach erscheinen. Er sei auch verpflichtet, der Herrschaft das Bauholz, die Dielen und dergleichen zu schneiden um den halben Lohn. Der Sägmüller habe auch einige Jahre Wein daselbst verzapft und der Herrschaft das Ungeld geliefert, welches alles er von seinem Vater und Großvater, so sehr alt geworden, oftmals gehört. Von Händeln wegen dem Brücklein habe er nur erzählen hören. Malefikanten würden bis zu obigem Bannstein geführt und den Lahrern ausgeliefert und, vice versa, ausgewechselt, wie es bei seines seligen Vaters Lebzeiten auch mit einem Delinquenten geschehen, der nach Schuttern geliefert worden.

Wegen des Zehnten ist ihm dies bewußt, daß er allerdings bis an den Bannstein sich erstreckt, und werde der Zehnten nach altem Herkommen den Untertanen in Früchten angeschlagen. Es habe sich eines Jahres zugetragen, daß sich die Lahrer den Kuhbacher anmaßen wollten, sei ihnen aber abgenommen und aus dem erlösten Geld eine Glocke für den Kuhbacher Kirchturm gekauft worden."

Soweit Lorenz Hunn. Im Grunde enthält dieses Protokoll wieder einmal den bekannten Sachverhalt in Geroldsecker Sicht. Wesentlich Neues konnte auch die Befragung der andern Zeugen nicht beibringen. Nur daß hie und da eine zusätzliche Bemerkung das Bild etwas ergänzen kann. So weiß einer zu berichten, daß der Sägmüller 3 Batzen an die Geroldsecker Herrschaft an Steuern gibt. Ein anderer bemerkt, daß er selbst vor Jahren dabei gewesen, als man den Sägmüller einmal abführte und auf Geroldseck gefangen setzte, weil er das Ungeld vom Wein nach Lahr gegeben hatte. Was die Frage der Auslieferung von Delinquenten betrifft, so haben mehrere in Erinnerung, wie man den sogenannten Geisbeck, des jetzigen Blumenwirts zu Lahr Großvater, nach Lahr ausgeliefert, wo er, als Hexenmeister angeklagt und verurteilt, verbrannt worden sei. Bei den Älteren sind auch die Vorgänge damals beim Steinbrückle noch verhältnismäßig gut in Erinnerung. Auch das Lied vom Flaschenkrieg kennt man noch. Die eine Zeugin, die Christa Rauscher aus Kuhbach, weiß sogar noch einige "Versicul" (Verse) und kann sie singen. Das Bild des alten Gegensatzes zwischen der Herrschaft Geroldseck und der Herrschaft Lahr ist also all die Jahre hindurch dasselbe geblieben. Die Spannungen haben sich seit der cronbergischen Zeit nicht vermindert, eher gesteigert. Dies beweist auch das folgende Kapitel.

Flucht aus Lahr 1716

Eine Verwicklung höherer Art hat ebenfalls ihren Ursprung in dem kritischen Grenzstreifen bei Kuhbach und steht in Zusammenhang mit der oben berührten Frage nach dem Zehnten in diesem Bann und wem er zustehe. Seit alters suchten die Lahrer hier einen Anspruch aufrechtzuerhalten.

Nun hatten sich im Frühjahr 1714 ein paar Lahrer Beamte in den Kuhbacher Bann begeben, um den Stand der Saat zu besichtigen und ein Bild von dem zu erwartenden Zehnten zu bekommen. Da sprengt plötzlich ein Reiter mit einem Knecht auf sie zu, fährt sie grob an mit der Fragc, was sie hier zu suchen hätten, schimpft auf sie los "unter Fluchen und Sakramentieren", und zum Schluß erklärt der bösartige Reitersmann (es ist der Geroldsecker Rentmeister Schmelzer, und die Lahrer mögen ihn wohl kennen), wenn sie sich noch einmal hier sehen ließen, werde er sie gefänglich wegführen lassen.

Mit tiefem Groll im Herzen kehrten die Lahrer ins Städtlein zurück und meldeten den Vorfall den Amtleuten. Diese unternahmen zunächst nichts, und so sah es danach aus, als werde die Sache einschlafen. Dasselbe dachte wohl auch der von der Leyenische Amtmann Schmelzer, als er sich einige Zeit später geschäftehalber nach Lahr begab. Aber dem war nicht so. Die Lahrer hatten sich den Kuhbacher Vorfall wohl gemerkt, und als den Amtleuten zu Ohren kam, der Schmelzer sei in der Stadt, ließen sie den Mann von der Straße weg festnehmen und setzten ihn gefangen. Nun braucht man freilich nicht gleich an ein finsteres Verlies, an eine Gefangenschaft bei Wasser und Brot denken. Dem Rentmeister wurde vielmehr ein Zimmer im zweiten Stock der "Sonne" als Aufenthalt zugewiesen, er hatte sich auf eigene Rechnung zu verköstigen und stand unter einer vermutlich nicht allzu scharfen Bewachung. Damals schloß man ja am Abend die Stadttore, und einer verdächtigen Person wäre es keineswegs leichtgefallen, das Städtlein unbeschrien zu verlassen.

Inzwischen hatte der Herr von der Leyen in Erfahrung gebracht, wie es seinem Rentmeister in Lahr ergangen, und voller Empörung wandte er sich an die vorderösterreichische Regierungsstelle in Freiburg. Dort machte man sich daran, den Fall zu überprüfen und ging dabei mit aller Sorgfalt vor, denn derartige Dinge mußten mit Überlegung behandelt werden. Inzwischen saß der Rentmeister zu Lahr in der Sonne fest, und die Zeit mag ihm ziemlich lang geworden sein. Auf wiederholte Vorstellungen des Herrn von der Leyen wandte sich der damalige Gubernator der vorderösterreichischen Länder eindringlicher an Baden-Durlach und verlangte die Freilassung des Gefangenen, der jetzt bald an die zwei Jahre in Lahr festgehalten wurde. Der Markgraf war jetzt auch gewillt, den Rentmeister mit einer entsprechenden Erklärung und nach Zahlung der restlichen Verpflegungskosten freizugeben. Aber das wollte Herr Schmelzer wieder nicht, denn sein unfreiwilliger Aufenthalt beim Sonnenwirt war allmählich hoch ins Geld gelaufen. Vielleicht war er auch bereits in einen Plan eingeweiht, den man in Freiburg ausgeheckt hatte und der darauf hinauslief, den Rentmeister kurzerhand aus Lahr zu entführen. Es sollte ein kleines Husarenstück werden, und damit bekam die Sache eine dramatische Note. Sie nahm dann folgenden Verlauf:

Am 2. April 1716 machten sieben Reiter vor der Sonne in Lahr halt. Sie führten ein unbemanntes Handpferd mit, bestellten eine Maß Wein und tranken, immer im Sattel bleibend, etliche Gläser. Lassen wir jetzt aber die Akten sprechen. Sie berichten anschaulich, was weiter an jenem zweiten April vorgegangen ist. Wir lesen:

"... bei derer (der Reiter) Erblickung hat er, Schmelzer, seinen Mantelsack unter den Arm genommen, ist die ober Trepp hinuntergegangen und in vollen Sprüngen also der unteren Treppe zugelaufen, daß er die ihm entgegenkommende Wirtin schier über einen Haufen gerannt hätte, auch sogleich auf das Handpferd gesessen und unter Begleitung der sieben obgedachten Personen in vollem Lauf zu dem Vogtstor hinausgeeilt, allwo indessen ungefähr fünfzig Schritt vor dem Tor zwölf Grenadiers, so ganz weiß gekleidet und rote mit weißen Schnüren besetzte Kappen aufgehabt, sich eingefunden, die, sobald sie diese sämtlich reitenden Personen zurückkommen sehen, gleichbalden die Bajonett aufgepflanzt, die Hahnen gezogen, den Rentmeister in die Mitte genommen und was sie nur erlaufen können, etwa etliche hundert Schritt bis an des Syndikus Kriegers Garten mit ihm fortgeeilt, woselbsten noch mehrere Grenadiere zu ihnen gestoßen und sogleich ihren Weg auf den sogenannten Burkhart-Wald und längs dem Wald Dautenstein zu marschiert."

Währenddessen war es in Lahr lebendig geworden. Die Sturmglocke ertönte, die Bürger liefen teils von den Feldern und Rebbergen, teils vom Mittagessen weg zusammen und setzten den Flüchtlingen mit "Rohren, Brügeln, Stangen und vielerei Instrumenten" bewaffnet nach, konnten aber nicht mehr an sie herankommen, da diese die Grenze des Lahrer Territoriums bereits überschritten hatten, und kehrten "in ziemlicher Confusion" in die Stadt zurück. Dort gab es ein aufgeregtes Fragen den ganzen Nachmittag. Wie war das nur möglich gewesen? Wer hatte es zuerst gesehen? Wo kamen die Reiter her? Wie konnten sie durchs Tor entkommen?

Da tauchte der Hirt mit der Herde beim Vogtstor auf. Er harte nahe beim Kuhbacher Bann geweidet und heute früher als sonst heimgertieben, denn er brachte wichtige Nachrichten. Hatte er doch mit der andern Partei gesprochen oder vielmehr: diese mit ihm. Es sei nämlich der Geroldsecker Amtmann Solaty samt einem Reiter und dem Rentmeister zu ihm hergeritten. Solaty habe ihn gefragt, ob er den Rentmeister kenne. "Ei, habe er, der Hirt, gesagt, das sei ein Lahrer Bürger, den kenne er wohl." "Ein Lahrer Bürger", habe der Solaty lachend ausgerufen, "einmal gewesen, aber jetzt nimmmer!" Und dann hätten sie noch davon gesprochen, wie gut es "abgeloffen". Und wenn es nicht so gelaufen wäre, dann hätten in Dinglingen noch 500 Mann für alle Fälle gelegen, und der General Harrsch habe zudem noch mehr Leute innerhalb 24 Stunden zugesagt usw. Jetzt konnte man sich in Lahr ein ungefähres Bild von den Zusammenhängen machen. Das Unternehmen war von langer Hand vorbereitet und auf Anweisung einer höheren Stelle unter Leitung des Generals Harrsch von der fünften Wallensteinischen Kompanie durchgeführt worden. Diese Kompanie befand sich an jenem 2. April auf dem Marsch von Freiburg nach Philippsburg und lagerte genau um die Zeit, als man dem Rentmeister zur Flucht verhalf, in der Nähe von Kenzingen. Das besagte genug, und der Fall war damit ziemlich geklärt. Wie aber sollte es weitergehen, was sollte man in Lahr unternehmen? Zunächst gab es einen ausführlichen Bericht nach der Carlsburg in Durlach mit der Bitte um weitere Anweisungen.

Schlößchen Dautenstein in Seelbach bei Lahr im Schuttertal im heutigen Zustand von der Talstraße aus
Schlößchen Dautenstein in Seelbach bei Lahr im Schuttertal im heutigen Zustand von der Talstraße aus. Es war früher eine wehrhafte Wasserburg und mehrstöckig bis zum Brand. Die Baureste um das Hauptgebäude deuten das ehemals stattlichere Aussehen an. Aufnahme: Allred Isenmann, Seelbach

Nun war der Fall von solchem Gewicht, daß sich schon der Markgraf persönlich damit befassen mußte. In dem jetzt einsetzenden Schrfitwechsel geht es um die Auslegung des Kuhbacher Zehnten und um die Rechtsverletzung, wie sie das Eindringen in die Stadt und die gewaltsame Entführung des Rentmeisters darstellten. Der Markgraf führt bewegte Klage darüber, daß kaiserliche Stellen sich zu einer solchen Tat hergaben, er gibt zu bedenken, was alles daraus hätte entstehen können: Mord und Totschlag, ja sogar ein Massaker, und er verlangt, daß man die Schuldigen zur Rechenschaft ziehe, den Rentmeister aber in sein voriges Verwahr einliefere. Von der anderen Seite gibt man dem Markgrafen zu bedenken, daß die Frage mit dem Kuhbacher Zehnten und den Rechten dort durchaus ungeklärt sei, daß jedenfalls nicht genügend Grund gegeben war, den Mann an die zwei Jahre festzuhalten. Die von der Leyen seien österreichische Vasallen, ihre Diener auch Diener Österreichs, das Verhalten des Markgrafen müsse den Kaiser selbst verletzen.

Nun wollte der Markgraf die Sache denn doch nicht zu einer Haupt- und Staatsaktion auswachsen lassen, zumal ihn in dieser Zeit der Bau seines neuen Schlosses Carlsruhe und mancherlei Pläne, die in Zusammenhang mit diesem Schloß standen, beschäftigten. Auf keinen Fall wollte er es mit Ihro Majestät, dem Kaiser, verderben. So geht es in den späteren Schreiben merklich gelinder her, und in einem der letzten, die in der Sache liefen und an den Baden-Durlachischen Bevollmächtigten gerichtet waren, heißt es am Schluß:

"Indes werden Euer Liebden von uns dienstlich ersucht, Ihro römisch kaiserl. und kathol. Majestät mit Benachrichtigung der wahren Beschaffenheit dieser Sachen wieder aus der gehaßten Meinung zu setzen, als wären wir deren erzherzoglichem Haus allzu nahe getreten oder ließen uns einfallen, durch unrechtliche Handlungen deren Vasallen die bisher mit allem Eifer gesuchten kaiserlichen Hulden zu alterieren und sich anbei selbst zu versichern, daß etwas dergleichen zu tun die auf uns geerbte Treue und patriotische Bezeugung gegen Ihro römisch kaiserl. und kathol. Majestät auch Liebe der Gerechtigkeit nimmermehr verstatten wird. Womit wir denn vermittelst dessen in verlangter Wiederantwort zu freundlicher väterlicher Dienstgefälligkeit stets willig und bereit verbleiben.

Carlsburg, den 27. August 1716
(Unterschrift)."

Glücklichere von der Leyen

Trotz mannigfacher aufregender Vorfälle obiger Art muß die Zeit der von der Leyen im Geroldsecker Land glücklich genannt werden, glücklicher zum mindesten als die vorausgehende cronbergische. Von dem kleinstaatlichen Lärm abgesehen, war diesen Herren eine lange Friedenszeit vergönnt, die nur durch die Auswirkung des österreichischen Erbfolgekriegs (1744 - 47) unterbrochen wurde. Das Ländchen konnte sich erholen, die Abgaben und Zehnten wurden pflichtgemäß geleistet, die Ordnung war wieder eingekehrt. Die Verwaltung, amtlich als Oberamt Geroldseck bezeichnet, setzte sich zusammen aus dem Oberamtmann, der später auch den Titel Hofrat führte, dem Oberamtsverweser und Rentmeister, dem Bergrat und dem Oberförster. Über diesem stand der Graf als regierender Herr. Doch hielt sich dieser nur vorübergehend im Geroldsecker Ländchen auf. Der Schwerpunkt der von der Leyischen Besitzungen lag in den "Rheingegenden", an Mosel und Lahn, bei Koblenz und Bonn. Einen standesgemäßen Wohnsitz brauchte man aber auch im Geroldseckischen, und so sollte das Schloß Neuendautenstein, das nach dem Wiederaufbau durch den Herrn von Cronberg von diesem später sehr vernachlässigt worden war, allmählich wieder in ordentlichen Zustand gebracht werden. Von diesem Bauwerk sagt ein undatierter Vermerk:

Der heute bescheidene Eingang zum Schlößchen Dautenstein in Seelbach bei Lahr
Der heute bescheidene Eingang zum Schlößchen Dautenstein in Seelbach bei Lahr. Dautenstein war seit dem 17. Jahrhundert die Residenz der Grafen bzw. Fürsten der Herrschaft Geroldseck. Aufnahme: Alfred Isenmann, Seelbach

"Noch gegenwärtig wird dieses alte Schloß von den Grafen von der Leyen als gräfliches Wohnschloß angesehen, aus welchem alle herrschaftlichen Verordnungen, öffentlichen Urkunden und Befehle, Geroldseck betreffend, ausgegeben werden."

Eine gewisse Bautätigkeit, Zeichen einer Aufwärtsentwicklung, läßt sich in der von der Leyenischen Zeit auch sonst feststellen. Es begann in den dreißiger Jahren des Jahrhunderts mit dem Bau des Minoritenklosters als Aufenthaltsort einiger Patres, denen die Pflege des religiösen Lebens und die Pastoration in den Gemeinden Seelbach, Reichenbach und Kuhbach anvertraut werden sollte. Sie kamen aus dem "Tyrolischen", wohin man ja durch Innsbruck, dem Regierungssitz für die vorderösterreichischen Länder, auch politisch ausgerichtet war. Der Bau folgte, in kleineren Verhältnissen, den sonstigen Klosteranlagen, wie sie mit Wirtschaftsgebäuden (Küche, Backhaus, Keller), Speisesaal (Refektorium), Klosterkirche und Kreuzgarten eine Einheit bildeten. Die Mönchszellen, etwa zwanzig an Zahl, befanden sich im zweiten Stock, Auch ein großer Küchengarten war vorhanden. Der Bau war einfach, aber gediegen ausgeführt.

Das gleiche läßt sich auch von dem Amtshaus sagen, das in der Nähe errichtet wurde.

Kommen wir noch einmal auf das Schloß zurück! Es lag, vornehm Abstand haltend, bei Seelbach, dem Hauptort des Ländchens, und bildete mit diesem zusammen die Residenz. Unmittelbar von herrschaftlichen Gütern umgeben, mit Wirtschaftsgebäuden, Fischwasser und großem Obstgarten am Eingang des lieblichen Tales sich erhebend, war es nach Aussage der Zeitgenossen "ein cöstlich Gebäu", das einem regierenden Herrn zu Aufenthalt "wohl dienen konnte". Es sollte bis 1775 endgültig ausgebaut und überholt sein, um jetzt voll bezogen zu werden. Da brach in der Schreinerei ein Brand aus, dem das schöne Bauwerk zum Opfer fiel. Ein Unstern schien über diesem Schloß zu stehen, und es sieht wie eine tragische Beziehung aus, wenn man daran erinnert, daß es zur Zeit Anna Marias, der letzten Geroldseckerin, zum ersten Mal ausbrannte, und jetzt, da Maria Anna die vormundschaftliche Regierung übernahm, zum zweiten Mal in Rauch und Flammen aufging.

Von Maria Anna ist übrigens zu sagen, daß sie dem Ländchen viel mütterliche Sorge zuwandte. Sie suchte den Bildungsstand seiner Bewohner zu heben, indem sie die Schulpflicht und eine richtige Schulordnung einführte, sie richtete eine Apotheke in Seelbach ein - der erste Apotheker, Lögler, kam von Schuttern, hatte dort als Junggeselle die Klosterapotheke geführt und ehelichte bei Übernahme der Apotheke in Seelbach die Witwe des verstorbenen Ettenheimer Apothekers Sutter -, sie zeigte sich hilfsbereit und mildtätig, so daß ihr Name mit Ehren in der Geschichte des Geroldsecker Ländchens zu nennen ist.

Welt im Umbau - Vom Grafen zum Fürsten

Mit der großen Revolution in Frankreich und dem Waffenlärm der Koalitionskriege geht das Jahrhundert zur Neige. Es folgt der staatliche Umbau am Mittel- und Oberrhein, die Verringerung der Kleinstaaten in Deutschland, der Ländertausch, die Entschädigungsverhandlungen. Die von der Leyen versuchten bei mancherlei Gebietsverlusten, auch einigen Nutzen aus der Entwicklung ziehen zu können. Die Zeit schien nicht ungünstig für einen Ausbau und eine Abrundung des Geroldsecker Ländchens zu sein. Da lag Wittelbach, vormals der Abtei Ettenheimmünster zugehörig, ein Ort alten Rechtsstreits, ganz von Geroldsecker Gebiet eingeschlossen, jetzt mit dem gesamten Klosterbesitz an Baden-Durlach gekommen. Sein Erwerb würde hier eine Lücke schließen; vielleicht ließ sich mit dem neuen Herrn ins Geschäft kommen. Man wußte, daß Kurbaden mit dem Gewinn an Land auch die Schulden und Verpflichtungen der vormaligen Besitzer übernommen hatte und alle seine Kräfte zusammenfassen mußte, um diesen Verpflichtungen nachzukommen. Im Bericht des Oberamts an den gräflichen Herrn heißt es:

"Da das Kurhaus Baden durch die angetretenen Schulden und Pensionen dermal im Gedränge ist, allerorten Gelder aufzunehmen und Güter zu verkaufen, so halte ich den gegenwärtigen Augenblick für den günstigsten, den Ort Wittelbach zu erkaufen."
(Schreiben vom 21. Juni 1804.)

Umgehend erhielt das Oberamt den Auftrag, bei den badischen Behörden in der Sache zu sondieren. Man suchte diesen dabei klarzumachen, daß ein Verkauf von Wittelbach "als einem von der hiesigen Grafschaft ganz eingeschlossenen, mithin von dem übrigen kurbadischen Gebiet abgeschnittenen Ort" auch in badischem Interesse liegen müsse. Die verhandelnden Herren aber (von Roggenbach und Bausch in Mahlberg, Hofrat Reich in Ettenheimmünster) hatten badischerseits die klare Anweisung: Land nie gegen Geld, nur im Tausch gegen anderes Land oder gegen Realwerte! So wurden geroldseckerseits nach und nach ins Geschäft gebracht: verschiedene Koppelweiden, dann die Jagd in den vier Riedbännen, der Salmenfang, der Entenfang, die Nonnenmacherei und die Goldwäscherei. Klang das nicht großartig: Salmenfang, Goldwäscherei! Aber die badischen Amtsleute schüttelten dabei nur klug lächelnd die Köpfe. Sie wußten, daß dies nur leere Hülsen waren, Rechte, die auf dem Papier standen, im übrigen aber der Vergangenheit angehörten und "seit undenklichen Zeiten" nicht mehr ausgeübt wurden. So ließ die badische Verwaltung dem Herrn von der Leyen bedeuten, von solchen Vorschlägen Abstand zu nehmen. Damit waren die Verhandlungen festgefahren. Sie wurden drei Jahre später noch einmal aufgenommen. Der Wolfersbacher Wald stand jetzt als Gegenwert im Angebot, und Baden schien dafür einiges Interesse zu haben. Aber auch diesmal kam es zu keinem Ergebnis. Wittelbach blieb badisch.

Inzwischen war die Entwicklung weitergeschritten. Napoleon, jetzt Kaiser, arrangierte sich mit dem Adel und den Fürstlichkeiten alter Tradition. Die Schaffung des Rheinbundes bedeutete praktisch die Auflösung des alten Deutschen Reiches. Die Rheinbundstaaten folgten der französischen politischen Konzeption. Napoleon verstand es, den Herren klarzumachen, daß seine Unternehmungen auch in ihrem Interesse lagen. Wieder wurden Landesteile verschoben, Titel Ämter und Würden vergeben. Im Zuge dieser Entwicklung, unterstützt von einflußreichen Gönnern, wurde aus dem Grafen Philipp Franz von der Leyen der Fürst von der Leyen, sein kleines Ländchen wurde zum Fürstentum, "fürstlich" wurde das Geroldsecker Oberamt, und als eine Art Kuriosum, als kleinster der Rheinbundstaaten, ging Geroldseck in die Geschichte ein. So fiel zum Schluß, kurz bevor es als staatliches Gebilde von der Karte verschwand, der Glanz der Fürstenherrlichkeit auf das kleine Reich. Die Wirklichkeit aber ließ diesen Glanz ziemlich trübe erscheinen. Mit den andern Rheinbundstaaten in die politischen Ziele Napoleons einbezogen, sollte es seinen materiellen Beitrag dazu leisten und auch sein Kontingent an Soldaten stellen.

Auf dem Fürstentag in Frankfurt wurden die Anteile der einzelnen Rheinbundstaaten ausgehandelt. Ein seltsames Treiben herrschte damals in dieser Stadt. Während mit allem Prunk und Pomp die Fürstlichkeiten in ihren Kutschen durch die Straßen fuhren, ihre Gesandten und Räte geschäftig hin und her eilten, die höfische Etikette peinlich genau befolgt wurde, sammelten sich bereits neue Wetterwolken am politischen Horizont. Man zählte das Jahr 1806. Die Auseinandersetzung Napoleons mit Preußen stand bevor. Die Rheinbundfürsten sollten beschleunigt ihre Kontingente aufstellen und damit dem Kaiser Gefolgschaftstreue beweisen.

Fürst von der Leyen, den die Zeitumstände bereits mehrmals nach Paris geführt hatten, weilte jetzt öfters in Frankfurt und hatte sein Logement im "Weidenbusch" aufgeschlagen. Als Gesandter vertrat Baron von Hertwick die Geroldsecker Sache, Gesandtschaftsrat war vermutlich ein Herr Schaller, während der Sohn des Oberamtmannes und Hofrats Schmid in Seelbach als neuernannter Legationssekretär anfangs Oktober 1806 in Frankfurt eintraf. Es war gerade für die Vertreter der kleineren Länder wichtig, das Ansehen zu wahren und es den Großen gleichzutun, damit man nicht über die Achsel angesehen wurde. Dies bringt auch die von der Leyenische "Instruktion an den Gesandten zum Ausdruck", deren erste drei Punkte lauten:

1. Unser Gesandter soll alle und jede gesandtschaftlichen Vorrechte und Zuständigkeiten in Anspruch nehmen, welche den fürstlichen Gesandten gleicher Kategorie zuteil werden, daß derselbe sich

2. in Ansehung des Zeremoniells bei allen Gelegenheiten an dasjenige anschließe, was die übrigen im fürstlichen Kollegium behaupten werden, und daß

3. derselbe sich bei fürstlichen Auffahrten, Legitimationen, persönlichen Produktionen in Gala oder sonsten sich äußerlich nach dem Beispiele der übrigen verhalte, wie es die gesandtschaftliche Würde erfordert.

Bei der Aufstellung der Kontingente suchten die meisten Fürsten die Einwohnerzahl ihrer Länder zu drücken, um günstiger davonzukommen. Daher wurde schließlich Hassels Statistischer Grundriß zu Rate gezogen und nach den Angaben dieses Werkes die Berechnung durchgeführt. Geroldseck, das ursprünglich 3.526 Seelen in 578 Familien, darunter Seelbach die "Residenz" mit 450 Seelen in 75 Familien angegeben hatte, mußte 4.550 Seelen anerkennen, aus welcher Zahl dann die Stellung von 29 Mann für die Armee errechnet wurde. Man war aber im Geroldseckischen keineswegs auf kriegerische Abenteuer erpicht, auch hätte der Fürst dem Ländchen gern die unbeliebte und beunruhigende Aushebung erspart. So suchte er sie durch eine "Aversalsumme", eine Geldleistung, zu umgehen, für die dann Nassau die Stellung der Soldaten übernehmen würde. Dies gelang in den ersten Jahren. Später aber, unter dem Druck der Verhältnisse, mußte auch Geroldseck seinen Tribut an Menschen leisten.

Als der junge Gesandtschaftssekretär Schmid in Frankfurt eintraf, warfen bereits die kommenden Ereignisse ihren drohenden Schatten voraus. "Es ziehen täglich französische Truppen zur Armee hier durch. Unterwegs war meine Reisegesellschaft auch meistens französische, badische und Darmstädter Offiziere, die ins Feld eilen. Gestern haben die Feindseligkeiten begonnen. Man will sogar vom Main her heftiges Kanonieren gehört haben. Indessen denkt aber hier noch niemand an die Möglichkeit einer feindlichen Invasion", schrieb er am 19. Oktober an seinen Vater in Seelbach. Eine der ersten Aufgaben, die er als Gesandtschaftsekretär zu er- ledigen hatte, war die Abschrift der Note des preußischen Gesandten Knobelsdorf, die, auf ausdrücklichen Wunsch von Serenissimus, noch am selben Abend (10. Okt.) abzuliefern war, "und sollte es erst nach Mitternacht sein".

Die Siege Napoleons schienen den Verhältnissen, die sich herausgebildet hatten, Dauer zu versprechen. Wenige Jahre später aber erfolgte bekanntlich der große Umschwung, und wieder war die europäische Ordnung zur Sprache gestellt. Sie wurde dann auf dem Wiener Kongreß im Sinne einer Wiederherstellung des früheren Staatensystems neu geschaffen.

Trügerischer Glanz - Ruhmloses Ende

"Serenissimus haben meinen Sohn, den Amtsassessor, in der Qualität eines Legationssecretaires zu dem Gesandtschaftsposten Euerer Excellenz bestimmt, welcher nächsten Dienstag von hier nach Frankfurt abreisen wird, um Hochdero Befehle und Anweisungen zu vernehmen. Ich bin so frei, ihn Hochdenselben zu Hohem Wohlwollen gehorsamst zu empfehlen, und hoffe, daß er Euer Excellenz satisfacieren möge.

Nach meiner unterthänigen Empfehlung fahre ich fort, mit unbegrenzter Verehrung zu verharren usw." So schrieb Hofrat Schmid am 4. Oktober 1806 von Seelbach an den Geheimrat Baron von Hertwick nach Frankfurt.

Serenissimus, Excellenz, Hochwohlgeboren, Hochdero Befehle, unbegrenzte Verehrung: so blühte in der Kanzlei zu Seelbach die ganze höfische Formelwelt mit ihrem rhetorischen Prunk und ihrer Übertreibung, bemüht, einen Schimmer von Größe und fürstlichem Glanz auszubreiten. Es sollte ein trügerischer Glanz sein.

Nach der Niederlage Napoleons machte Österreich auf dem Wiener Kongreß seine Lehensrechte wieder geltend. In den folgenden Verhandlungen trat es die staatlichen Hoheitsrechte an Baden ab, das seinerseits das Amt Steinsfeld an Bayern abgab, damit dieses für die Überlassung des Innviertels an Österreich entschädigt werden konnte. So kam das Geroldsecker Ländchen in einer Art Ringtausch an Baden, wobei ihm in der Wiener Schlußakte die Souveränität sang- und klanglos entzogen wurde. Am 25. November 1819 erfolgte dann unter Anwesenheit des Übergabekommissars von Handel, des Kreisdirektors Kirr, des Geheimrats von Schmid zusammen mit den übrigen Beamten und Ortsvorständen der alten Herrschaft die Übergabe an Baden, dessen Landeshoheit es nun endgültig einverleibt war.

Damit endet die Geschichte von Geroldseck als eigenem Staarsgebilde. Als Kleinstaat konnte es nur unter seinesgleichen eine gewisse Macht entfalten. Zu einer größeren geschichtlichen Leistung fehlten ihm die Voraussetzungen. Aber wie in einem Kristall bricht sich die große Geschichte in der des kleinen Ländchens, und die allgemein menschliche und kulturgeschichtliche Ausbeute ist immerhin beachtlich.

Quellen und Literatur:

Generallandesarchiv, Akten Geroldseck.
Generallandesarchiv, Akten Lahr-Mahlberg.
Generallandesarchiv, Kopialbuch der Herrschaft Lahr-Mahlberg.
Generallandesarchiv, Tagebücher des Abtes Jakobus II. von Schuttern (Handschriften).
Himmelsbach, F., Geschichte des Marktfleckens Seelbach, 1906.
Ludwig, A., Unsere Heimatstadt Lahr, Altvater 1936 - 1938,
Heizmann, L., Benediktinerabtei Schuttern, 1915.
Die Ortenau, 21, Burgen und Schlösser Mittelbadens, 1934.
Krieger, A., Topographisches Wörterbuch des Großherzogtums Baden, 1905.


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