Begriffe und Inhalte der Ablasslehre
Der Codex Iuris Canonici von 1983, das Gesetzbuch des katholischen Kirchenrechts, definiert den Ablass in Canon 992 wie folgt:
"Ablaß ist der Nachlaß zeitlicher Strafe vor Gott für Sünden, deren Schuld schon getilgt ist; ihn erlangt der entsprechend disponierte Gläubige unter bestimmten festgelegten Voraussetzungen durch die Hilfe der Kirche, die im Dienst an der Erlösung den Schatz der Sühneleistungen Christi und der Heiligen autoritativ verwaltet und zuwendet."
In der sakramententheologischen Systematik ist der Ablass, wiewohl selbst kein Sakrament, als Bußpraxis dem dritten Teil des Bußsakraments zugeordnet:
1. Reue des Herzens (contritio cordis)
2. Bekenntnis (confessio oris)
3. Genugtuung (satisfactio operis)
Demnach werden durch einen Ablass nach katholischer Auffassung die so genannten "zeitlichen Sündenstrafen" ganz ("vollkommener Ablass") oder teilweise erlassen. Nicht zu verwechseln ist der Ablass mit der (etwa im Bußsakrament empfangenen) Sündenvergebung. Die Vergebung einer Sünde beseitigt nach katholischer Lehre nämlich die Sündenstrafen nicht. "Zeitliche Sündenstrafen" waren ursprünglich die dem reuigen Sünder bei der Sündenvergebung auferlegten zeitlich befristeten Kirchenstrafen (Bußen, die meist den zeitweiligen Ausschluss vom Gemeindeleben umfassten). Später verstand man darunter in der noch heute gängigen traditionellen Anschauung die "Zeit", die man im Jenseits nach dem Tod im Fegefeuer verbringt, bevor man in den Himmel gelangt. Nach modernerer Lesart bestehen sie aus den unmittelbaren, in der "Zeit" (d. h. im Diesseits) abzubüßenden Folgen der sündigen Tat (darunter fallen beispielsweise die Leistung der notwendigen Wiedergutmachung, aber auch nur allmählich oder schwer umkehrbare Konsequenzen wie etwa körperliche Beeinträchtigungen, der Vertrauensentzug der geschädigten Person, der seelische Schaden unschuldiger Beteiligter oder die innere Zerknirschung des Täters). Jedenfalls sind auch dann, wenn die Sünde durch sakramentale Beichte oder vollkommene Reue im Hinblick auf das "ewige" Urteil beim Letzten Gericht ("Himmel" oder "Hölle") vor Gott vergeben sein mag, ihre Konsequenzen im Hier und Jetzt noch spürbar: Die Sünde ist vergeben, ihre Folgen sind aber nicht aus der Welt. Der Büßer ist darum aufgerufen, diese auf seiner Lebenszeit liegende Last stetig zu verringern, seine Schuld zu sühnen und wiedergutzumachen (was nach gängiger Meinung auch durch gute Werke wie Gebete, Almosen, Pilgerfahrten etc. geleistet werden kann). In dem Maße, wie er diese Obliegenheit verfehlt, ist eine vorübergehende ("zeitliche") Reinigung nach dem Tode nach traditioneller Auffassung unumgänglich. Genau diese "Reinigungszeit" kann nun nach katholischem Verständnis durch die Erlangung von Ablässen "verkürzt" oder erleichtert werden.
Sowohl im diesseitigen als auch im jenseitigen Leben hilft nämlich die Gemeinschaft der Heiligen (Communio sanctorum) durch ihre Fürsprache und ihre guten Werke dem einzelnen Sünder, sein Ziel (Wiederherstellung der durch die Sünde "gestörten" Beziehung zu Gott und seinen Mitmenschen) zu erreichen. Durch den Ablass werden die Sündenstrafen, die der Einzelne zu gewärtigen hat, quasi mit den guten Werken anderer Gläubiger ("Heilige" im paulinischen Sinn) "verrechnet" und auf diese Weise aufgehoben. Der Ablass ist damit eines von vielen Hilfsmitteln, welche die Gemeinschaft der Kirche dem Sünder auf dem "Pilgerweg des Lebens" anbietet. Dadurch wird zugleich deutlich, dass der Weg zum Heil nie nur eine persönliche Einzelleistung sein kann, sich vielmehr im Schoß der Gemeinschaft des Volkes Gottes vollzieht, in der einer für den anderen einsteht.
Im Ergebnis erweist sich der Ablass nach der katholischen Lehre als besonderer göttlicher Gnadenakt, der der eigentlichen Vergebung nachgelagert ist und durch verbindliche Rechtsakte und Regelungen der kirchlichen Autorität vermittelt wird. Selbstverständlich ist Ablassgewinnung aber nur aufgrund des einmaligen Versöhnungsopfers Christi und im Vertrauen auf ihn möglich. Ohne ihn wäre aus christlicher Sicht jede Sünde unwiderruflich und unheilbar, da sie die Seele in Zeit und Ewigkeit von Gott und den Menschen trennt.
Die Schwierigkeit der Ablasslehre für das heutige Verständnis besteht darin, dass sie die christliche Auffassung von der menschlichen Existenz in der irdischen und in der jenseitigen Welt unter einem bestimmten, möglicherweise als verengt empfundenen Aspekt und in einer antiquiert erscheinenden, kirchlichen Rechtssprache zum Ausdruck bringt. Viele stört auch das der Ablasslehre scheinbar innewohnende "Geschäftsdenken" ("Verrechnung" von eigenen und fremden "guten Werken" mit Sündenstrafen), das insbesondere in der Vergangenheit (etwa zu Martin Luthers Zeiten) zum Tragen kam, als man Ablässe auch oder ausschließlich gegen eine als "Spende" deklarierte "Bezahlung" in Geld gewinnen konnte (heute sind Ablässe dagegen nicht mehr an pekuniäre Leistungen gebunden). Wer das derzeit gültige Verzeichnis der Ablässe, das Enchiridion Indulgentiarum (4. Aufl. 1999) zu Rate zieht, erkennt aber, dass darin das ganze religiöse Leben als von göttlicher Indulgenz (Milde, Gnade) umfangen aufgefasst wird. Für jedes Gebet und jedes gerechte Werk, für jede gute Tat und sogar jeden frommen Gedanken gibt es (unabhängig von der allein heilsentscheidenden Sündenvergebung) sozusagen nochmal eine "Zugabe" aus dem Schatz des Heilswerks Christi und der Heiligen "obendrauf", eben in Form der Befreiung von den an sich bereits verwirkten und gerechterweise zu ertragenden "Strafen" oder Konsequenzen der Sünde.
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