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Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen
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Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen - Werke
Titel des Simplicius simplicissimus (Erstausgabe, 1668)* Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch, d. h. die Beschreibung des Lebens eines seltsamen Vaganten, genannt Melchior Sternfels von Fuchshaim etc. Druck und Verlag: Johann Jonathan Felßecker, Nürnberg. Drei Gesamtausgaben: 1683/84; 1685/99 und 1713 jeweils in drei Bänden (verschleiernd war auf dem Titelblatt Mömpelgard als Erscheinungsort angegeben).
Das Hauptwerk Simplicissimus, das erst in neuerer Zeit richtig gewürdigt wird, gilt als ein lebensvoller Roman der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. - Allerdings ist diese Sichtweise eine Rückprojektion der Germanistik in eine Zeit, der sie noch heute weithin mit Unverständnis gegenübersteht. Begriffe wie "wirklich poetische Bedeutung" und "Fülle echter Stimmung" können dem Roman nicht gerecht werden, im Gegenteil verkennen sie den rhetorischen Charakter der Darstellung, die mit Versatzstücken aus der klassischen Literatur der Antike und des spanischen Picaro-Romans spielt. So wird der Kontrast der "Friedenssehnsucht" in der "Seele" des Helden mit dem blutigen Soldatenleben und wilden Abenteurertum, durch welches "Simplex" hindurchgetrieben wird, als ergreifend gesehen. Ob dies auf authentischen Erlebnissen und echten Gefühlen beruht, muss bezweifelt werden. Vielmehr darf man davon ausgehen, dass Grimmelshausen bewusst für ein Lesepublikum schrieb, das seine Bücher kaufen sollte. Dazu bediente er sich der sprachlichen Klischees, mit denen sich der Leser identifizieren konnte. Dennoch zeichnet er wie vielleicht kein anderer Autor ein Bild des großen Kriegs sowie der verwilderten deutschen Gesellschaft nach dem Krieg, die er mit einem frischen Humor mischt. Gezeichnet wird die mentale Struktur der Zeitgenossen: sie sind derbe, rohe Menschen, die sich doch nach dem Idealen und Ewigen sehnen.
Auszug aus dem Simplicissimus II
Das zweite Kapitel
Simplex wird zu einem Hirten erwählet,Und das Lob selbigen Lebens erzählet.
Er begabte mich mit der herrlichsten Dignität, so sich nicht allein bei seiner Hofhaltung, sondern auch in der ganzen Welt befand, nämlich mit dem uralten Hirtenamt. Er vertrauete mir erstlich seine Säu, zweitens seine Ziegen, und zuletzt seine ganze Herde Schafe, daß ich selbige hüten, weiden, und vermittelst meiner Sackpfeife (welcher Klang ohnedas, wie Strabo schreibet, die Schafe und Lämmer in Arabia fett machet), vor dem Wolf beschützen sollte. Damal gleichete ich wohl dem David, außer daß jener anstatt der Sackpfeife nur eine Harpfe hatte, welches kein schlimmer Anfang, sondern ein gut Omen für mich war, daß ich noch mit der Zeit, wann ich anders das Glück darzu hätte, ein weltberühmter Mann werden sollte. Dann von Anbeginn der Welt seind jeweils hohe Personen Hirten gewesen, wie wir dann von Abel, Abraham, Isaak, Jakob, seinen Söhnen und Moyse selbst in H. Schrift lesen, welcher zuvor seines Schwähers Schafe hüten mußte, eh er Heerführer und Legislator über 600000 Mann in Israel ward. Ja, möchte mir jemand vorwerfen, das waren heilige, gottergebene Menschen und keine Spesserter Baurenbuben, die von Gott nichts wußten. Ich muß gestehen und kann es nicht in Abrede sein; aber was hat meine damalige Unschuld dessen zu entgelten? Bei den alten Heiden fand man sowohl solche Exempla als bei dem auserwählten Volk Gottes: Unter den Römern seind vornehme Geschlechter gewesen, so sich ohn Zweifel Bubulcos, Statilios, Pomponios Vitulos, Vitellios, Annios Capros und dergleichen genennet, weil sie mit dergleichen Viehe umgangen und solches auch vielleicht gehütet. Zwar Romulus und Remus sein selbst Hirten gewesen; Spartacus, vor welchem sich die ganze römische Macht so hoch entsetzet, war ein Hirt. Was? Hirten sind gewesen (wie Lucianus in seinem "Dialogo Helenae" bezeuget) Paris, Priami des Königs Sohn, und Anchises, des trojanischen Fürsten Aeneae Vater. Der schöne Endimion, umb welchen die keusche Luna selbst gebuhlet, war auch ein Hirt. Item der greuliche Polyphemus: ja die Götter selbst (wie Phornutus saget) haben sich dieser Profession nicht geschämet. Apollo hütet Admeti, des Königs in Thessalia, Kühe; Mercurius, sein Sohn Daphnis, Pan und Proteus waren Erzhirten, dahero seind sie noch bei den närrischen Poeten der Hirten Patronen; Mesa, König in Moab, ist, wie man im 2. Buch der Könige lieset, ein Hirt gewesen; Cyrus, der gewaltige König Persarum, ist nicht allein vom Mithridate, einem Hirten, erzogen worden, sondern hat auch selbst gehütet. Gygas war ein Hirt und hernach durch Kraft eines Rings ein König. Ismael Sophi, ein persischer König, hat in seiner Jugend ebenmäßig das Viehe gehütet; also, daß Philo der Jud in vita Moysis trefflich wohl von der Sache redet, wann er saget, das Hirtenamt sei eine Vorbereitung und Anfang zum Regiment; dann gleichwie die bellicosa und martialia ingenia erstlich auf der Jagt geübt und angeführet werden, also soll man auch diejenige, so zum Regiment gezogen sollen werden, erstlich in dem lieblichen und freundlichen Hirtenamt anleiten. Welches alles mein Knän wohl verstanden haben muß, wie er dann ein trefflich verschlagnes Capitolium gehabt und mit einem tiefsinnigen Verstand versehen war und mir noch bis auf diese Stunde keine geringe Hoffnung zu künftiger Herrlichkeit machet.
Aber indessen wieder zu meiner Herde zu kommen, so wisset, daß ich den Wolf ebensowenig kannte, als meine eigne Unwissenheit selbsten; derowegen war mein Knän mit seiner Instruktion desto fleißiger. Er sagte: "Bub, biß flissig, loß di Schoff nit ze wit vunananger lassen, und spill wacker uff der Sackpfiffa, daß der Wolf nit kom und Schada dau, dan he yß a sölcher veyrboinigter Schelm und Dieb, der Menscha und Vieha frißt, un wan dau awer farlässi bist, so will eich dir da Buckel arauma." Ich antwortet mit gleicher Holdseligkeit: "Knäno, sag mir aa, wey der Wolf seyhet: Eich hunn noch kan Wolf gesien." "Ah dau grober Eselkopp (repliziert er hinwieder), dau bleiwest dein Lebelang a Narr, geith meich wunner, was aus dir wera wird, biß schun su a grusser Dölpel, un waist noch neit, was der Wolf für a veyrfeussiger Schelm iß." Er gab mir noch mehr Unterweisungen und ward zuletzt unwillig, maßen er mit einem Gebrümmel fortgieng, weil er sich bedünken ließ, mein grober und ungehobelter, durch seine Unterweisung noch nicht genugsam auspolierter Verstand könnte seine subtile Unterweisungen nicht fassen, noch zu dieser Zeit derselbigen fähig sein.